
Die Pfälzer wieder. Als ob Saumagen und Leberwurst nicht genug der Erfindungen gewesen wären, musste noch ein Sportgerät her, wie es unhandlicher nicht sein kann. Weil aber Otto Feick, ein gestandener Pfälzer, in den Zwanziger Jahren auf Freiersfüßen durch die bayerische Rhön huschte, um sich seine Pauline einzufangen, widmete er nach gutem Gelingen seinen Geistesblitz der neuen Heimat: Rhönrad sollte das Ding aus zwei Stahlringen und sechs Querstreben heißen.
Und das war so ziemlich alles, nur nicht leicht zu beherrschen. Da seinerzeit die Herren ihren Damen zwar hübsche Gesten zukommen ließen, ihnen aber nicht viel zutrauten, war's zunächst Männersache. In langen, weißen Hosen und Trägershirts kurvten die Turner mit den Ungetümen über die Wiesen, drehten sich um alle möglichen Achsen.
- Zur Historie des Rhönrades: Wie man in der Rhön das Rad erfand
Das sah natürlich wesentlich eleganter aus, als die kindliche Narretei, der Feick sich zunächst erinnert hatte: Opa hatte ihm zwei Fassreifen mit Streben verbunden, damit er den Abhang halsbrecherisch hinunter sausen konnte. Am 9. November 1925 war das Rhönrad reif fürs Patent. Drei Jahre später fanden der Pfälzer und sein Rad bei der TG 48 Würzburg begeisterte Mitstreiter und eine sportliche Heimat: Die Turngemeinde hat heute die älteste noch aktive Rhönrad-Abteilung der Welt.

91 Jahre später demonstrieren die Würzburger Turnerinnen Ende Mai bei der Turn-Gala und der Golden-Age-Gala im Rahmen des Schweinfurter Landesturnfestes, was man heutzutage mit einem Rhönrad alles anstellen kann. Ja, Turnerinnen. Denn irgendwann hatten auch die Frauen sich zwischen die zwei Stahlringe geschwungen - und seit ein paar Jahrzehnten dominieren sie die Szene.
Aus dem Männersport wurde einer für Frauen und Mädchen
"Weil es stark auf Körpergefühl, Gelenkigkeit und Ästhetik ankommt", sagt Brigitte Brauner, seit 1988 TG-Abteilungsleiterin und seit 1994 Landesfachwartin für Rhönrad-Sport im Bayerischen Turnverband (BTV). Aktuell verirrt sich gerade mal ein Bub in der Würzburger Mädchenriege. Dabei erfordere das Rhönrad-Turnen Kraft, und gefährlich sei es auch, ein Finger ist schnell eingezwickt zwischen 50 Kilogramm Stahl und Boden.
Die Faszination Rhönrad hat Brauner seit dem ersten Kontakt 1966 nicht mehr losgelassen. Sechs Jahre später turnte sie ihren ersten Bundesklassen-Wettbewerb, später war sie bayerische und deutsche Meisterin. Da erst 1990 der Internationale Rhönrad-Verband gegründet wurde, kamen Europa- oder Weltmeisterschaften für sie zu spät. Die Liebe zu ihrem Sport aber blieb: "Das Besondere ist, dass es, anders als beim Kunstturnen, ein rollendes Sportgerät ist. Das erfordert Vielseitigkeit, weil in, auf und mit dem Rad geturnt wird. Dazu kommen Akrobatik-Elemente wie Sprünge, Salti oder Schrauben." Eine gute Körperspannung sei zwingend Voraussetzung, eine tänzerische Ausbildung nicht von Schaden.
Eine Kür dauert bis zu dreieinhalb Minuten. In dieser Zeit drehen sich die Turnerinnen nicht mehr so sehr wie früher im Zentrum des Rhönrades, vielmehr spielen sie mit dem Gerät, lassen es enteilen, springen wieder auf, gehen in den Handstand und springen artistisch wieder herunter. "Der Sport ist sehr dynamisch", sagt Brauner, die 16 Jahre lang auf Bundesebene für die Nachwuchsarbeit des DTB verantwortlich war. "Das Rad muss dein Freund sein. Du musst mit ihm verschmelzen, aber es auch einschätzen können und Respekt vor ihm haben."
Attribute, die das Rhönrad ideal für therapeutische Zwecke machen. Beispielsweise für den Angstabbau bei psychisch Kranken. Oder in der Bewegungstherapie für geistig Behinderte, Blinde oder Sehbehinderte. Brauner, die an der Neurologie der Würzburger Uni-Klinik für die Deutsche Gesellschaft für Muskelerkrankungen (DKM) als Ergotherapeutin und Feldenkrais-Pädagogin arbeitet, begann vor 30 Jahren mit solchen Programmen.
Rhönrad-Turnen als Therapie für Menschen mit Handicap
Und sie schrieb ein Buch dazu: "Stell den Alltag auf den Kopf - Rhönradturnen mit Behinderten". Es geht auch darum, das Selbstwertgefühl gehandicapter Menschen über Körperbeherrschung zu steigern. Aber: Ein weit verbreiteter Einsatz des Rhönrades scheitert an Übungsleiter-Mangel.
Den es bei der TG 48 Würzburg zwar auch gibt, nicht aber Nachwuchssorgen - aktuell ist gar ein Aufnahmestopp nötig. Die Kontinuität des Rhönrad-Turnens im Verein ist mit einem Namen verknüpft: Otto Faber. Der belebte schon kurz nach dem Krieg die Sportart wieder, die nicht zuletzt wegen der Riefenstahl-Ästhetik von den Nationalsozialisten zu Körperkult- und Propagandazwecken missbraucht und von den US-Amerikanern nicht gelitten wurde. Fabers Tochter Brigitte führte sein Schaffen fort, war mehrfach deutsche Meisterin und ist immer noch Trainerin.

Im Vordergrund steht bei der TG der Wettkampfsport, trainiert wird vier, fünf Mal die Woche. Würzburg stellt mit Carina Weißenberger die bayerische Meisterin bei den Frauen. Einen großen Rahmen nimmt auch der Show-Bereich ein. Die Würzburgerinnen sind gut gebucht, das bringt Image und spült Geld in die Kasse. Das es braucht: Ein Rhönrad kostet zwischen 1500 und 2000 Euro, 35 hat die Abteilung - schließlich muss für jede Körpergröße eine Auswahl vorhanden sein. "Insgesamt werden die Räder größer", sagt Brigitte Brauner - weil die immer akrobatischeren Übungen Platz brauchen.
Mit den spektakuläreren Darbietungen verbinden die Rhönrad-Turner die vage Hoffnung, ihr Sport - in dem Deutschland führend ist - könne vielleicht doch olympisch werden. "Dazu müsste man den Sport aber wohl neu erfinden, am besten in den USA", so Brauner. Eine spektakuläre, weil noch dynamischere Variante ist bereits dazu gekommen und hat vermutlich bessere Chancen: das Cyr-Rad. Das besteht nur aus einem Ring - und mit Carmen Lück kommt die amtierende Weltmeisterin aus Bayern.
Auch eine Weltmeisterin ist beim Landesturnfest am Start
Die Regensburgerin wird beim Landesturnfest im Show-Programm zu sehen sein. Wie die rund 20 Turnerinnen der TG 48. Zehn bis zwölf Würzburgerinnen nehmen am Bayernpokal, dem offiziellen Rhönrad-Wettkampf teil, der im Dittelbrunner Marienbachzentrum am 31. Mai ausgetragen wird. Gut 160 Teilnehmer haben gemeldet - so viel wie noch nie bei einem bayerischen Landesturnfest.