Ein Spiel wie aus der Hölle. Wer auch immer sich die Dramaturgie dieser Partie ausgedacht hatte, der kannte keine Gnade. Angst, Freude, Euphorie, Verzweiflung, Sorge, Hoffnung, Enttäuschung – es gab wohl kein Gefühl, das die Anhänger des bayerischen Regionalliga-Meisters FC Würzburger Kickers an diesem Sonntagnachmittag im Aufstiegsrückspiel gegen Hannover 96 II nicht durchlebten. Am Ende blieb nach dem 6:8 nach Elfmeterschießen einzig die Traurigkeit über den verpassten Aufstieg der Rothosen in die 3. Liga. Und die Sorge um die Zukunft des Profifußballs im Verein. Eine Chronologie der Ereignisse von Hannover.
13:30 Uhr: Anpfiff und schwungvoller Start
Die Kickers starten mit einem 1:0-Vorsprung aus dem Hinspiel in die Partie an diesem trüb grauen Sonntag in der großen Stadion-Schüssel am Hannoveraner Maschsee. 25.000 Menschen sind gekommen, es ist stimmungsvoll. Ganz besonders im picke-packe vollen Auswärtsblock. Die Kickers-Anhänger verschaffen sich von Beginn an Gehör und hätten in der Startphase auch beinahe jubeln können. Saliou Sané vergibt die erste Chance der Partie, dann aber werden die Gastgeber von Minute zu Minute besser. Den Kickers gleitet das Spiel aus der Hand. Die Rothosen wussten, was auf sie zukommt. Trotzdem wirken sie beeindruckt von der Vehemenz, mit der die Gastgeber zu Werke gehen.
22. Minute: Ezeh trifft zum 1:0 für Hannover II
Der Zweitliga-Profi hat im Würzburger Strafraum Platz und Zeit und trifft mit einem satten Schuss ins obere rechte Eck zum 1:0 für die Gastgeber. Ein echter Sonntagsschuss. Nach Hin- und Rückspiel steht es in diesem Moment 1:1. Das Momentum, wie es die moderne Sportsprache nennt, kippt auf die Seite der Hausherren. Die Kickers tun sich schwer. Immer wieder verspringen Bälle. "Es war zu verkopft. Wir wussten, was heute auf dem Spiel steht", sucht Routinier Daniel Hägele später eine Erklärung.
27. Minute: Innenverteidiger Daniel Hägele muss verletzt ausgewechselt werden
Bei Daniel Hägele reißt etwas, womöglich ein Band, wie er nach der Partie auf Krücken gestützt meint. Die Hüfte schmerzt. Es geht nicht weiter für den 35-Jährigen. Ausgerechnet ihn trifft es. Nicht nur, dass die Kickers von da an seine Routine schmerzlich vermissen. Wildersinn fehlt es zudem an echten Alternativen auf der Innenverteidiger-Position. Marius Wegmann sitzt zwar auf der Bank, kann aber, wie der Chefcoach später erklärt "höchstens zehn Minuten spielen".
Thomas Haas kommt ins Spiel, rückt auf die Linksverteidigerposition, Peter Kurzweg agiert anstelle von Hägele in der Mitte. Mit ihm und dem eigentlichen Mittelfeldspieler Tim Kraus bilden fortan zwei Ungelernte die Innenverteidigung. "Extrem bitter und eine Hypothek" seien die Ausfälle der Verteidiger gewesen, sagt Wildersinn. Auch Lukas Gottwalt kann nach seiner Muskelverletzung noch nicht mitwirken. Der Rückstand und Hägeles Verletzung machen den Rothosen sichtbar zu schaffen. Das Team, so scheint es, will sich irgendwie in die Halbzeitpause retten.
45. Minute: Ivan Franjic trifft den Pfosten
Plötzlich klatscht der Ball an den Pfosten des Hannoveraner Tores. An Freund und Feind war der Freistoß von Ivan Franjic vorbeigerauscht. Die Kickers sind zurück im Spiel. "Wir haben probiert dagegenzuhalten und so ins Spiel zurückzukommen. Chapeau an die Jungs! Sie haben sich immer wieder zurückgekämpft", lobt der verletzte Hägele seine Mitspieler.
74. Minute: Elfmeter für die Würzburger Kickers
Lange Zeit wogt das Spiel in der zweiten Halbzeit hin und her. Oben auf der Tribüne sitzt Hannovers Profi-Chef Martin Kind neben Kickers-Ehrenpräsident Michael Schlagbauer und schwärmt von der Partie. Schlagbauer hat keine Muse, etwas zu genießen. Zu viel steht für die Kickers auf dem Spiel. Die Würzburger sind nun besser drin in der Partie und plötzlich im Vorteil: Maximilian Zaiser wird im 96er-Strafraum zu Fall gebracht.
Schiedsrichter Florian Exner entscheidet folgerichtig auf Elfmeter. Saliou Sané tritt an. "Fußball ist etwas Schönes, ich habe keine Angst", hatte er vor dem Rückspiel in seiner Heimatstadt mit Blick auf die zu erwartende Kulisse gesagt. Und tatsächlich verwandelt der 31-Jährige zum 1:1. Die Kickers stehen mit einem Bein in der 3. Liga. Nach Hin- und Rückspiel steht es 2:1 für die Unterfranken. Hannovers Widerstand scheint gebrochen. Die Gastgeber lassen die Köpfe hängen.
83. Minute: Elfmeter für Hannover II
Und plötzlich flutscht den Kickers der Aufstieg doch noch durch die Finger. Nach einer Freistoßflanke foult Kickers-Torwart Vincent Friedsam Hannovers Tim Walbrecht. Es gibt Elfmeter. Eric Uhlmann trifft. Und da es nach 90 Minuten Spielzeit immer noch 2:1 steht, geht es folgerichtig in die Verlängerung. Stand nach Hin- und Rückspiel zu diesem Zeitpunkt 2:2.
105. Minute: Tor für Hannover II
Die erste Hälfte der Verlängerung ist fast um, da lässt der schon gelbgestrafte Pascal Moll Zweitliga-Profi Kolja Oudenne entkommen, Hayata Matsuda steht parat und trifft aus extrem spitzem Winkel an Friedsam vorbei in den Kasten: 3:1 für die Reserve von Hannover 96. In diesem Moment sind erneut die Niedersachsen Drittligist. Stand nach Hin- und Rückspiel 3:2. Alles vorbei? Die Kickers wirken demoralisiert. Wildersinn schickt mit Tim Sausen und Marius Wegmann zwei frische Kräfte auf den Platz.
110. Minute: Elfmeter für die Würzburger Kickers
Kaum fünf Minuten später wendet sich das Blatt erneut. Benyas Junge-Abiol wird im Strafraum zu Fall gebracht, es gibt Elfmeter – den dritten in dieser Partie. Und wieder trifft der Schütze, der diesmal Ivan Franjic heißt. Wer in die 3. Liga aufsteigt, ist zu diesem Zeitpunkt wieder völlig offen. Stand nach Hin- und Rückspiel 3:3.
Ab der 121. Minute: Elfmeterschießen und ein tragisches Scheitern
Ein Drama, dem ein eigener Akt gebührt. Nach den Treffern von Peter Kurzweg, Tim Sausen, der in keinem der Liga-Spiele ein Tor erzielt hatte, und Dardan Karimani steht es 3:3 zwischen Würzburg und Hannover. An den Punkt tritt Saliou Sané. Geboren und aufgewachsen in Hannover, ausgebildet bei 96, eine der Säulen der aktuellen Kickers-Mannschaft und in großen Teilen mitverantwortlich, dass die Unterfranken es überhaupt in die Aufstiegsspiele geschafft haben.
Er läuft an, zieht ab – und Keeper Leo Weinkauf hält. Ein Stöhnen geht durch die Reihen der Kickers-Fans. Dann gellt ein Pfiff durchs Stadion. Der Elfmeter wird wiederholt, weil Hannovers Torwart, ebenfalls eine Leihgabe aus der Zweitliga-Mannschaft, vor der Torlinie stand. Sané geht erneut zum Punkt. Und scheitert wieder. Ausgerechnet er. Ausgerechnet in Hannover.
"So etwas hat keiner verdient. Aber er am allerwenigsten", sagt sein Trainer Wildersinn später. Schon in diesem Moment – noch bevor Kolja Oudenne und Uhlmann das Werk der 96er vollenden –ist klar, dass die Partie für die Unterfranken gelaufen, der Traum vom Aufstieg geplatzt ist. Wie es weitergeht am Dallenberg, wird sich in den kommenden Tagen entscheiden.
Nach Schlusspfiff: Die Fans feiern die Mannschaft
Als die Spieler nach dem Schlusspfiff in die Gästekurve kommen, wird nicht nur gemeinsam mit den Fans getrauert. Die Anhängerinnen und Anhänger feiern das Team für eine starke Saison. "Es tut mir leid für die Mannschaft, für die Leute im Verein und für die Fans, die uns absolut aufstiegsreif unterstützt haben", sagt Trainer Wildersinn am Ende eines aufwühlenden Tages.
Fußball: Aufstiegsspiel zur 3. Liga
Hannover 96 II - FC Würzburger Kickers 8:6 n.E. (1:0, 2:1)
Hannover: Weinkauf - Arkenberg, Börner, Uhlmann, Matsuda - Moustier (118. Busch), Walbrecht - Ezeh, Oudenne, Chakroun (77. Hesse) - Scott (77. Stepantsev).
Würzburg: Friedsam - Montcheu (80. Karimani), Kraus, Hägele (29. Haas, 106. Wegmann), Kurzweg - Franjic, Zaiser, Meisel (106. Sausen) - Junge-Abiol, Sané, Caciel (80. Moll).
Schiedsrichter: Florian Exner (Münster).
Zuschauende: 25.000.
Tore: 1:0 Brooklyn Ezeh (22.), 1:1 Saliou Sané (75., Foulelfmeter), 2:1 Eric Uhlmann (85., Foulelfmeter), 3:1 Hayate Matsuda (105.), 3:2 Ivan Franjic (112., Foulelfmeter).
Elfmeterschießen: 0:1 Peter Kurzweg, 1:1 Julian Börner, 1:2 Tim Sausen, 2:2 Hayate Matsuda, 3:2 Dardan Karimani, 3:3 Brooklyn Ezeh, Saliou Sané scheitert an Leo Weinkauf, 4:3 Kolja Oudenne, 4:4 Ivan Franjic, 5:4 Eric Uhlmann
Sich auf eine gute Standardstärke zu verlassen reicht halt nicht. Der Torwart zeigte eine solide leistung, darf (muss) aber, wenn man aufsteigen will, von 6 Elfern auch einmal einen halten....
Trotzdem schade, dass der Meister nicht aufsteigen kann. Das ist wohl einzigartig in Deutschland und vielleicht weltweit.