
"Fußball ist alles für mich", sagt Jenaya Robertson mit Blick auf den verschneiten Rasen der Flyeralarm Arena: "Ich lebe und atme Fußball." Die 23 Jahre junge Kanadierin hat gerade ihr erstes Foto-Shooting im Trikot der Würzburger Kickers hinter sich – mit kurzer Hose und Trikot bei eisigen Minusgraden. Sie nahm es locker, lachte und strahlte dabei über das ganze Gesicht. "Ich bin etwas überrascht, wie viel Schnee hier liegt", sagt sie. Dort, wo sie eigentlich herkommt, aus dem Umkreis der Metropole Vancouver an der kanadischen Westküste, ist es im Winter nicht sonderlich kalt. Die Klischees über Kanada muss sie sich häufig anhören. "Nein, bei mir zuhause laufen keine Eisbären herum", sagt sie und lacht wieder.
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Für Robertson sind es die ersten Tage in der neuen Heimat. Der Fußball hat sie zur Weltreisenden gemacht, dafür sei sie sehr dankbar. "Die Beste aus Kanada", verkündet der Zweitligisten aus Würzburg stolz seinen Winter-Neuzugang. "Sie ist eine echte Box-to-Box-Spielerin, vergleichbar vielleicht mit Leon Goretzka von den Bayern", sagt Heinz Reinders aus dem Vorstand der Kickers-Frauen.
Ein Reds-Fan bei den Rothosen
Oder wie Steven Gerrard, der Liverpool-Legende. Ihm eiferte Robertson als "riesiger Reds-Fan" schon immer nach. Der Reds-Fan bei den Rothosen. Das klingt passend. Bei den Kickers-Frauen unterschrieb sie einen Vertrag über eineinhalb Jahre und wurde auch als Reaktion auf die Abgänge der beiden US-Amerikanerinnen McCullough und Veland, die Würzburg in der Winterpause nach nur drei Pflichtspieleinsätzen bereits wieder verlassen haben, verpflichtet.
Als Bewerbung diente ihr eine wirklich beeindrucke Karriere am College an der Trinity Western University. Als Captain führte sie ihr Team zu mehreren Meistertiteln. 2019, nach einer überragenden Saison mit 14 Toren in 14 Spielen, wurde sie zur besten College-Fußballerin Kanadas gewählt. "Das waren die wahrscheinlich bisher fünf besten Jahre meines Lebens", schwärmt die Neu-Rothose von ihrer Zeit auf dem Campus. Ihr fünftes und letztes College-Jahr schloss sie 2020 erfolgreich mit einem "Business Administration"-Bachelor ab.
"Die Zeit war eine unglaubliche Erfahrung. Hätte ich noch weitere Jahre spielen dürfen, hätte ich das getan", erzählt die junge Sportlerin, die sich gedanklich noch zwischen zwei Welten bewegt. Die neue heißt Würzburg in "Good Old Germany". Als sie vor gut einer Woche das erste Mal mit dem Auto durch die Stadt fuhr, glänzten ihre Augen. "Die Festung, die Weinberge – Wow, ich bin in Europa", sagte sich sich: "Die Leute in Nordamerika träumen doch alle davon einmal durch Europa zu reisen."
Aber als Touristin ist sie natürlich nicht nach Unterfranken gekommen. Vom Heuchelhof aus, dort wo die FWK-Fußballerinnen trainieren und ihre Heimspiele austragen, möchte sie ihre Profikarriere, von der sie schon seit sie acht Jahre alt ist träumt, ins Rollen bringen. Die Ambitionen des Zweitliga-Neulings haben ihr imponiert, die passen perfekt zu zum Start ihres neuen Lebensabschnitts. Bei ihrem ersten Training wurde sie von den neuen Mitspielerinnen herzlich aufgenommen, berichtet sie. Endlich wieder Training im Team. In Kanada war das 2020 inmitten der Corona-Pandemie kaum möglich. Die College-Saison fiel flach, eine Profiliga im Frauenfußball gibt es nicht, dafür trainierte sie eine Weile bei einer männlichen U 16 mit. "Die hielten mich ganz schön auf Trab", meint sie.
Im Sommer flog sie dann nach Deutschland für ein paar Probetrainings. Allerdings ohne Erfolg, Corona verkomplizierte die Planungen der Klubs, und irgendwann war das Transferfenster geschlossen. Jetzt, mit ein paar Monaten Verspätung, hat es doch noch geklappt. Ihr Ziel ist die Bundesliga, "eine der besten Ligen der Welt", wie sie gehört hat. Und vielleicht irgendwann Nationalmannschaft, ihr anderer großer Kindheitstraum.
Raus aus der Konfortzone
Ihr neuer Trainer Gernot Haubenthal kann sich auf eine aggressive und spielstarke Mittelfeldspielerin freuen, die defensiv wie offensiv viele Qualitäten vereint. Außerdem sei sie ein wahres Kopfballungeheuer verrät sie. Wie das kommt, mit gerade mal 1,70 Meter Körpergröße? "Ich liebe es einfach mit dem Kopf Tore zu erzielen und habe dafür scheinbar eine natürliche Begabung."
Was sie genau in der 2. Bundesliga erwartet, weiß sie selbst nicht so genau. Vermutlich wird es taktisch und technisch deutlich anspruchsvoller als auf dem College, vermutet sie. "Und das Spiel hier sieht sehr schnell aus", stellt sie fest. Aber sie traut sich den Sprung ohne Weiteres zu: "Ich mag es mich selbst herauszufordern. Ich habe mich aus meiner Komfortzone herausgewagt, meine Freunde und Familie verlassen", erklärt sie: "Und hier bin ich jetzt!" Und im Einsatz für die Würzburger vermutlich Ende März, wenn die Zweite Liga den Spielbetrieb aller Voraussicht nach wieder aufnimmt.