In der 2005 eröffneten Münchner Allianz Arena wurde seither reichlich Sportgeschichte geschrieben: Die Weltmeisterschaft 2006 fand dort statt, der FC Bayern München siegte dort rauf und runter, verlor dort das Champions-League-Finale "dahoam" 2012 – und nun, am Sonntag, wird erneut Sportgeschichte geschrieben. Statt rund ist das Spielgerät aber diesmal eiförmig: In der Allianz Arena treffen die Tampa Bay Buccaneers um ihren Superstar Tom Brady im ersten NFL-Spiel auf deutschem Boden auf die Seattle Seahawks. Die Tickets für den American-Football-Kracher waren binnen Minuten ausverkauft. "Drei Millionen Tickets hätten verkauft werden können, wenn das Stadion ausreichend Kapazität hätte", behauptete NFL-Deutschland-Chef Alexander Steinforth. Auch drei footballbegeisterte Schweinfurter blicken gespannt auf das Event. Für den 18 Jahre alten Hendrik Müller wird es ein ganz besonderes Wochenende.
Warum? Der Jugendspieler wird nicht nur am Sonntag live im Stadion sein erstes Spiel der National Football League sehen, er wird auch am Tag zuvor selbst in einem prestigeträchtigen Match auf dem Feld stehen. Der Wide Receiver spielt mit der U-19-Bayernauswahl als einziger Schweinfurter im Team gegen die "NFL Academy" – eine Kaderschmiede der US-amerikanischen Profiliga in London, die für 16- bis 19-jährige Talente aus Europa gedacht ist. Im altehrwürdigen Münchner Dantestadion wird Müller die bislang größte Bühne seines Lebens nutzen wollen. "Zeig ihnen, was du drauf hast", sagt ihm sein Schweinfurter Trainer Lawrence Breckler bei einem Kaffee am Mittwochabend. Mit am Tisch sitzt auch noch Michael Phillips Jr., der Co-Trainer der Schweinfurter U-19-Mannschaft und Cheftrainer der Männermannschaft des gemeinsamen Teams der Ball Bearings und der Schweinfurt Hornets. Gemeinsam konnten die drei erst am vergangenen Wochenende einen Überraschungserfolg feiern: Im "U 19 Flag" landeten die Schweinfurter bei der bayerischen Meisterschaft auf Platz zwei. Beim Flag Football handelt es sich um eine Variante des American Football ohne Körperkontakt, die bis 2028 olympisch werden soll.
Hendrik Müller lässt trotz seiner Nominierung das Team nicht aus den Augen
Natürlich mögen die drei es aber auch, wenn es ordentlich kracht auf dem Spielfeld. Tacklings sind das Hauptmerkmal der Sportart in der Ursprungsvariante. "Es ist kein Sport für Egozocker", erklärt Müller. Breckler führt aus: "Wenn du kein Teamspieler bist, werden die Anderen auch nicht für dich tacklen – und dann wird es schmerzhaft, egal, wie gut du bist." Coach Breckler, der auf die Frage, ob er US-Amerikaner ist, übrigens mit "nein, ich bin Texaner" antwortet, schwärmt für "seine" Sportart: "Es ist der intelligenteste Mannschaftssport der Welt." Demnach müssen er und Phillips Jr. so etwas wie die Masterminds sein. Phillips Jr. lacht: "Nein. Am Ende ist es vor allem viel Statistik." Im Training werden offensiv wie defensiv diverse Taktiken und Spielzüge probiert. Die, die am häufigsten funktionieren, werden am Spieltag genutzt.
Die Sportart entwickelt sich immer weiter weg vom "Haudrauf-Sport" hin zum athletischen Sport, so Breckler. Über 50 Spieler sind Teil eines Teams, dessen Zusammenhalt essenziell für den Erfolg ist. "Du musst deine Mitspieler quasi lieben", meint Breckler. Alles geht über das gegenseitige Vertrauen. Natürlich ist die Sportart hierzulande auch immer noch etwas für Quereinsteiger. Breckler erinnert sich an einen starken Quarterback, den er einst trainierte. "Der war davor Speerwerfer", sagt er und schmunzelt beim Gedanken an ihm. "Jeder kann Football spielen."
In Schweinfurt soll es nach der Fusion der Ball Bearings und der Hornets aufwärts gehen
In Schweinfurt wird seit 1985 Football gespielt, so lange schon wie sonst fast nirgends in Deutschland. Seit 2012 bestehen zwei Vereine. Aus den Ball Bearings heraus entstanden zusätzlich die Hornets. Die alten Fehden wurden jetzt allerdings endlich weitgehend begraben. Nach dem gemeinsamen Jahr als Quasi-Spielgemeinschaft 2022 (mit Platz drei in der Landesliga) wird es künftig nur noch gemeinsame Sachen geben. Unter der Woche beschlossen die Verantwortlichen den endgültigen Zusammenschluss. Jetzt sind nur noch Details zu klären. Nächstes Jahr wird man unter einer Flagge und mit einem neuen Namen als als Abteilung der DJK Schweinfurt an den Start gehen.
"Es wird Zeit, dass Schweinfurt im Football wieder hochkommt", findet Phillips Jr.. Ein Hauptaugenmerk wird dann auch weiter auf der Jugendarbeit liegen. "Wir machen die beste Jugendarbeit in Unterfranken. Wir leisten gute Aufbauarbeit und sind stolz auf unsere Jungs", befindet Philipps Jr.. Mit Cedric Anton schaffte es immerhin gerade ein Ex-Schweinfurter Jugendspieler ans US-College, mit Lars Kozwlowski feierte ein weiterer Ehemaliger im vergangenen Jahr eindrucksvolle Erfolge auf nationaler und internationaler Ebene. Und vielleicht kann Hendrik Müller am Wochenende ja die nächste Erfolgsgeschichte "made in Schweinfurt" schreiben.
Am Sonntag sitzt er dann genauso wie Phillips Jr. in der Allianz Arena. Breckler konnte keine Karten mehr ergattern. Der Texaner nimmt es locker. 1971 sah er sein erstes NFL-Spiel – mit seinem Vater, der als Journalist arbeitete, ging er damals zu einem Preseason-Spiel der Dallas Cowboys. Die Texaner gewannen in der Saison dann den Super Bowl, Breckler blieb Fan des Teams, natürlich bis heute. Philipps Fanherz schlägt für die San Francisco 49ers, das von Müller für die New England Patriots. Keines der Teams spielt in München. Dafür aber Superstar Tom Brady. "Und der spielte ja lange für die Patriots", klärt Müller auf. Und dieser Brady kann den Sport, den eigentlich jeder spielen kann, bekanntlich außergewöhnlich gut. Vielleicht können sich die Schweinfurter dann doch noch etwas abschauen.