"Am Ende ist es nur ein Fußballspiel", sagt Marco Wildersinn. Nur ein Fußballspiel, in dem es um verdammt viel geht, für die Würzburger Kickers, die in den beiden Partien gegen Hannover 96 II an diesem Mittwoch (19 Uhr) zu Hause und am Sonntag (13.30 Uhr) auswärts den Aufstieg in die 3. Liga schaffen wollen. Um Geld, um Jobs und die Perspektive für den Würzburger Profifußball.
Was alles daran hängt, ob es mit der Rückkehr auf die bundesweite Bühne klappt oder nicht, das weiß auch der Trainer der Rothosen. Aber Wildersinn will darüber nicht reden, er bewegt sich lieber auf gewohntem Terrain. "Von der Drucksituation muss man sich frei machen", sagt er: "Das funktioniert ganz gut, wenn man sich auf seine Dinge fokussiert: auf das Training, auf einen guten Matchplan, auf eine gute Vorbereitung."
Alles nur ein Spiel. Ein Spiel, in dem es auch um Wildersinns Zukunft geht. Klappt es mit dem Aufstieg, ist erst einmal klar, dass der 43-jährige Trainer in Würzburg bleibt. Wenn nicht? Wer weiß, wie es dann weitergeht. "Dieses Fußballgeschäft ist verrückt. Aber letztlich ist das genau der Beruf, den ich machen möchte. Es ist ein sehr schnelllebiges Geschäft, das nicht immer fair zu einem ist. Man hat es aber trotzdem selbst in der Hand, seinen Weg zu bestimmen. Und ich will jetzt hier den erfolgreichen Weg weitergehen. Das ist mein Ziel", sagt er.
Als es darum ging, wo man sich treffen könne, um mal in ungezwungener Atmosphäre zu plaudern, schlug Wildersinn sofort den Dallenberg vor. Irgendwie passend. Wildersinn ist kein Entertainer, kein Lebemann, der seinen Style beweisen, oder sein Lieblings-Café präsentieren muss. Nach außen will der Vater eines Sohnes im Kindergartenalter vor allem in seiner Rolle als Trainer wahrgenommen werden. Persönliches hält er meistens unter Verschluss, nur selten gewährt er Einblicke wie diese: "Ich lebe hier mit meiner Familie, lerne immer mehr Leute, die Stadt und das Umland kennen", sagt er: "Die Identifikation wächst mit der Zeit und den gemeinsamen Erlebnissen." Wildersinn ist auf eine angenehme Art zurückhaltend. Weshalb, so vermittelt er es dem Gegenüber, sollte er außergewöhnlich sein, nur weil der Beruf des Fußballtrainers nicht ganz gewöhnlich ist.
"Ich gebe mich, wie ich bin", sagt er: "Auch ich habe meine emotionalen Momente. Trotzdem versuche ich die Dinge eher analytisch anzugehen." Die richtige Mischung aus Nähe und Distanz, ob nun mit seinen Spielern oder mit Medienvertretern zu finden.
Im Job überlässt Wildersinn ungern etwas dem Zufall. Auch er weiß, dass er womöglich in den beiden Partien gegen Hannover 96 II Glück braucht. Den Zufall auszutricksen, das ist seine Rolle als Trainer. Dafür arbeitet er akribisch, oft spätabends am Rechner. Wie agiert der Gegner nach einem Rückstand oder in Führung, in den ersten Spielminuten oder kurz vor der Halbzeit. Wildersinn will sich durch nichts überraschen lassen. Wer sich vor einer Partie mit ihm unterhält, bekommt in verständlichen Worten kurz und bündig erklärt, wie der Gegner die Partie höchstwahrscheinlich angehen werde. Eine besondere Gabe, denn eigentlich immer, erkennt man am Spieltag sofort, was der Kickers-Trainer da gemeint hatte.
Der gebürtige Badener, dessen Fußballherz, daraus macht er keinen Hehl, für den Karlsruher SC schlägt, ist geprägt von seiner Station bei der TSG Hoffenheim. Da arbeitete er sieben Jahre als Trainer der zweiten Mannschaft. Als der heutige Bundestrainer Julian Nagelsmann Chefcoach war, habe er das ein oder andere übernommen, genauso wie übrigens Marcel Rapp, der vor wenigen Wochen mit Holstein Kiel in die Bundesliga aufgestiegen ist. Er war zur gleichen Zeit U-19-Coach bei der TSG. Jetzt will auch Wildersinn jubeln - wie sein Ex-Kollege.
Es waren immer die Trainer, die das Bild der Würzburger Kickers in der Profifußball-Dekade seit 2014 geprägt haben. Da war Bernd Hollerbach, der den Klub einmal komplett auf links drehte, aus dem verschnarchten Amateurverein einen Profiklub formte und tatsächlich von der Regionalliga bis in die 2. Bundesliga durchrauschte, bevor es unter seiner Leitung wieder eine Etage runterging. Und da war später Michael Schiele, der bei Fans und Spielern mit seiner emotionalen Art gleichermaßen beliebt war und den Klub erneut in Liga zwei führte. In Schieles Entlassung sehen bis heute viele den Grund für den folgenden Absturz in die Regionalliga. Unter ständig wechselnden Übungsleitern fand der Klub keinen Halt mehr, taumelte orientierungslos in den Abgrund.
Dann kam Marco Wildersinn zu einem nach zwei Abstiegen und durch die Corona-Spielzeiten zutiefst frustrierten Verein und zu einem neu zusammengestellten Team. Er schaffte es, das Puzzle zusammenzusetzen, die Stimmungswende einzuleiten. Die Mannschaft spielte in der Regionalliga erfrischenden Fußball, wurde vor einem Jahr mit 103 geschossenen Toren Tabellenzweiter und heuer, wie von Beginn an geplant, Meister. "Es ging zuerst darum, sich zu finden. Dann darum, eine Idee vom Fußball zu entwickeln und daran zu feilen." Wenn es mit dem Aufstieg klappt, steht Wildersinn in einer Reihe mit den prägenden Kickers-Trainern der letzten zehn Jahre. Am Ende hängt es an zwei Fußballspielen.