Die Kaderplaner des FC Bayern München sind gar nicht genug zu loben. Über Jahrzehnte hinweg haben sie Mannschaften zusammengestellt, die für regelmäßige Erweiterungen der Vitrinen gesorgt haben. Früher lautete die Jobbezeichnung freilich nicht Kaderplaner, Chefscout oder Sportdirektor, sondern Uli Hoeneß. Der hat auch nicht immer streng nach qualitativen Merkmalen eingekauft, sondern hatte bisweilen Freude an dem ein oder anderen Lustkauf, wie die Namen Jürgen Röber, Michael Sternkopf oder Jan Schlaudraff verraten.
Ein Merkmal der mitunter eigenwillig komponierten Teams (auf die Idee, Sforza, Herzog und Scholl in einer Mannschaft zu versammeln, muss man ja erst mal kommen) war und ist es, dass sie durch maximale Diversität bestachen. Stars, Sternchen, Mitläufer, Maulhelden, Trinker und Asketen fanden allesamt Platz in der Kabine der Münchner – und meist diente es dem Erfolg.
Eine Mannschaft kann viel aushalten. Nicht etwa, weil sie dem herbergerschen Postulat der elf Freunde folgt – das Duo Klinsmann/Matthäus dient als Gegenbeispiel – , sondern weil sich eine Gruppe gemeinsam hinter einem Ziel versammelt. Bringt sich jeder für das gemeinsame Ziel ein, dürfen auch gerne die eigenen Neurosen gepflegt werden.
Insofern aber unterscheidet sich der FC Bayern des Jahres 2021 von den Vorgänger-Modellen. Trainer Julian Nagelsmann hebt zwar zurecht hervor, dass auch in seinem Kader nicht jeder die Meinung des anderen teile. „Eine Gruppe sollte nicht homogen sein“, sagt er berechtigterweise. Ebenso berechtigterweise fügt er an, dass es viel wichtiger ist, „füreinander da zu sein“. Hier nun gehen die Interpretationen auseinander. Nagelsmann will damit ausdrücken, dass nun eben jene Spieler für die Akteure einstehen sollen, die gerade nicht auf dem Platz stehen können.
Acht Bayern-Akteure sind nicht mit nach Kiew gereist
Am Dienstag sind das im Champions-League-Spiel bei Dynamo Kiew (18.45 Uhr, DAZN) Serge Gnabry, Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Eric-Maxim Choupo-Moting, Michaël Cuisance, Josip Stanisic, Niklas Süle und Dayot Upamecano. Ohne acht ihrer Akteure sind die Münchner also am Dienstag in die Ukraine gereist. Während bei Süle und Stanisic eine Corona-Infektion den Betriebsausflug unmöglich macht, ist Upamecano nach der dritten Gelben Karte gesperrt. Die restlichen fünf Spieler allerdings verpassen das Duell hauptsächlich selbst verschuldet. Sie befinden sich als Kontaktpersonen in Quarantäne, da sie weiterhin nicht gegen Corona geimpft sind. Geht es nach Nagelsmann, sollen nun die verbliebenen Akteure für die andern einstehen. Schließlich müsse man auch „füreinander da sein, wenn im Spiel einer einen Fehler macht“.
Nun machen im übertragenen Sinne aber Kimmich und Co. seit Monaten Tag für Tag denselben Fehler, in dem sie sich nicht impfen lassen. Die Lösung für abermaliges Fehlverhalten auf dem Feld ist leicht: auswechseln. So einfach aber fällt den Münchnern der Umgang mit den Impfverweigerern logischerweise nicht. Der FC Bayern ist auf Kimmich, Gnabry und Musiala angewiesen. Spätestens im kommenden Jahr wird Nagelsmann nicht mehr nur genervt auf Fragen zu Impfstatus und Quarantäne-Regelungen reagieren, sondern mit zunehmenden Unbehagen, schließlich stehen dann jene Spiele an, die die Notwendigkeit neuer Vitrinen bedingen sollen.
Noch kann der Trainer halbwegs vernünftig verklären, dass man nicht den Fehler machen solle, „dass wir das Thema drumherum zu sehr auf das Sportliche projizieren“. Noch nämlich sind die Bayern sowohl in der Champions League wie auch in der Bundesliga Tabellenführer. Den Münchnern aber fehlt noch der Lösungsansatz, falls sich die Spieler weiterhin nicht impfen lassen. Dann nämlich wird es schwer, mögliche sportliche Misserfolge von den persönlichen Entscheidungen einzelner Spieler zu trennen. So lange sich die Spieler nicht impfen lassen, läuft der Verein Gefahr, immer und immer wieder aufgrund einer verordneten Quarantäne auf sie zu verzichten. Zumindest so lange, bis sie sich infizieren und anschließend als genesen gelten. Eine Erkrankung bringt freilich mehr Unwägbarkeiten als eine Impfung – davon aber konnten die Spieler noch nicht überzeugt werden. Von Vereinsseite aus dürfte daher eine baldige Impfpflicht gewünscht sein, könnte man dann doch wahrscheinlich wieder verlässlich auf Gnabry, Kimmich, Choupo-Moting und Musiala zurückgreifen.
Bis es so weit ist, geht Nagelsmann nicht davon aus, „dass das Team daran zerbricht“. Am Ende müsse es „daran wachsen und in Situationen, in denen es nicht gut läuft, füreinander da sein“. Das ist der Pakt, der für jede gute Mannschaft gilt. Matthäus ist den Fehlpässen Klinsmanns nachgelaufen, Hargreaves hechelte für Scholl. Jeder trägt seinen Teil zum Erfolg bei. Wenn sich aber eine Gruppe von Spielern freiwillig aus der Gemeinschaft verabschiedet, ist das ein Bruch des Solidaritätsgedankens. Das gilt im Sport wie für die Gesellschaft. Am Ende der Pandemie werde man einander viel zu verzeihen haben, hat Gesundheitsminister Jens Spahn schon vor Monaten prophezeit. Im Sport wird beinahe alles verziehen – bis auf den Misserfolg.