Jahreshauptversammlungen beim FC Bayern München haben oft etwas Volkstümliches, fast Familiäres. Und auch bei der unangefochtenen Nummer eins im deutschen Fußball geht es manchmal zu wie beim Sportverein ums Eck: Es gibt Plakate für scheidende Präsidenten – wie 2019 für Uli Hoeneß –, langweilige Vorträge und bisweilen auch Streit. Ein bisschen wie in einer Familie eben.
Das, was sich in der Nacht auf Freitag beim Treffen der Vereinsmitglieder ereignet hat, wäre mit dem Begriff „Streit“ aber nur äußerst unzureichend beschrieben. Stattdessen gab es Szenen, wie es sie noch nie gegeben hat. Um kurz nach Mitternacht war die Stimmung völlig gekippt. Einige Fans traten gegen Sitze, reckten die Faust zur Bühne hin und skandierten in Richtung des Bayern-Präsidenten „Hainer raus!“ sowie „Wir sind Bayern - und ihr nicht!“. Schließlich: „Wir sind die Fans, die ihr nicht wollt!“
Uli Hoeneß, der in seinem Leben mit dem Verein schon nahezu alles gesehen hat, betrat die Bühne und verließ sie dann doch wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Dafür sagte der frühere langjährige Vereinspräsident etwas, bevor er in einem Nebengang des Audi Domes verschwand: „Das war die schlimmste Veranstaltung, die ich je beim FC Bayern erlebt habe.“ Um mehr darüber sagen zu können, müsse er eine Nacht schlafen.
Auf der Veranstaltung war es zur offenen Eskalation zwischen weiten Teilen der Fans und dem Präsidium des deutschen Rekordmeisters gekommen. Entzündet hatten sich die Tumulte an den Geschäftsbeziehungen des FC Bayern München mit dem Emirat Katar in Vorderasien – und dem Umgang des Vereins mit seinen Fans. Dazu später mehr.
Zunächst zum Beginn. Die Versammlung, die nach den 2G-Regeln und mit nur 780 statt der erlaubten 1700 Fans stattfindet, startet am Donnerstag harmonisch. Auf dem Podium sind die elf Titel ausgestellt, die die Mannschaften des Vereins seit der letzten Jahreshauptversammlung vor zwei Jahren gewonnen haben. Es ist eine eindrucksvolle Sammlung, von der Meisterschaft der dritten Liga über den Gewinn der Champions League bis zum Weltpokal. Die damit verbundene Nachricht ist klar: Beim FC Bayern spielt die Musik. Oder, wie es Hoeneß-Nachfolger Präsident Herbert Hainer sagt: „Der FC Bayern muss immer die Richtung vorgeben.“
Der FC Bayern ist eben so viel mehr als nur ein Verein, sondern angesichts seiner Prominenz fast schon eine Art nationales Kulturgut. Die Richtung, die der Klub vorgibt, ist auch maßgeblich für viele andere Wettbewerber.
Mit Blick auf die Tumulte darf aber daran gezweifelt werden, ob die eigenen Fans mit der Richtung einverstanden sind, die ihr Klub vorgibt. Die Geschäftsbeziehungen mit Katar sind in der aktiven Fanszene seit langem ein Reizthema. Erst beim letzten Heimspiel gegen den SC Freiburg war in der Südkurve ein Banner zu sehen gewesen, das Vorstandschef Oliver Kahn und Hainer, bis 2016 Vorstandsvorsitzender der Adidas AG, beim Waschen blutverschmierter Wäsche mit der Aufschrift „Quatar Airways“ zeigte. Dazu der Schriftzug: „Für Geld waschen wir alles rein“.
Gregor Weinreich, der lange Zeit Vorsitzender der Fanklub-Vereinigung „Club Nr.12“ war, bezeichnet am Donnerstagabend die enge Geschäftsbeziehung des Vereins mit dem Staat, dem schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, als „offene Wunde“. In einem Wortbeitrag moniert er, wie der FC Bayern sich allgemein der Thematik annehme: gar nicht. Als Weinreich seinen Wortbeitrag beendet hat, gibt es anhaltenden Applaus. Es ist der längste der gesamten Veranstaltung.
Trotz vieler Ankündigungen, sich in einer Gesprächsrunde mit Fans auseinanderzusetzen, schwieg der FC Bayern stets zu „Katar“ und ließ Einladungen unbeantwortet. Oliver Kahn kassiert am Donnerstagabend hämisches Gelächter für seine Entgegnung auf Weinreichs Kritik, dass ein „Round Table“ „eine sehr, sehr gute Idee“ sei. Weinreich regte an, doch einfach das zweitbeste Angebot anstelle dem aus Katar für den Platz des Ärmelsponsors zu nehmen: „Ich verstehe nicht, warum sich unser Verein so schwer damit tut.“
Wie schwer sich der FC Bayern mit der Katar-Thematik wirklich tut, fördert der Vorstoß des 27-jährigen Vereinsmitglieds Michael Ott zutage. Der Jurist hatte einen Antrag eingereicht, wonach der FC Bayern das Sponsoring mit Quatar Airways, einer hundertprozentigen Tochter des Emirats, auslaufen lassen und auch künftig keine Geschäftsbeziehungen mehr mit staatlichen Unternehmen aus dem Emirat unterhalten solle. Weil der FC Bayern den Antrag nicht zuließ, versuchte Ott es mit einer einstweiligen Verfügung, scheiterte aber damit sowohl am Amts- als auch am Landgericht München. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Mitgliederversammlung nicht zuständig für die Sponsoring-Aktivitäten der ausgegliederten Fußball-Abteilung. Erst am Donnerstagvormittag, Stunden vor Beginn der Jahreshauptversammlung, hatte das Gericht so entschieden.
Auf diese Landgerichtsentscheidung verweist dann Vizepräsident Dieter Mayer in seiner Begründung, auch einen Spontanantrag Otts nicht zuzulassen. Auf einen Zwischenruf eines Mitglieds, wonach das Verhalten der Klubführung undemokratisch sei, sagt Mayer einen Satz, der ihn noch länger begleiten dürfte: „Es geht hier nicht um Demokratie.“
Ott kritisiert das Verhalten der Vereinsführung scharf: „Das Antragsrecht ist eines der wichtigsten Rechte eines Mitglieds. Der Verein will hier mit der Brechstange agieren.“ Am Freitagvormittag ist er immer noch tief enttäuscht. Sein Antrag sei von der Vereinsführung nicht nur abgelehnt, sondern auch diffamiert worden: „Sieht so eine gesunde Diskussionskultur aus?“
Präsident Herbert Hainer fordert eine sachliche Diskussion
Wie angespannt die Stimmung bezüglich Katar ist, sollte Präsident Hainer schon bei seiner Eröffnungsrede erfahren. Meist vergeblich versuchte der ehemalige Adidas-Chef da, die Fans emotional zu packen. Als der 67-Jährige das Katar-Thema schließlich anspricht, zu mehr Sachlichkeit auffordert und betont, dass sich der Verein stets der Kritik stelle, gibt es die ersten Buhrufe.
Beinahe wie ein Treppenwitz wirkt es, dass der FC Bayern auf der Versammlung eine der umfangreichsten Satzungsänderungen der jüngeren Vereinsgeschichte beschließen will – in der es um die Verankerung von Werten wie Weltoffenheit, Toleranz und das Bekenntnis zu Menschenrechten geht. Es soll Teil des Werteverständnisses des FC Bayern sein, der sich mit Kampagnen zum Beispiel gegen Rassismus einsetzt.
Um den Wortlaut der Satzungsänderung gibt es ebenfalls Ärger: Einem Teil der Fans gehen die Formulierungen nicht weit genug. Am Ende ist die Stimmung derart aufgeheizt, dass die Fans die Änderung ablehnen – eine krachende Niederlage für das Präsidium. Als hingegen der Antrag eines Fans Erfolg hat, einen Passus um seine Formulierung zu ergänzen, wird das auf den Besucherrängen wie ein Tor gefeiert. Die Vorstandsmitglieder sowie Uli Hoeneß und Hasan Salihamidzic hatten schließlich geschlossen gegen den Antrag votiert. Die Formulierung, um die es ging: Der FC Bayern soll sich nicht nur zu Menschenrechten bekennen, sondern auch für diese eintreten.
Die Impfthematik ist nur ein Randthema
Welches Konfliktpotenzial die Katar-Thematik hat – die Bayern-Bosse haben es unterschätzt. Wie ein anderes Reizthema, das an dem Abend hingegen nur eine Randnotiz ist: das Corona-Chaos beim FC Bayern, das sich vornehmlich an Joshua Kimmich entzündet hat. Der ungeimpfte Führungsspieler fehlt dem Verein seit mehr als zwei Wochen wegen einer Quarantäne und wurde in dieser Woche positiv auf das Virus getestet. Das wichtige Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund in einer Woche wird er verpassen.
Hainer und Kahn betonen, dass der Verein eine Corona-Impfung befürworte, sie stellen sich aber zugleich hinter den 26-Jährigen. Hainer sagt: „Wir reden in dieser Frage ständig mit unseren Spielern. Gleichzeitig ist es nicht in Ordnung, unsere Spieler und Joshua Kimmich an den Pranger zu stellen.“ Es folgt ein verhaltener Applaus der Fans. Dass einige das Verhalten Kimmichs kritisch sehen, macht sich in Zwischenrufen bemerkbar – etwa dann, als Oliver Kahn betont, wie verantwortungsbewusst Kimmich doch mit der Situation umgehe.
Rapider Einbruch bei Umsatz und Gewinn
Vielleicht glaubten die Bayern-Verantwortlichen, mit einem Verweis auf die nahezu perfekte sportliche Bilanz Diskussionen im Keim ersticken zu können. Sie haben sich getäuscht. Dass der Verein die kolportierten 20 Millionen Euro der staatlichen Fluglinie Quatar Airways gut brauchen kann, steht angesichts der eingebrochenen Bilanzzahlen außer Frage. Die Corona-Pandemie hat für einen rapiden Einbruch bei Umsatz und Gewinn gesorgt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr lag der Gewinn nach Steuern bei gerade einmal 1,9 Millionen Euro – das ist für den FC Bayern faktisch eine schwarze Null. Im Rekordgeschäftsjahr 2018/19 lag der Gewinn bei 52,5 Millionen Euro.
Zudem warnt Vorstandschef Oliver Kahn vor der sportlichen Gefahr durch „Investorenklubs“, an denen die Corona-Krise nahezu spurlos vorbei gegangen sei, weil ihre Geldgeber weiterhin keine Limits kennen würden: „Wir erleben gerade den fundamentalsten Wandel, den der Fußball je erlebt hat. Deshalb kämpfen wir an vorderster Front, dass es nicht sein kann, dass Investoren unbegrenzt Geld in Klubs pumpen können.“ Der FC Bayern werde seinen eigenen Weg gehen – und werde dafür weltweit beneidet, so Kahn. Die Super League, ein Konstrukt von hoch verschuldeten Klubs, sei zu Recht innerhalb von 48 Stunden implodiert. Zur Katar-Thematik äußert sich Kahn, der der ausgegliederten AG als Vorsitzender vorsteht, nicht.
Kahn wirbt für Spielraum für den Verein
Stattdessen wirbt der ehemalige Nationalspieler dafür, dem Verein weiter Spielraum einzuräumen, wenn es um Verkäufe von Vereinsanteilen an Investoren gehe. Die Zusammenarbeit des FC Bayern mit seinen Anteilseignern habe ja eine andere Qualität: „Wenn, dann sind das Partner, die dem Klub helfen. Man hat gesehen, wie schnell eine Schieflage entstehen kann.“ Hintergrund: Ein weiterer Antrag von Michael Ott sah vor, dass der Verein 75 Prozent der Anteile halten müsse. Aktuell sind nur 70 Prozent vorgeschrieben. Der Antrag verfehlt die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.
Bemerkenswert an diesem Abend ist, wie unvorbereitet und teilweise hilflos die Präsidiumsmitglieder des FC Bayern angesichts der Wut sind, die ihnen von ihren Mitgliedern beim Thema Katar entgegenschlägt. Die letzte Wortmeldung eines Mitglieds, bevor die Veranstaltung beendet wird, stammt von Vizepräsident Walter Mennekes. Der versucht, als alles längst zu spät ist, die Mitglieder davon zu überzeugen, dass es in puncto Menschenrechte in Katar große Fortschritte gegeben habe. Zitat: „So schlimm sind die Kataris auch nicht, wie wir sie machen.“ Es ist das einzige Mal an diesem Abend, dass ein Präsidiumsmitglied des FC Bayern sich über die Lage in Katar äußert.
Der FC Bayern München und seine Fans – es gab Zeiten, da war das Verhältnis so etwas wie gegenseitige Seelenmassage. Diese Zeiten scheinen vorbei. Und daran ändern offenbar auch elf Titel in eineinhalb Jahren nichts.