
In dem Moment, als Hubert Karl über seine größte Angst spricht, kann man sie quasi vor der Tür seines schnuckeligen Hauses in Zeil am Main (Lkr. Haßberge) hören. Denn in dem Moment, als der 65-Jährige erzählt, dass es wilde Hunde sind, die ihm vor seinem anstehenden US-Trip Kopfzerbrechen bereiten, bellt draußen ein Vierbeiner.
Hubert Karl – nicht zu verwechseln mit seinem Ochsenfurter Namensvetter, dem ehemaligen deutschen Meister über 3000 Meter Hindernis – ist Ultraläufer. Einer, der in seinem Leben bisher beinahe 200.000 Kilometer gelaufen ist. Diese Marke will er am 31. August dieses Jahres knacken. Dafür aber muss zunächst auf dem bevorstehenden Abenteuer alles glattlaufen. Karl will ab dem 27. März im Alter von dann 66 Jahren in 66 Tagen die Route 66 quer durch die USA laufen. 4000 Kilometer. Von Chicago nach Los Angeles.
"Die Idee ist mir gekommen, als ich nach einer Einladungskarte zu meinem 60. Geburtstag gesucht habe", erzählt Karl in seiner Scheune, in der er unzählige Erinnerungen an seine Läufe aufbewahrt. Fein säuberlich sortiert hängen sie da an der Wand. Bilder, Medaillen, T-Shirts. Auf der Karte stand damals "My Route 66", Karl wandelte den Schriftzug ab in "My Route 60". Die Idee aber, seine Route 66 mit 66 Jahren zu laufen, schwirrte ihm von da an im Kopf herum.

Sechs Jahre lang. In wenigen Wochen ist es endlich soweit. "Ich bin einfach froh, wenn ich am Start stehe", sagt Karl. Geplant ist ein klarer Rhythmus. Acht Stunden laufen, acht Stunden Ruhe und Vorbereitung, acht Stunden schlafen. Begleitet wird er von seiner Frau und seinem Bruder. Etwa von der Mitte der USA geht es hinüber zur Westküste. Durch verschiedenste Bundesstaaten. Durch Metropolen und Geisterstädte. Und das – wegen der Temperaturen – mitten in der Tornado-Zeit.
Und dennoch sind es die Hunde, die Karl Angst bereiten. Er hat das Buch eines Schweizers gelesen, der die Strecke auf dem Fahrrad absolviert hat. In 41 Tagen. In dem Buch sind bereits viele Dinge angestrichen, Karl hat sie markiert. "Mit den wilden Hunden hat er wahnsinnige Probleme gehabt", sagt der Ultraläufer. "Was er da geschrieben hat, war schon grenzwertig. Ich bin mal gespannt." Schließlich seien die Tiere keine Fußgänger oder Radfahrer gewöhnt und könnten angreifen. "Dann brauche ich einen Baum", sagt Karl und grinst.
217 Kilometer bei Temperaturen von mehr als 50 Grad Celsius
Hubert Karls Ziel ist ambitioniert. Unrealistisch ist es aber keinesfalls. Der Ausnahmesportler hat in seinem Leben bereits viele spektakuläre Läufe absolviert. Etwa den rund 90 Kilometer langen Comrades Marathon in Südafrika oder den Badwater Ultramarathon im Death Valley. 135 Meilen (217,26 Kilometer) quer durchs US-amerikanische Tal des Todes bei Temperaturen von bis zu mehr als 50 Grad Celsius.

Und natürlich den Spartathlon, dem Karl seinen Spitznamen "Mr. Spartathlon" zu verdanken hat. Als weltweit einziger Läufer hat der Zeiler den 246 Kilometer langen Nonstop-Lauf von Athen nach Sparta 25 Mal erfolgreich absolviert, nur dreimal musste er abbrechen. Auch die "Authentic Version" (Athen - Sparta - Athen) hat er schon gemeistert. Sein Antrieb: Der Zieleinlauf. Der sei in Sparta etwas ganz Besonderes, sagt der Opa von vier Enkeln. Wenn die Zuschauerinnen und Zuschauern im Zielbereich stehen und jubeln. Außergewöhnlich sei das.
Zwischen 28 Stunden, seiner persönlichen Bestzeit, und dem Limit von 36 Stunden ist Karl beim Spartathlon unterwegs. Dabei verbraucht er rund 15.000 Kalorien. Einen Teil dieser Energie holt er sich über Bananen, Gels, Müsli-Riegel und Cola wieder rein. Und über Haferkekse. "Ich liebe diese Hobbits", sagt er. Um Salzverlust auszugleichen, isst Karl Fünf-Minuten-Terrinen, die seine Frau rechtzeitig vorbereitet, damit sie nicht zu heiß sind, wenn er sie in Empfang nimmt. "Da trinke ich ein alkoholfreies Hefebier drauf, dann habe ich wieder eine Grundlage drin."
Hubert Karl baut viele Nahrungsmittel selbst an
Zwangsläufig stellt sich bei einem derart langen Rennen die Frage, was ist, wenn die Nahrung auch irgendwann mal wieder raus muss. Das kleine Geschäft sei an der Strecke kein Problem. "Und sonst geht es halt ins Gebüsch, wenn man was findet. Schlecht ist es, bis man aus Athen rauskommt", sagt Karl. Die ersten 25 Kilometer verlaufen durch die griechische Hauptstadt.
Ernährung spielt für Karl – im Beruf selbstständiger Lauftherapeut – eine große Rolle. In seinem Garten wächst selbst angebautes Gemüse, am Haus die eigenen Trauben. Mit Kernen, schließlich sind darin die wichtigen Antioxidantien versteckt, wie Karl berichtet. Jetzt im Winter ist es der Winterkohl, aus dem der Extremsportler seine Kraft schöpft. Auch der aus eigenem Anbau. Dazu kommen viele Kräuter, die in einer Kräuterspirale im Garten angebaut sind. Fleisch bekommt er von befreundeten Jägern. Ab und an mal ein Gel beim Laufen, ansonsten ernährt sich Karl ausschließlich natürlich.

Den inneren Schweinehund kennt Karl trotz beinahe 200.000 gelaufener Kilometer immer noch. "Man sagt eigentlich in jedem Rennen, das ist mein letztes", berichtet er. "Letzter Ultralauf oder letzter Spartathlon. Das habe ich beim ersten gesagt, und das habe ich beim 24. gesagt."
Zum Laufen gekommen ist Karl übrigens nur, weil er als ehemaliger Fußballer mehr Kondition gebraucht hat. Also habe er ein paar Läufe gemacht, sagt er. "Ein halbes Jahr später bin ich meinen ersten Marathon gelaufen."