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Fußball
Fußball: Als ganz Nordbayern für den FC Haßfurt demonstrierte
Vor 60 Jahren wurde der Verein um die Brüder Ludwig "Luggi" und Willi Müller süddeutscher Amateurmeister. Der Verband aber wollte die Kleinstadt-Kicker nicht in die Zweite Liga lassen.
Spitzenspiel vor Spitzen-Kulisse: Über 12 000 Zuschauer standen an und auf der Haßfurter Flutbrücke während des Heimspiels des FC Haßfurt gegen den FC Bamberg am 19.  März 1961.
Foto: Archiv FC Haßfurt | Spitzenspiel vor Spitzen-Kulisse: Über 12 000 Zuschauer standen an und auf der Haßfurter Flutbrücke während des Heimspiels des FC Haßfurt gegen den FC Bamberg am 19.  März 1961.
Matthias Lewin
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:22 Uhr

"Große Entrüstung beim FC Haßfurt: Süddeutscher Fußballverband verweigert dem FC Haßfurt die Lizenz für die 2. Liga Süd" titelte das "Haßfurter Tagblatt" am 2. Juni 1961. Die Fußballfunktionäre aus Stuttgart sahen die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Zweite Liga bei den Haßfurtern nicht gegeben. Die Stadt mit ihren 7000 Einwohnern war den Schwaben schlichtweg zu klein, um ihnen einen Startplatz in der zweithöchsten Liga zu geben.

Für den 1917 gegründeten Verein brach zunächst eine Welt zusammen. Und auch für die Spieler um Heinz-Herbert Kreh, Anton Schober und natürlich die Brüder Willi und Ludwig "Luggi" Müller. Der sportliche Erfolg sollte ihnen am Grünen Tisch genommen werden.

Die Medaille der Stadt Haßfurt, 1961  für 'besondere sportliche Verdienste' überreicht, hat Willi Müller natürlich aufgehoben.
Foto: Matthias Lewin | Die Medaille der Stadt Haßfurt, 1961  für "besondere sportliche Verdienste" überreicht, hat Willi Müller natürlich aufgehoben.

Und das zu einer Unzeit, weil der FC Haßfurt mitten in den Spielen um die deutsche Amateurmeisterschaft stand. Natürlich legten die Haßfurter umgehend Protest beim Süddeutschen Fußball-Verband, beim Bayerischen Fußball-Verband und beim Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) ein. Alle Vereine der nordbayerischen 1. Amateurliga wurden um Solidarität gebeten. Der FC Bamberg, härtester Konkurrent der Haßfurter in der Bayernliga, setzte sogar eine Resolution zugunsten des FCH auf, auch der Stadtrat stellte sich hinter seinen Verein. Landrat Oskar Heurung verfasste eine Protestschrift, und selbst Pfarrer Richard Körner wurde aktiv.

12 000 Zuschauer an der Flutbrücke

Die sportliche Qualifikation zur Zweiten Liga hatten die Haßfurter zuvor schon erreicht. In einem Herzschlagfinale der 1. nordbayerischen Amateurliga setzten sich die Unterfranken als Aufsteiger durch. Das Heimspiel an der Flutbrücke gegen den FC Bamberg (4:1) verfolgten über 12 000 Zuschauer. "Da werde ich heute noch bei Kreuzberg-Wallfahrten von Leuten angesprochen, die damals im Stadion waren", erzählt Willi Müller. Den Titel holten die Haßfurter auch dank der Hilfe der Würzburger Kickers, die Bamberg am letzten Spieltag mit 2:1 besiegten - Haßfurt bezwang Bayreuth mit dem gleichen Ergebnis und hatte am Ende drei Punkte Vorsprung.

Ein rappelvoller Platz im Spitzenspiel gegen den FC Bamberg. Auf Zusatztribünen, auf der Flutbrücke und rund ums Spielfeld verfolgten 12 000 Zuschauer die Partie. 
Foto: Archiv FC Haßfurt | Ein rappelvoller Platz im Spitzenspiel gegen den FC Bamberg. Auf Zusatztribünen, auf der Flutbrücke und rund ums Spielfeld verfolgten 12 000 Zuschauer die Partie. 

Der FC Haßfurt stand damit am 1. Mai 1961 als Meister der Bayernliga Nord fest. Das Duell um den Bayern-Titel gegen den Süd-Meister, die Amateure der Münchner "Löwen", entfiel, da die Oberbayern verzichteten. "Aber die hätten wir sowieso weggeblasen", frotzelt der ältere der beiden Müller-Brüder, dass der "Bayern-Titel" dem FC ohnehin nicht zu nehmen gewesen wäre.

Und auch die süddeutsche Amateurmeisterschaft geriet zum Triumphzug der Haßfurter, die erst ihre Vierer-Gruppe gegen Offenburg, Heusenstamm und Kornwestheim ungeschlagen dominierten und dann vor 8000 Zuschauern in Würzburg gegen die Hessen vom FC Hanau mit 3:2 die Oberhand im Endspiel behielten, obwohl erst zwei Tage zuvor der böse Brief aus Stuttgart eingetroffen war.

Haßfurter Invasion in Bonn

Während der Verein also seinen Protest formulierte, ging es für die Mannschaft in die nächste sportliche Runde: Das Halbfinale um die deutsche Amateurmeisterschaft stand an. Am 11. Juni ging es in Bonn gegen den Siegburger FV 04. Und diese Partie sollte zu einer Demonstration der Fußballer und ihrer Fans aus Haßfurt werden. 

Dabei haben wir gespielt wie die Weltmeister. Ich hab' gedacht ich werd' verrückt."
Willi Müller über das mit 4:5 verlorene Halbfinale der deutschen Amateurmeisterschaft

Weit über 1000 Anhänger aus dem Landkreis Haßberge begleiteten den süddeutschen Amateurmeister in die damalige Bundeshauptstadt Bonn, auch um zu zeigen, „zu welchen Leistungen eine kleine Stadt mit großer Fußballliebe fähig ist“, wie das "Haßfurter Tagblatt" schrieb. Ein Sonderzug mit 13 Waggons machte sich auf den Weg ins Rheinland. "Gut 700 Fans waren dabei", erinnert sich Willi Müller, Abwehrspieler der Haßfurter Meistermannschaft, an die Zug-Begleitung aus der Kreisstadt. Rund um das Bonner Gronau-Stadion staunte nicht nur er über die "vielen Pkw und Busse mit Kennzeichen aus ganz Nordbayern".

Neun Tore im Halbfinale

Im Spiel lag Siegburg nach einer knappen halben Stunde schon mit 2:0 in Führung. Anton Schober und Rudolf Oehm war zwar binnen weniger Minuten der Ausgleich gelungen, doch noch vor der Pause lag Haßfurt erneut hinten. Wiederum Oehm erzielte per Strafstoß das 3:3, Torjäger Heinz-Herbert Kreh steuerte nach dem vierten Gegentor das 4:4 bei. Um den fünften Siegburger Treffer auszugleichen, fehlte aber letztlich die Zeit, ein Treffer von Oehm wurde wegen Abseits nicht anerkannt. Der FC Haßfurt unterlag mit 4:5.

Selbst die Bäume neben dem Spielfeld des FC Haßfurt wurden 1961 zur 'Tribüne', als der FC Haßfurt auf den FC Bamberg traf.
Foto: Archiv Ludwig Leisentritt | Selbst die Bäume neben dem Spielfeld des FC Haßfurt wurden 1961 zur "Tribüne", als der FC Haßfurt auf den FC Bamberg traf.

"Dabei haben wir wirklich überlegen gespielt", hat Willi Müller auch noch 60 Jahre später den Spielverlauf vor Augen. "Ganze fünf Bälle sind auf unser Tor gekommen, aber jeder war drin. Dabei haben wir gespielt wie die Weltmeister. Ich hab' gedacht, ich werd' verrückt", sagt Müller, noch heute überzeugt davon, dass sein FC diese Partie niemals hätte verlieren dürfen.

Das Ziel deutsche Amateur-Meisterschaft war damit zwar nicht mehr zu erreichen, der Traum von der Zweiten Liga aber erfüllte sich nur drei Tage später. 

Der DFB hob die Entscheidung auf

Am 14. Juni gab der DFB-Kontrollausschuss den Protesten der Haßfurter statt, hob die zuvor vom Süddeutschen Fußball-Verband getroffene Entscheidung gegen den FC Haßfurt auf und erteilte den Unterfranken die Zulassung als Vertragsspielerverein, weil "dieser beweisen konnte, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen dazu vorhanden" seien, wie es in dem Schreiben hieß. Der FC aus der unterfränkischen Kleinstadt am Main war damit offiziell Zweitligist.

"Aber dann sind die Auflagen gekommen. Die Schiedsrichter reisten bereits freitags an und wurden bis zum Sonntag natürlich in einem Hotel einquartiert. Deren Spesenrechnung war auch nicht ohne. Und auch einen Zaun rund ums Spielfeld mussten wir stellen", sagt der damals gerade einmal 21-jährige Müller angesichts stark gestiegener Kosten in der zweithöchsten Liga. "Und das war letztlich für unseren Verein zu viel", so Müller.

"Wenn da so ungarische Nationalspieler aufgelaufen sind wie in Ulm, die uns den Ball um die Nase rumspielen wollten, da hat's einen Schlag getan, und dann war es vorbei."
Willi Müller über die Zeit in der 2. Liga Süd

Sportlich aber konnte der kleine FC Haßfurt im Unterhaus durchaus mithalten. In der 18er-Staffel der 2. Liga Süd belegten die Unterfranken in der ersten Saison den 10., in der zweiten Saison den 14. Platz. Und das bei nur zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche. "Aber wir waren konditionell topfit. Wir hätten nach Schlusspfiff bestimmt noch 30 Minuten weiter spielen können", sagt Müller mit Blick auf die Stärken der Mannschaft. Die hatte im späteren Nationalspieler "Luggi" Müller und Heinz-Herbert Kreh – zu der Zeit Kapitän der deutschen Amateur-Nationalmannschaft – aber auch zwei Ausnahmefußballer in ihren Reihen.

"Wenn da so ungarische Nationalspieler aufgelaufen sind wie in Ulm, die uns den Ball um die Nase rumspielen wollten, da hat's einen Schlag getan, und dann war es vorbei", lacht Müller, der sich als harter, aber immer fairer Abwehrspieler einen Namen gemacht hatte.

Profi-Karriere ausgeschlagen

Willi Müller selbst schaffte es "nur" bis zum Spielführer in der Bayernauswahl, wurde dort zudem, unter anderem mit einem gewissen Uli Hoeneß, mehrfach Länderpokal-Sieger. Angebote von Profi-Klubs habe er zwar mehrere erhalten, sich aber – anders als sein Bruder Ludwig, der beim 1. FC Nürnberg, Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC zum Nationalspieler reifte –  lieber für eine sichere Beamtenlaufbahn entschieden. Der FC Haßfurt war und ist seine sportliche Heimat. Willi Müller hat nie für einen anderen Verein gespielt und war auch in den vergangenen Jahren immer Gast an der Flutbrücke.

Der FC Haßfurt im Jahr 1961: Der Meister der Bayernliga Nord hatte die sportliche Qualifikation zur Zweiten Liga Süd geschafft, der Süddeutsche Fußballverband hatte dem Verein aber zunächst die Lizenz verweigert. 
Foto: Repro: Matthias Lewin | Der FC Haßfurt im Jahr 1961: Der Meister der Bayernliga Nord hatte die sportliche Qualifikation zur Zweiten Liga Süd geschafft, der Süddeutsche Fußballverband hatte dem Verein aber zunächst die Lizenz verweigert. 

60 Mark im Monat habe es seinerzeit pro Kicker gegeben "und ein paar Mark an Prämien. Ab und zu haben wir auswärts auch ein Essen bezahlt bekommen", so Müller. Zuwendungen, die heutzutage schon bei dem ein oder anderen Kreisligisten üblich sind. "Damals war noch mehr Begeisterung dabei", erinnert sich Müller zum Beispiel an seinen Abwehrkollegen Karl Heußner aus Wonfurt. "Der hat mit uns 2. Liga gespielt und ist im Winter bei Eis und Schnee mit seinem Fahrrad zum Training nach Haßfurt gefahren."

Meistertrainer "Onkel Ernst"

Der FC Haßfurt hatte damals nur auf Spieler aus der Region gesetzt. Die kamen aus Haßfurt, Wonfurt, Hellingen oder Augsfeld und hatten zuvor schon in der Haßfurter Jugend zusammengespielt. Nur die Trainer hatten etwas weitere Wege. Meistercoach Markus Wetzel, liebevoll "Onkel Ernst" genannt, kam aus Schweinfurt, in der 2. Liga wurde er von den Lizenzinhabern Walter Herzog (Coburg) und später von Heinz Eger (Hallstadt) abgelöst.

Die Zeit in der zweithöchsten Spielklasse währte aber nur zwei Jahre. Da sich nach der Saison 1962/63 nur die Ränge eins bis neun für die neu eingeführte Regionalliga Süd als Unterbau zur neuen Bundesliga qualifizierten, ging es für Haßfurt wieder in die Bayernliga zurück.

Der FC Haßfurt im Meisterjahr 1961

Torhüter: Josef Hoh.
Abwehr: Karl Heußner, Herbert Schenk,  Walter Burkard, Ludwig  "Luggi" Müller, Willi Müller, Horst Friedrich.
Mittelfeld, Angriff: Karl-Heinz Bayer, Anton Schober, Heinz-Herbert Kreh, Rudolf Oehm, Robert Linsner, Heinrich Schaffner, Hans Muck, Franz Krapf, Georg Weippert.
Trainer: Markus "Onkel Ernst" Wetzel.
Quelle: Haßfurter Tagblatt
 
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