Der Jüchsener Rentner Günter Wachmer ist seit fast zwei Jahrzehnten ein treuer Fan der Tischtennis-Mannschaft des TSV Bad Königshofen, hat sie als Chauffeur zu vielen Auswärtsspielen in ganz Deutschland gefahren und so manchen überraschenden Sieg mitgebracht. Den 3:2-Erfolg am Sonntagabend beim 33-fachen deutschen Meister und aktuellen Tabellenführer Borussia Düsseldorf wird er für den Rest seines Lebens nicht vergessen.
Man hörte ihn, ebenso wie die Köbers aus Köln und Ali Lediger aus Rheindorf immer öfter aus dem Publikum heraus, wenn sie zwischen dessen "Timo-Timo"-Rufen ihr "Kilian-Kilian" skandierten. Der 3:2-Sieg war natürlich ein Team-Erfolg der besonderen Art, zu dem alle drei eingesetzten Spieler des TSV Bad Königshofen beitrugen. Kilian Ort aber war mit zwei Einzelsiegen gegen den Team-Vizeweltmeister Kay Stumper und den großen Timo Boll natürlich der Mann des Spiels.
Bastian Steger gibt verletzungsbedingt das erste Einzel gegen Timo Boll kampflos ab
"Wer mit dem Teufel frühstücken will, braucht einen langen Löffel", schrieb Bertolt Brecht in "Mutter Courage und ihre Kinder." Kilian Ort, der verletzt nur im Doppel spielende Bastian Steger und Martin Allegro, acht Wochen nach seiner Hüft-OP, hatten einen solchen Löffel - und jede Menge Courage. Zu ersetzen waren nämlich Filip Zeljko und Yukiya Uda, die in Katar für ihr Heimatland anzutreten hatten.
Den ersten Dämpfer bekam die ganze Partie für die 400 Zuschauenden gleich am Anfang. Da hatte doch der Aufstellungspoker das Duell der alten Kumpels Timo Boll gegen Bastian Steger als Auftakt-Einzel ergeben. Ein Highlight sollte das sein. Doch als die beiden nach dem Einspielen die Köpfe zusammensteckten, zum Schiedsrichter gingen und der Hallensprecher verkündete, dass Steger verletzt sei und kampflos aufgeben müsse, rechneten die allermeisten schon mit einem kurzen, wenngleich für sie erfolgreichen Tischtennis-Abend.
Deshalb war man bei der Borussia auch nicht gar so böse, dass Kilian Ort mit seinem 3:1-Sieg gegen Kay Stumper wenigstens dafür gesorgt hatte, dass es Boll doch noch in Aktion zu sehen gab – gegen diesen Ort. Der glich also erst mal gegen Stumper aus, weil er sich im ersten Satz doch noch berappelte, ihn nach Dauerrückständen mit 12:10 klaute, in die Leader-Rolle schlüpfte und zum 1:1 für sein Team ausglich.
Martin Allegro verkauft sich im ersten Spiel nach seiner Hüft-OP teuer
In einem überaus interessanten Spiel, egal was den beiden im Kopf herum ging im Hinblick auf den später zu erwartenden Favoriten-Sieg. Beide klopfen ans Tor zum engsten Kreis der Nationalmannschaft. Also eine Standortbestimmung für Ort, den von Stumper schon überholten. Er spielte hier aber mit dem Messer zwischen den Zähnen, schien zu allem fähig zu sein an diesem Sonntagabend.
Danach war in der "Wundertüte" Martin Allegro zwar kein Sieg gegen den Inder Kamal Achanta. Wie er sich aber beim 1:3 zur Wehr setzte, war schon vielversprechend nach weniger als einer Woche, statt bei der Reha, beim Intensivtraining. Er sollte es später im Entscheidungsdoppel beweisen dürfen. Dennoch erneut Rückstand für den TSV – 1:2.
Jetzt bekam Kilian Ort an seinem Sahne-Tag die Belohnung für seinen ersten Sieg darin, dass er noch das Spitzen-Einzel gegen sein Vorbild Timo Boll bestreiten durfte. Wer sein Ziel nur darin vermutete, möglichst gut auszusehen, wurde überrascht. Nun spielte er noch aggressiver und risikobereiter, taktisch bedingt. Gegen den besten deutschen Tischtennisspieler aller Zeiten, bis Sonntag mit einer 9:0-Bilanz in der Liga, ein Ästhet seiner Sportart und sich in fantastischer Form befindend, hatte Ort schon einige Male nur gut ausgesehen, auch im Finale der deutschen Meisterschaft in Berlin 2018.
Diesmal wollte er mehr und lieferte eine Performance, die er, Boll und Tischtennis-Deutschland noch lange in Erinnerung behalten. Es war deshalb ein so berauschender Schlagabtausch, weil beide in Gala-Form spielten. Beim Stand von 1:2 Sätzen schien allerdings das Deja-vu für Ort unmittelbar bevor.
Überraschung im Doppel: Bastian Steger coacht, Martin Allegro wächst über sich hinaus
Doch der Königshöfer trotzte allen Prognosen, blieb bei aller äußerlich vermutbaren Verbissenheit locker und kalt wie eine Hundeschnauze. So fragte er beim sechsten Satzball und 14:13 im vierten Satz spaßhalber die Schiedsrichterin, ob er eine weitere Auszeit bekomme könne. Drei Bälle später hätte nämlich die ganze Partie beendet sein können. Dann gewann er 15:13 und auch den fünften, nach vier abgewehrten Matchbällen, mit 13:11 – und erzwang damit das Entscheidungsdoppel, für das die Borussia ihren Europameister Dang Qiu einwechselte.
Die Prognosen für das Königshöfer Handicap-Doppel waren gefühlt im Sinkflug. Doch in der Kabine hatte der Muskel-Wirbel-Magier Peter Hofmann an Bastian Steger die heilende Hand angelegt und ihn maximal halbwegs mobil gemacht. Sein Beitrag bestand vorwiegend im Ballhalten, Durchhalten und Coachen, der von Martin Allegro im Verwerten und Über-sich-Hinauswachsen. Während die Düsseldorfer aus dem Staunen nicht herauskamen und 1:3 untergingen. So dass am Ende die erste Heimniederlage der Borussia besiegelt war, die erste Saison-Niederlage von Timo Boll und der erste Sieg von Kilian Ort gegen Timo Boll in seiner Laufbahn.
Timo Boll - Bastian Steger 3:0
(11:0, 11:0, 11:0; kampflos)
Kay Stumper – Kilian Ort 1:3
(10:12, 11:9, 4.11, 6:11)
Kamal Achanta – Martin Allegro 3:1
(14:12, 8:11, 11:8, 11:6)
Boll - Ort 2:3
(9:11, 11:9, 11:4, 13:15, 11:13)
Dang Qiu/Achanta – Steger/Allegro 1:3
(9:11, 11:2, 7:11, 7:11)
Zuschauende: 400.
Der Mannschaftssieg war natürlich die Krönung dieses Erfolgs.
Dieser Sieg in Düsseldorf ist die Belohnung für alle Helfer dieses Vereins, die Bundesliga-Tischtennis im Grabfeld erst ermöglicht haben.
Die Krönung von bodenständigem Fleiß, Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft für diesen Sport.
Das habt ihr euch alle verdient, allen voran Kilian Ort, der diese tolle Unterstützung an diesem Tag in einem Sieg über Timo Boll zu einem Feiertag für den Verein werden ließ.