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FUSSBALL: DRITTLIGA-RELEGATION
Profitum und zurück: Das Auf und Ab von FC-05-Gegner Havelse
Nach dem 0:1 im Willy-Sachs-Stadion muss der FC 05 nun beim TSV Havelse antreten. Doch wo ist der Klub zu Hause und was macht ihn aus?
Forcieren nach dem 1:0 im Relegations-Hinspiel ihren nächsten großen Wurf: Die in Schweinfurt rot gekleideten Spieler des TSV Havelse. 
Foto: foto2press/Frank Scheuring | Forcieren nach dem 1:0 im Relegations-Hinspiel ihren nächsten großen Wurf: Die in Schweinfurt rot gekleideten Spieler des TSV Havelse. 
Maurice Lötzsch
 |  aktualisiert: 11.02.2024 18:58 Uhr

TSV wer? Havelse?? Wo liegt das denn??? Und was zeichnet den Gegner des FC 05 Schweinfurt in der Drittliga-Relegation aus, der die Unterfranken am Samstag (13 Uhr) zum entscheidenden Rückspiel um den Aufstieg empfängt? Mit dem Vorteil eines 1:0-Siegs aus dem Hinspiel.

Havelse ist keine Stadt – es ist ein Stadtteil des niedersächsischen Garbsen, das nordwestlich im Speckgürtel Hannovers liegt. Knapp 61 000 Einwohner zählt man dort, knapp über 5000 sind's in dem an Hannover grenzenden Ortsteil Havelse.

Obwohl man sich beim TSV als Breitensportverein sieht, konnte die Fußballabteilung für die größte Bekanntheit sorgen. 1954 spielten die Havelser das erste Mal in der damaligen Amateuroberliga Niedersachsen drittklassig und besiegten unter anderem den haushohen Favoriten Werder Bremen mit 3:1 im DFB-Pokal.

Zwangsabstieg und Schuldenberg als Bürde

Die von ihren Rivalen als "Toto-Elf aus Totohausen" bezeichneten Kicker zogen sogar als Vizemeister in die Oberliga-Aufstiegsrunde ein, dort endete die wilde Fahrt aber gegen deutlich stärkere Gegner. Ein Jahr später kam der Schock: Dem Vereinsvorsitzenden Göing, der bei einer niedersächsischen Lotto-Gesellschaft arbeitete, wurde vorgeworfen, Spieler besser bezahlt zu haben, als es die damaligen Amateurstatuten erlaubten.

Es kam zum Zwangsabstieg, der Vorsitzende hinterließ einen Schuldenberg. Nach schweren Jahren und einer Bezirksliga-Meisterschaft 1975 kam der TSV auf insgesamt acht Saisons Drittklassigkeit, ab 1986 mit der späteren Freiburger Legende Volker Finke an der Linie. 1989 gelang der große Wurf: die Oberliga-Meisterschaft. In der Relegation musste sich der Underdog aber dem MSV Duisburg und Preußen Münster geschlagen geben.

Tobias Fölsters spätes Freistoß-Tor im Willy-Sachs-Stadion war nicht das erste, das den TSV jubeln ließ. Schon 1990 war eine Standardsituation entscheidend. 
Foto: foto2press/Frank Scheuring | Tobias Fölsters spätes Freistoß-Tor im Willy-Sachs-Stadion war nicht das erste, das den TSV jubeln ließ. Schon 1990 war eine Standardsituation entscheidend. 

Doch in Havelse hatte man Blut geleckt. Ein Jahr später zogen die Rot-Weißen als Zweitplatzierter in die Zweitliga-Aufstiegsrunde ein. Mit einem 3:2 gegen den Wuppertaler SV gelang der Aufstieg. Ein Freistoßtor sorgte für kollektiven Freudentaumel – wie beim 1:0 in Schweinfurt am vergangenen Samstag in der letzten Sekunde des Relegationshinspiels.

Die Mannschaft aus Halbprofis konnte damals aufgrund der schmalen Vereinskasse nicht adäquat verstärkt werden. Das Stadion musste umgebaut werden, es war den Lizenzauflagen kaum gewachsen. Auch Wundertrainer Finke wurde zum Politikum. Die Lockrufe vom Nachbarn Hannover 96 schallten über die Stadtgrenzen hinweg, die Unruhe im Verein trübte das Erlebnis 2. Bundesliga. Finke löste nach einer Durststrecke seinen Vertrag auf, über den Umweg 1. SC Norderstedt fand er seinen Weg 1991 auf die Bank des SC Freiburg – der Rest ist Geschichte.

Wurde schon während seiner Zeit in Havelse kräftig umworben: Der spätere Freiburger Langzeit-Coach Volker Finke.
Foto: Matthias Hangst/Witters | Wurde schon während seiner Zeit in Havelse kräftig umworben: Der spätere Freiburger Langzeit-Coach Volker Finke.

Die Freizeitkicker konnten dem Niveau des Profitums nicht standhalten, am Saisonende fand man sich nach 25 Niederlagen – mit sechs Punkten vor Mitaufsteiger FC 05 Schweinfurt – auf dem vorletzten Platz wieder. In Havelse siegten die Niedersachsen 4:1 (der höchste Sieg der TSV-Zweitliga-Geschichte), in Schweinfurt gab's ein 1:1.

Der kleine TSV spielte wieder in der Oberliga, wurde aber immer weiter nach unten durchgereicht und landete knapp zehn Jahre nach dem Profiabenteuer in der sechsten Liga. Kurios auch, dass 2004 ein so großes Loch in der Vereinskasse war, dass der Verkauf von zwei vereinseigenen Tennisplätzen den Verein entschuldete. 2005 versuchte man, sich durch den Verkauf von Hosenwerbung eine müde Mark zu machen, was damals nicht den DFB-Statuten entsprach. Erst 2008 wurde das Verbot gekippt.

Atomkraft? Nein, danke!

Dass der TSV erst 2010 wieder bundesweit für Schlagzeilen sorgte, lag auch am Aufstieg in die viertklassige Regionalliga, allerdings sorgten Atomkraftgegner für Sorgenfalten. Als Anfang November der 1. FC Magdeburg zum Meisterschaftsspiel kommen sollte, bahnte sich ein Castor-Transport seinen Weg ins Atommüllendlager nach Gorleben. Da es den Verdacht gab, dass sich rund um den Transportweg Aktivisten für Störungen bereithalten würden, zog die Polizei in Niedersachsen sämtliche Kräfte zusammen – übrig blieben zu wenige, um dazu noch ein Regionalligaspiel schützen zu können.

Nachdem man sich zwei Jahre später in der ersten DFB-Pokalrunde gegen den 1. FC Nürnberg durchgesetzt hatte, stand man in Havelse vor dem nächsten Problem: Das heimische Wilhelm-Langrehr-Stadion besitzt kein Flutlicht. So musste eine mobile Lichtanlage herangezogen werden, um das Feld für TV-Kameras perfekt auszuleuchten.

Nun könnte die bewegte Geschichte des TSV Havelse ihr nächstes Kapitel bekommen. Wenn es nichts wird mit dem erneuten großen Wurf, dann ist am Sonntag wieder alles normal im beschaulichen Garbsen. Der Veranstaltungskalender zeigt derzeit nur ein Jazz- und Pianofrühstück.

 
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