Kaum war die Schluss-Sirene an diesem denkwürdigen Freitagabend ertönt und der Würzburger Sport um eine Sternstunde reicher, da trudelten bereits die ersten Glückwünsche ein. "Geil, mega!", schrieb Maxi Kleber, der gerade mit den Dallas Mavericks selbst um den Einzug in die Play-off-Finals der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA kämpft, via WhatsApp an Steffen Liebler. Der 32-Jährige fieberte im fernen Texas mit seinem Heimatklub mit – und bekam postwendend ein strahlendes Sieger-Selfie des Baskets-Geschäftsführers und Baskets-Eigengewächs Max Ugrai retour.
"Gratulation an Würzburg! Für mich ist das eine der größten Play-off-Überraschungen", sagte Stefan Koch, der zuvor die Partie live für den Streamingdienst dyn kommentiert hatte. Der Experte und zweifache Trainer des Jahres, der 2014/15 auch ein halbjähriges Intermezzo als Baskets-Coach hatte, sprach schon zuvor davon, "dass die Würzburger dieses Jahr ein großes Buch" geschrieben haben, "aber dieses Kapitel gegen Ulm, das ist ihr literarisches Meisterstück. Unfassbar, ich ziehe alle Hüte vor dieser Mannschaft."
Zum zweiten Mal in ihrer Klubgeschichte (2012) stehen die Würzburg Baskets im Play-off-Halbfinale um die deutsche Basketball-Meisterschaft. Sie entthronten am Freitag in der zum zweiten Mal binnen 48 Stunden mit 3140 Zuschauerinnen und Zuschauern restlos ausverkauften tecktake-Arena in einer mitreißenden und hochdramatischen Partie Titelverteidiger ratiopharm Ulm mit 75:72 (36:31) und lösten mit dem dritten Sieg in der Viertelfinal-Serie sensationell das Ticket für die Runde der besten vier Klubs der Republik.
"Ich bin sehr, sehr glücklich und stolz. Es fällt mir ehrlich gesagt schwer, die Gefühle in Worte zu fassen. Mein Herz ist erfüllt", rang Cheftrainer Sasa Filipovski, das Mastermind und Hauptverantwortlicher des Höhenflugs der Baskets, auf der Pressekonferenz sichtlich angefasst um die richtigen Worte, während in der Halle die Party der Fans und Spieler überhaupt kein Ende nehmen wollte. "Ich gönne mir zur Feier des Tages einen organischen Rotwein. Kein Glas, keine Flasche, nur ein Schlückchen", sagte der 49-jährige Slowene lachend.
Würzburg Baskets zuvor mit sehr negativer Bilanz gegen Ulm
Um den Coup der Baskets halbwegs einordnen zu können, hilft vielleicht ein Blick in die Historie: Seit dem Bundesliga-Aufstieg 2011 hatten die Baskets vor dieser Play-off-Serie in 28 Aufeinandertreffen mit Ulm 24 Mal den Kürzeren gezogen. In der Halbfinalserie 2012 blieben sie dabei mit 0:3 ebenso sieglos wie in dieser Saison in den drei Duellen in Liga und Pokal. Gegen keinen anderen Klub der Liga hatten die Würzburger eine ähnlich schwarze Serie. Nun also glückten den Würzburgern gegen ihren vermeintlichen Angstgegner drei Siege binnen sechs Tagen.
Und das mit einer dezimierten Mannschaft, die in Spiel eins mit US-Anführer Otis Livingston II den besten Offensiv- und wertvollsten Spieler der Liga mit einem Innenbandriss im Knie verloren hatte. Ins vierte Duell ging Ugrai mit einer gebrochenen Nase, US-Guard Isaiah Washington ließ sich mit einem lädierten Knöchel fitspritzen, und Owen Klassen lief nach der rüden Attacke seines Gegenspielers in Spiel drei mit einem dick getapten Nacken auf. "Einige Außenstehende haben nach Spiel zwei vermutlich gedacht, ein Weiterkommen ist unmöglich. Aber diese Gedanken haben wir nicht an uns herangelassen. Wir haben immer an uns geglaubt", sagte der Kanadier.
Sasa Filipovski lobt seine Mannschaft in höchsten Tönen
Tatsächlich scheint für diese Schicksalsgemeinschaft kein Graben zu tief, um nicht durchzuwaten, keine Hürde zu hoch, um nicht auch darüber hinwegzugehen. Mit der Musketier-Mentalität "Einer für alle, alle für einen" und einem schier unbändigen Willen haben die Baskets mit Ulm den hohen Favoriten aus dem Wettbewerb gekegelt. "Diese Jungs sind einfach großartig. Sie geben nie auf, niemals. Ich habe nun ja schon einige Trainer-Stationen hinter mir, aber so eine Zusammenarbeit und so einen Zusammenhalt habe ich selten erlebt. Wie die Jungs sich gegenseitig unterstützen, sich umeinander kümmern, das ist wirklich einzigartig", sang Filipovski das Hohelied auf seine Schützlinge.
Ein Musterbeispiel für die schier unerschütterliche Resilienz des Teams war das vierte Play-off-Duell, als die Ulmer im letzten Viertel die Partie scheinbar zu ihren Gunsten gedreht hatten und den Hausherren die Strapazen der zurückliegenden Tage spürbar anzumerken waren. 69:63 führten die Gäste 1:40 Minuten vor Schluss und wähnten sich bereits auf der Straße Richtung Spiel fünf am Sonntag in Ulm, als die Baskets ein letztes Mal in dieser Serie ihr Herz in beide Hände nahmen.
Getragen von den Anhängern in einer abermals atemberaubenden Atmosphäre ("Vor diesen Fans kannst du gar nicht ohne Energie spielen", Filipovski) glich US-Fanliebling Zac Seljaas mit zwei tollkühnen Drei-Punkte-Würfen die Partie erst wieder aus. 3,8 Sekunden vor Schluss verwandelte er dann gegen nun konsterniert wirkende Ulmer eiskalt die beiden entscheidenden Freiwürfe zum Endstand. "Wir haben das Selbstvertrauen, auch diese Würfe zu nehmen. Das haben wir uns im Training hart erarbeitet, aber jetzt auch in dieser Serie. Wir wollten hier in unserer Halle unbedingt diesen Sieg und haben daher alles auf dem Court gelassen", sagte der 26-Jährige, der mit 19 Punkten bester Werfer der Partie war.
Im Halbfinale wartet Bayern München
Die unglaubliche Reise der Baskets durch die Saison 2023/24 geht also weiter, nach einem trainingsfreien Wochenende startet an diesem Montag die Vorbereitung auf die Halbfinal-Serie. Vergangene Saison hatten die Ulmer mit Alba Berlin zunächst den Titelverteidiger und dann im Halbfinale den amtierenden Pokalsieger aus dem Rennen geworfen.
Der hieß damals wie heute FC Bayern München, der nun zunächst zweimal in der Landeshauptstadt (Mittwoch und Freitag, jeweils 20.30 Uhr, BMW Park) auf die Würzburger wartet. Wiederholt sich Geschichte? "Halbfinale klingt gut, aber jetzt wollen wir auch gewinnen", richtete US-Flügelspieler Javon Bess schon mal eine Kampfansage an das Star-Ensemble von der Isar.