Das 750-Einwohner-Dorf Aubstadt war am Samstag Bayerns Fußball-Hauptstadt. Im vergangenen Jahr wurde der TSV Aubstadt 100 Jahre alt, gefeiert wurde aber wegen der Corona-Pandemie nicht. An diesem Samstag wurde die Feier nun nachgeholt - und wie: Vor 3000 Zuschauerinnen und Zuschauern, sportlich, im Halbfinale um den bayerischen Pokal, gegen einen Verein mit ruhmreicher Historie, gegen den Drittligisten TSV 1860 München.
Dem fast jeder der 3000 Anwesenden wünschte, dass er den Aufstieg in die 2. Liga schafft, die Mehrzahl, dass er dieses Pokalspiel verliert. Und die Mannschaft von Trainer Victor Kleinhenz machte sich so unsterblich, dass man mindestens beim 150-Jährigen auch noch von diesem Ereignis spricht, dem 4:3-Sieg nach Elfmeterschießen.
Zollkontrolle bringt den TSV Aubstadt nicht aus dem Konzept
Extra Trikots hatten sie sich anfertigen lassen vom Ausrüster Michael Helmerich, mit den beiden Vereinswappen und dem Schriftzug "TSV Aubstadt vs. TSV 1860 München" vorne unter dem Kragen-Bündchen. Veredelt haben es die Aubstädter mit einem Sieg, an den, trotzt allen Respekts, alle felsenfest geglaubt hatten – vom Torwart Lukas Wenzel bis zum Platzwart Walter Gerner. "In einem Spiel ist alles möglich“, war gebetsmühlenartig zu hören.
Das hatte nichts mit Arroganz oder Selbstüberschätzung zu tun. Für den Glauben an die eigene Stärke sprachen die gesamte Top-Vorrunde des TSV Aubstadt und das 3:0-Comeback in Burghausen nach drei sieglosen Spielen nach der Winterpause. Diese verschworene Einheit von Mannschaft würde sich durch nichts erschüttern lassen: Nicht einmal durch eine Krimi-reif durchgeführte Schwarzarbeiterkontrolle durch 18 Zollbeamtinnen und Zollbeamte mit einstündiger Befragung in verschwitzten Klamotten auf dem Trainingsplatz am Donnerstagabend.
Frecher und mutiger Auftritt des TSV Aubstadt gegen die Löwen
Dieses Selbstvertrauen bekam 1860 München vom Anpfiff weg zu spüren. Die Aubstädter begannen das Pokal-Halbfinale frecher und offensiver als die meisten Ligaspiele. Was gegen Türkgücü München im Viertelfinale (3:1) geklappt hatte, sollte doch hier auch möglich sein. Doch schon bald war klar: Diese Löwen waren besser als Türkgücü und dennoch nicht besser als die selbst ernannte "Macht im Grabfeld".
Nur so richtig höherklassig und als Favorit vermochten auch sie 70 Minuten lang nicht in dieses Spiel zu finden und aufzutreten. Erst, als die Gastgeber nicht nur spielbestimmend und de facto die bessere Mannschaft gewesen waren – und die vierte oder fünfte Chance endlich zum 1:0 genutzt hatten, da brüllten die Löwen, glichen auf eine für Aubstadt sehr unglückliche Weise zum 1:1 aus.
Danach holten sie ein paar Minuten Luft, die auch die Gastgeber nötig hatten, dann wollten sie alles noch vor dem Elfmeterschießen regeln. "Nein, Elfmeterschießen haben wir nicht geübt", hatte der Löwen-Trainer Michael Köllner vorher im TV-Interview gestanden. Es wäre wohl das falsche Signal an seine Mannschaft gewesen, die doch nach vier Siegen zuletzt bei Waldhof Mannheim beim 0:3 verunsichert worden war. Schließlich hatten sie ja die Aufgaben bei den Regionalligisten Buchbach (in der Nachspielzeit) und Burghausen (im Elfmeterschießen) auch gelöst.
Köllner hatte gegenüber dem Drittliga-Spiel in Mannheim nur Torhüter Tom Kretzschmar und den Youngster Milos Cocic neu in der Startelf aufgeboten. Die erste Großchance hatte schon in der vierten Minute Joshua Endres, der nach feiner Vorarbeit von Leon Heinze aber nur das Außennetz traf. Der gegenseitige Respekt war bis dahin noch gleich verteilt. Danach schüttelte ihn der Regionalligist zuerst ab.
Tim Hüttl belohnt den TSV Aubstadt mit dem 1:0
Michael Dellinger hatte als Nächster das 1:0 auf dem Fuß (19.). Sein Schuss wurde von Yannick Deichmann im letzten Moment geblockt. Dann scheiterte noch Marcel Volkmuth (40.) an Kretzschmar, der auch Ingo Fesers Freistoß, in die selbe Ecke wie bei zwei Standardtoren in Burghausen, um den Pfosten lenkte. TSV-Keeper Lukas Wenzel musste bis zur Pause nur einen Schuss von Marcel Bär abwehren.
Nach zwei Wechseln von Köllner, seinen einzigen, brachte auch Kleinhenz den ersten von vier Neuen: Den Polizisten Steffen Behr für den KFZ-Mechaniker Marcel Volkmuth, dem sein kongenialer Partner Ben Müller (Muskelfaserriss im Oberschenkel) zur Entfaltung seiner eigenen Stärken sehr fehlte. Tim Hüttl köpfte nach einer Feser-Ecke vom kurzen Fünfmetereck aus das 1:0 (67.).
Lukas Wenzel rettet Aubstadt ins Elfmeterschießen und wird zum Helden
Jetzt musste der Drittligist aber endlich mehr tun – und tat es auch. Nur diese letzten 20 Minuten machte er wirklich Druck, sah sich aber immer den Nadelstichen des TSV ausgesetzt. Doch der lange geschonte TSV-Schlussmann Wenzel schwang sich zum spielentscheidenden Akteur auf, wurde zum "Magier Wenzel". Als er und Christian Köttler sich gegenseitig im Luftkampf eliminierten, staubte Marcel Bär zum 1:1 ab (75.). Noch zwei Mal rettete Wenzel seine Mannschaft ins Elfmeterschießen mit unglaublichen Reflexen: gegen Richard Neudecker (90.+1) und noch einmal Marcel Bär (90.+3).
Und dann wuchs er zum Helden des Elfmeterschießens über sich hinaus, parierte drei von fünf Elfern und war nach dem entscheidenden (vom besten Sechziger Marcel Bär) von seinen Kollegen fast nicht mehr einzuholen. "Ich sag mal so, Vorbereitung ist alles", verriet er sein Geheimnis. "Ich habe keine Mühe gescheut, zusammen mit dem Trainer ein paar Schützen auszusuchen. Ich war top vorbereitet und wusste, wo sie hinschießen. Ich meine, wenn man in einem Halbfinale gegen 1860 drei von fünf Elfmetern hält, vor so einer Kulisse, dann weiß man, wofür man Fußball spielt."
Kein Zettel irgendwo in den Stutzen? "Ich habe doch ein gutes Gedächtnis." Später zeigte Wenzel dann doch seine Trinkflasche, auf der er die Notizen über die Schützen der Löwen aufgeklebt hatte. War es auch sein Jahrhundertspiel? "Zuschauermäßig nicht. Ich habe in Chemnitz schon vor 10.000 gespielt. Von der Wichtigkeit her schon."
Der verletzte Kapitän Ben Müller freut sich auf das Finale gegen Illertissen
Und Ben Müller, der Kapitän, sagte: "Vorher war ich schon etwas enttäuscht. Jetzt bin ich aber überglücklich, ins Finale eingezogen zu sein. Was die Mannschaft geleistet hat, war Wahnsinn – von der ersten bis zur letzten Minute gekämpft und dann so einen Riesen-Goalie hinten drin. Ich bin auf den Platz gerannt, ich war einfach nur froh, habe mit gezittert. Was wir heute geschafft haben, müssen wir noch am 21. Mai veredeln."
An diesem Tag soll das Endspiel gegen den Liga-Konkurrenten FV Illertissen stattfinden, der Spielort wird noch ausgelost. "Da bin ich hoffentlich wieder dabei. Dann haben wir eine ganz grandiose Saison gespielt", meinte Müller abschließend.
Anmerkung der Redaktion: Ben Müller, der Kapitän, hat im Viertelfinale gegen Türkgücü mitgespielt, und nicht verletzt gefehlt. Wir haben den entsprechenden Satz korrigiert.