Himmelstadt ist auf den ersten Blick kein himmlisches Dorf. Kein pittoresker Altort, kein romantischer Marktplatz. Auch das Rathaus der 1500-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Main-Spessart erstrahlt nicht in hellem Lichterglanz. Auf himmlische Chöre kann man hier lange warten. Ein handschriftlicher Zettel an der Tür mit den Öffnungszeiten und zwei Schilder an der Hauswand weisen darauf hin: hier hat die einzige Weihnachtspostfiliale Bayerns ihren Sitz. Hier beantworten also die Helferinnen und Helfer des Christkinds Briefe aus aller Welt.
Das soll er also sein? Der himmlische Wohnort des Christkinds?
Seit 1986 gibt es die Weihnachtspostfiliale in Himmelstadt, doch schon davor trafen in dieser Gemeinde bereits Wunschzettel ein. Viele Kinder wissen nämlich: Nicht irgendwo, sondern in der "Stadt des Himmels" muss das Christkind wohnen.
Der Ortsname hat eigentlich nichts Himmlisches an sich
Stimmt das? Ist Himmelstadt "der Himmel auf Erden"? Und was ist, wenn Weihnachten vorbei ist? Was ist dann noch himmlisch an Himmelstadt? Eine Spurensuchen in dem kleinen Ort am Main.
Zunächst einmal: Der Ortsname hat nichts mit dem Wohnort der Engel und des Christkinds zu tun. Der Name geht zurück auf die selige Immina, die im siebten und achten Jahrhundert Äbtissin in Würzburg und Karlburg war. "Und weil der Franke Wörter gerne verändert, wurde mit der Zeit aus Imminastadt Himmelstadt", erklärt Bürgermeister Herbert Hemmelmann. Also doch nichts mit Engeln und Christkind und himmlischen Wundern?
Die volle Ladung Weihnachten gibt's bei Altbürgermeister Harald Führer
Bei Altbürgermeister Harald Führer fühlt man sich fast wie im Weihnachtshimmel. Hinter der unscheinbaren Hausfassade der Mainstraße 7 leuchtet und blinkt es in jedem Winkel. Weihnachtsdeko in Hülle und Fülle. Auch den Garten haben Harald Führer und sein Mann Frank festlich geschmückt. Am Haus hängen bunte Stoffbahnen, im Sauerkirschbaum baumeln Geschenke wie bei Pippi Langstrumpf. "Unser Motto in diesem Jahr ist Villa Kunterbunt", erklärt Führer, der von 2002 bis 2012 Bürgermeister von Himmelstadt war.
Führer hat seinen Mann vor fünf Jahren geheiratet. "Das ist nach wie vor etwas ungewöhnlich auf dem Dorf. Noch dazu als ehemalige Amtsperson", sagt der 61-jährige ehemalige Rathaus-Chef. "Nach meiner Amtszeit wollte ich das aber unbedingt öffentlich machen, auch wenn ich zunächst Bedenken hatte", erzählt er. Letztendlich sei das die richtige Entscheidung gewesen: "Die Leute hier lassen mich spüren, dass sie sich für uns freuen und das völlig normal ist."
Seit 2018 öffnet das Ehepaar zu verschiedenen Anlässen wie dem Tag der offenen Gartentüre und den Himmelstadter Weihnachtserlebnissen seinen Garten für Besucherinnen und Besucher. Bereits im Oktober würden sie mit den Weihnachtsvorbereitungen beginnen, erzählt Führer: "Frank ist Florist und Gärtner und arbeitet in einem großen Bastelladen; er dekoriert sehr gerne. Für das Handwerkliche bin ich zuständig; das ergänzt sich prächtig."
Aus der alten Bruchsteinscheune mit den roten Balken wird ein Weihnachts-Deko-Wunderland voller Anhänger, Christbaumkugeln und Kerzen, die Besucherinnen und Besucher kaufen können.
"Weihnachten spielt in Himmelstadt schon eine große Rolle", sagt Harald Führer. "Und darauf sind wir auch stolz. Sonst wären wir ja ein Ort wie jeder andere auch." Die Gemeinde pflegt seit Jahren Beziehungen zu anderen Weihnachtsdörfern in Deutschland. "Im ersten Jahr meiner Amtszeit hat mich überraschend der Brief einer Abgeordneten aus Norddeutschland mit einer Einladung in den Bundestag erreicht", berichtet Führer. In deren Wahlkreis liegt der Ort Himmelpforten.
Nach Berlin kamen auch Vertreterinnen und Vertreter aus Sankt Nikolaus im Saarland oder Himmelpfort in Brandenburg. "Wir treffen uns seitdem alle zwei Jahre, mit der Zeit sind so echte Freundschaften entstanden." Der himmlische Name verbindet auch die Regionen.
Rosemarie Schotte bewahrt in der Weihnachtspostfiliale die magische Vorweihnachtszeit
Den direkten Draht zum Christkind hat in Himmelstadt Rosemarie Schotte. Die 82-Jährige beantwortet mit ihren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern Kinderbriefe und Wunschzettel in dessen Namen – und das seit 30 Jahren. Die Weihnachtspostfiliale ist ein Zimmer gleich neben dem Eingang des Rathauses. Hier türmen sich die gelben Postkisten.
"Himmelstadt und die Weihnachtspostfiliale gehören für mich einfach zusammen, das ist für mich das Himmlischste überhaupt hier", sagt Schotte, auf deren Schreibtisch nur auf den ersten Blick Unordnung herrscht. Die 82-Jährige hat den genauen Überblick.
In Himmelstadt treffen Briefe aus über 130 Ländern der Welt ein. Doch wie, wenn nicht mit himmlischer Hilfe, haben Kinder in Neuseeland oder Transsilvanien davon erfahren, dass ihre Wünsche gerade in Unterfranken erhört werden?
Schotte vermutet dahinter weniger einen Wink des Himmels als Mundpropaganda. Und: "In Zeiten von Google findet man uns ja noch leichter." Auch das Christkind geht also viral. Und tatsächlich: Tippt man in die Suchmaschine die Frage ein: "Wo wohnt das Christkind?", wird Himmelstadt als Hauptwohnsitz benannt – vor Engelskirchen und Himmelpforten.
Rosemarie Schotte kann auch von so manchen magischen Momenten berichten: "Mich rufen immer wieder Kinder an, die gerne mit dem Christkind sprechen wollen. Da gibt es auch ganz hartnäckige, die es mehrmals probieren."
Die aufgeregten Anruferinnen und Anrufer bekommen dann die Information, dass das Christkind gerade nicht da ist, sondern in der Nacht kommt. "Außerdem ist es ja unsichtbar." Rosemarie Schottes himmlische Mission: Diese ganz besondere Zeit vor Weihnachten mit all der Magie, den Geheimnissen und Geschichten für Kinder auf der ganzen Welt bewahren.
Elfriede Kordick-Hogen aus Illertissen feierte eine himmlische Hochzeit in Himmelstadt
Ein ganz besonderer Ort ist Himmelstadt auch für Elfriede Kordick-Hogen und ihren Mann Günter: Die leidenschaftlichen Motorradfahrer aus dem schwäbischen Illertissen haben hier am 29. Juli 2021 geheiratet. Und das kam so: "Wir kommen seit vielen Jahren liebend gern nach Franken, für uns ist das mittlerweile unsere Wahlheimat", erzählt die 62-Jährige am Telefon. Bei einem dieser Urlaube sei ihr das Straßenschild mit der Aufschrift "Weihnachtspostamt" aufgefallen. "Ich bin der absolute Weihnachtsfan, also musste ich da natürlich hin."
Beim Spaziergang durch den Ort seien sie auch an dem Pavillon am Main vorbeigekommen. "Wir wussten da schon, dass wir heiraten wollten. Am liebsten am Main und nicht in einem klassischen Standesamt." Spontan beschloss das Paar: Hier soll die Trauung stattfinden! Organisiert wurde dann alles von Illertissen aus, die Zeremonie selbst fand im kleinen Kreis statt – "nur wir, Bürgermeister Herbert Hemmelmann als Standesbeamter und ein Fotograf". Natürlich war auch das Motorrad mit dabei. Für Elfriede Kordick-Hogen und ihren Mann war es die Traumhochzeit.
Nach Himmelstadt kommen die beiden immer noch mehrmals im Jahr – erst kürzlich zum Weihnachtsmarkt. Mit der Zeit sind Freundschaften entstanden. Zufall oder himmlische Fügung?
Bürgermeister Herbert Hemmelmann: "Der Zusammenhalt bei uns ist schon enorm"
Bei der Frage nach dem Himmlischen an Himmelstadt muss Bürgermeister Herbert Hemmelmann grinsen: "Wenn jemand zu mir sagt: Ihr seid doch die doppelte Lüge – weder Himmel noch Stadt, dann antworte ich: Dafür sind wir aber der Himmel auf Erden! Das hat selbst Ministerpräsident Söder bei seinem Besuch am ersten Advent gesagt."
Der Himmel hat hier sogar zwei Seiten: links und rechts des Mains, der den Ort teilt. Ein Alleinstellungsmerkmal, so Hemmelmann. "Auch wenn es immer mal heißt: 'Ach, die von da drüben wieder' – wenn's ernst wird, dann halten die Menschen doch zusammen."
Er merke schon, dass das ganze Jahr über Touristinnen und Touristen auch wegen des Namens in den Ort kommen. Führt das zu überdurchschnittlich vielen Ortsschild-Diebstählen? Das könne er nicht bestätigen, sagt Hemmelmann schmunzelnd. "Himmelstadt ist einfach ein Begriff. Nicht nur wegen der Weihnachtspostfiliale, sondern auch wegen der Gartenveranstaltungen im Sommer." Schließlich ist die Gemeinde nicht nur selbsternanntes Weihnachts-, sondern auch Wein- und Gartendorf.
Bei zwei Online-Abstimmungen 2010 und 2012 wurde Himmelstadt zur "coolsten Gemeinde Mainfrankens" und sogar deutschlandweit mit der großen Dorfgartenschau zum "idealen Ort" gewählt. "Für sowas kann man die Leute in Himmelstadt mobilisieren", sagt Hemmelmann und lacht.
Und was ist für ihn nun so himmlisch an Himmelstadt? "Der Zusammenhalt bei uns ist schon enorm." Das sehe man bei den zahlreichen Veranstaltungen wie dem am ersten und dritten Adventswochenende stattfindenden Weihnachtsmarkt oder der 1200-Jahr-Feier 2020, so der Bürgermeister. "Die Gemeinde unterstützt hier zwar, aber ohne die vielen Helfer wäre das nicht möglich." Denn: "Es geht in Himmelstadt schon schwerpunktmäßig ums Feiern."
Für Julia Sommer und Anni Büttner macht die Dorfgemeinschaft den Unterschied
"Als Kind bin ich immer mit meinem Vater in den Weinberg gegangen. Das war dort, wo heute der Terroir-F-Aussichtspunkt bei Stetten mit dem schönsten Blick auf Himmelstadt ist", sagt Anni Büttner, die mit ihrer Tochter Julia Sommer zum Weihnachtsmarkt-Organisationsteam gehört. Damals habe sie immer gedacht: "Da möchte ich nicht begraben sein!" Und jetzt? "Jetzt möchte ich hier nicht mehr weg."
Die 76-Jährige lebt seit 56 Jahren in der Gemeinde. Das liege auch an der "himmlisch guten" Dorfgemeinschaft. Man könne sich hier einfach aufeinander verlassen. "Wenn man sich engagiert, wird man bei uns schnell integriert."
Für ihre Tochter trägt auch die Lage zum Wohlfühlfaktor bei: "Himmelstadt liegt im Maintal, am Wasser. Es gibt Wald, Würzburg ist nicht zu weit weg – aber auch nicht zu nah dran." Was verbindet die 41-Jährige noch mit ihrem Heimatort? "Die strahlenden Kinderaugen in der Weihnachtszeit sind für mich etwas Himmlisches."
Bleibe doch Zuhause, wenn dir der Parkplatz nicht gefällt.
Es gibt auch befestigte Parkplätze, die sind nur weiter vom Weihnachtsmarkt entfernt. Aber da muss man ja ein paar Schritte Laufen.