
Keine Frage, Jolanda kann sich sehen lassen: Sie wiegt 110 Kilo, ist gerade mal ein halbes Jahr alt und der Traum mancher Metzger. Und, Jolanda ist unterfränkisch: Sie kam in Tauberrettersheim im südlichen Landkreis Würzburg zur Welt.
Jolanda ist ein Mastschwein. Jetzt lebt sie mit Dutzenden von Artgenossen in einer Viehzucht in Oberwittbach im Kreis Main-Spessart. Am Beispiel von Jolanda wird sich in den nächsten Stunden zeigen, welche Wege das Fleisch vom Stall bis zum Teller gehen kann – jenseits großer Schlachthöfe und mit viel Regionalität.

Samstagmorgen, Metzgermeister Eberhard Bumm ist aus dem Nachbarort Trennfeld nach Oberwittbach gekommen, um Jolanda mit sieben weiteren Mastschweinen abzuholen. Am Montag ist in seiner Metzgerei Schlachttag. Dann wird Jolandas Leben enden.
Mastschweine haben keine Namen, nur Codes
Schweine in Mastbetrieben haben normalerweise keine Namen. Sie haben Nummern und Codes, als Chips festgetackert an ihren Ohren. Für die Tiere bleibt das der Reisepass bis zur Schlachtbank. Auch für Jolanda, die ihren Namen allein für diese Geschichte hat.
Im Stall in Oberwittbach lebt Jolanda mit Dutzenden anderer Mastschweine in einer von fünf Kammern, wie die Viehzüchter Roland und Daniel Krank die Räume in ihrem Betrieb nennen. Jede Kammer hat mehrere Buchten, in denen je nach Alter und Größe mal mehr, mal weniger Tiere untergebracht sind.
Pro Kammer werden nur Tiere der selben Herkunft, vom selben Aufzuchtbetrieb, gehalten, erklärt Züchter Daniel Krank. Würde man die vom Händler gelieferten Kontingente im Stall mischen, wäre das gefährlich: Es könne zu Rangkämpfen und ähnlichen Aggressionen unter den Schweinen kommen, sagt der 41-Jährige.
Sind alle Kammern und damit der gesamte Stall belegt, leben dort maximal 670 Schweine. In welchem Landkreis sie jeweils zur Welt gekommen sind, steht auf einer kleinen Tafel im Vorraum. Dort sind die auf die Kammern aufgeteilten Kontingente festgehalten.
Wie es im Stall der Viehzüchter zugeht
In diesen Kammern bewegen sich die Schweine auf einem Spaltenboden. Durch Schlitze fallen die Exkremente der Tiere auf einen Unterboden. So soll der begrenzte Lebensraum der Tiere einigermaßen sauber bleiben, sagt Züchter Krank.
Kritikern der Massentierhaltung sind solche Spaltenböden ein Dorn im Auge. Sie stünden "im Widerspruch zur natürlichen Lebensumgebung von Schweinen", meint etwa die Tierschutzorganisation Provieh aus Kiel.
Für Metzgermeister Bumm ist etwas anderes wichtig: "Ich will, dass die Schweine keinen Stress haben." Wie im Stall der Kranks. Deshalb halte er seit Jahren große Stücke auf die beiden Viehzüchter, sagt der 58-jährige Trennfelder.
Mastschwein Jolanda: Von Tauberrettersheim 70 Kilometer weiter nach Oberwittbach
Als Jolanda aus ihrer Bucht zu einer Waage geführt wird, wird klar, was der Metzger meint: In aller Ruhe und ohne viele Worte schieben Roland Krank und sein Sohn Dieter das Schwein sachte in die richtige Richtung. Aufgeregt sind hier weder Mensch noch Tier. Nach der Waage geht Jolandas Weg weiter auf den Anhänger von Metzgermeister Bumm.
Vor etwa vier Monaten, als Jolanda 30 Kilo wog, kam sie als Ferkel von einem Aufzuchtbetrieb in Tauberrettersheim ins knapp 70 Kilometer entfernte Oberwittbach. Der Kauf sei über einen Viehhändler gelaufen, der ihnen seit Jahren kontingentweise Tiere aus Unter- und Mittelfranken vermittle, erklärt Daniel Krank.
Gefüttert werden seine Tiere in erster Linie mit Getreide von eigenen Feldern, sagt der 41-jährige Züchter. Er liefert Mastschweine an Bumm, an einen Metzger im Raum Miltenberg und die Hälfte an Schlachthöfe wie im oberfränkischen Hof.
1900 Euro für acht Schweine - und wenig Tempo auf der Landstraße
Bei Jolanda geht es ums Geschäft. 110 Euro zahlen sie für ein Ferkel, sagen die Kranks. Wird das Tier verkauft, kommt es auf sein Gewicht an. Aushandeln können Metzger und Züchter den Preis nicht. Denn das Gewicht wird mit dem amtlich festgelegten Marktpreis multipliziert. Es gibt ihn auch für Jungbullen oder Nutzkälber.
Für Mastschweine liegt der Marktpreis an jenem Samstag bei 1,91 Euro pro Kilo. Vor Corona seien es noch weniger als 1 Euro gewesen, heißt es bei der Fleischerinnung Main-Spessart.
Etwa 1900 Euro netto blättert Metzger Bumm jetzt für seine acht Schlachtschweine hin. Grob geschätzt, meint er, werde er mit ihnen etwa das Zweieinhalbfache erlösen.
Nach einer Stunde sind die Tiere verladen, die Fahrt hinüber nach Trennfeld kann beginnen. Jolanda und ihre sieben Weggefährten haben von Züchter Roland Krank aufs Hinterteil noch einen Stempelabdruck bekommen. Auf Kürzeln ist zu lesen, wo die Tiere zuletzt lebten: DE für Deutschland, MSP für Main-Spessart, schließlich die Betriebsnummer der Kranks.
Ihr Maststall ist für Metzger Bumm die einzige Bezugsquelle. Früher habe es in der Gegend mehr Züchter gegeben, sagt er. Und: "Die Luft wird dünner." Wenn es den Betrieb der Kranks mal nicht mehr geben sollte, wüsste der Trennfelder nicht so recht, woher er dann seine Tiere bekommt. "Ich werde mit Sicherheit wohl viel weiter fahren müssen." So richtig regional seien seine Waren dann wohl nicht mehr.
Mit Anhänger geht es über kleine Landstraßen zu seiner Metzgerei. Tempo 50 höchstens, obwohl mehr erlaubt wäre. "Ich fahre mit Absicht langsam", sagt Bumm. "Ich will nicht, dass die Schweine hinten im Anhänger durchgeschüttelt werden. Das wäre Stress für sie."
Stress hält Bumm für Gift für die Qualität seiner Fleischwaren. Wenn die Tiere in Panik geraten, verändere sich der pH-Wert ihres Fleisches, erklärt der Metzger. Das Fleisch verwässere regelrecht. "Und dann hast du nachher die Brühe auf dem Teller." Das könne er schon aus Prinzip nicht verantworten: "Ich will den Leuten nur das verkaufen, was ich selber esse."
Zehn Minuten dauert die acht Kilometer lange Fahrt vom Stall in Oberwittbach zur Metzgerei in Trennfeld. Rechnet man den Transport vor vier Monaten von Tauberrettersheim zum Maststall hinzurechnet, war sie in ihrem kurzen Leben knapp 80 Kilometer auf Anhängern unterwegs. 80 Kilometer für ein Lebensmittel: Das kann man regional nennen.
Auch deshalb, weil Eberhard Bumm nach eigenen Worten 98 Prozent seiner Waren mit Fleisch aus eigener Schlachtung herstellt. Eben mit Schweinen wie Jolanda. Neben der kleinen Dorfmetzgerei betreibt der 58-Jährige auch einen Partyservice für Feiern und Firmen in der Umgebung. "Die Rendite machen wir aber vorne im Laden."
Während er Jolanda und die sieben anderen Schweine im Hof der Metzgerei in einem kleinen Stall unterbringt, läuft vorne im Laden das Geschäft. Es ist ein normaler Samstagmorgen, die Kunden geben sich die Klinke in die Hand.
Vom Stall zum Schlachthaus: Wie Metzger Bumm mit den Schweinen umgeht
In der Theke Leberkäse, Bierschinken und Salami, an der Wand Meisterbrief und Pokale des Metzgerhandwerks, im Schaufenster Plakate von örtlichen Veranstaltungen. Der 40 Quadratmeter kleine Verkaufsraum hat den provinziellen Charme einer Dorfmetzgerei. 160 Jahre alt ist der Betrieb. "Immer mit eigener Schlachtung", betont Eberhard Bumm, der über seiner Metzgerei wohnt.
Um 12 Uhr schließt der Laden, Wochenende. Aber nicht für Bumm. Er muss die acht Schweine in ihrem 15 Quadratmeter großen Stall versorgen und die Schlachtung am Montag vorbereiten. Am Sonntag kommt eine Amtstierärztin aus Miltenberg vorbei, um die noch lebenden Tiere in Augenschein zu nehmen. Das schreibt das Gesetz für alle Schlachtungen vor.
Bürokratie, Vorschriften, Aktenordner: Gesetzespflicht will erfüllt werden
Solche Vorgaben füllen bei Metzger Bumm ein halbes Regal voller Aktenordner. Darin abgeheftet sind auch die Bescheinigungen, die er von den Kranks bekommt. Auf DIN-A4-Zetteln weisen die Oberwittbacher Viehzüchter unter anderem nach, dass die Tiere in der Woche vor dem Verkauf keine bedenklichen Medikamente bekommen haben und keine offensichtlichen Krankheitsmerkmale aufwiesen.
Die Metzgerei in Trennfeld ist quasi von gestern. In den 1980er Jahren habe es allein im Landkreis Main-Spessart fast 100 solcher Kleinbetriebe gegeben, erinnert sich Bumm. Alle mit eigener Schlachtung. Heute sei sein Geschäft weit und breit das einzige seiner Art. "Ja, ich bin ein Exot."
Der 58-Jährige räumt ein, dass er sich das Leben leichter machen könnte. Ohne eigene Schlachtung von Schweinen und Rindern "könnte ich mit meiner Wurst viel, viel billiger sein". Genau ausgerechnet habe er das noch nicht, sagt Bumm. Aber aufs Schlachten will er sowieso auf keinen Fall verzichten. Aus Prinzip nicht.
Zwei Tage später. Montag, 6 Uhr. Ein typischer Schlachttermin: Metzgermeister Eberhard Bumm und sein Geselle Friedhelm Väth sind seit zwei Stunden auf den Beinen. In ihren großen Schürzen bereiten sie alles dafür vor, dass binnen weniger Stunden acht Schweine zur Ware werden. Auch Jolanda.
Ruhig grunzt sie in ihrer Stallbucht vor sich hin. Als Bumm das Gatter öffnet, trabt sie langsam nach draußen. Von Hast oder Hektik keine Spur.

Dafür sorgen Bumm und Väth. Die beiden schlachten seit 40 Jahren. Sie sind eingespieltes Team. Jeder Handgriff sitzt, es braucht nicht viele Worte. Mit Treibbrettern schieben sie Jolanda in aller Ruhe die letzten Meter bis zum Schlachtraum vor sich her.
Dann geht alles ganz schnell: Bumm setzt eine Elektrozange an Jolandas Hinterkopf an. Wenige Sekunden lang strömen 1,6 Ampere durch Gehirn und Rückenmark. Durch den Strom betäubt, erstarrt das Tier blitzartig, zuckt dann immer wieder - und kippt zur Seite. Ein Piepston am angeschlossenen Steuergerät signalisiert dem Schlachter, dass er die Zange korrekt eingesetzt hat. Würde ein Warnton ertönen, müsste er die Zange sofort nochmal ansetzen.
Kaum ist der Piepston verstummt, legt der Metzger die Elektrozange ein zweites Mal am Schwein an. Diesmal am Hinterkopf und in der Herzgegend gleichzeitig. Die 1,6 Ampere sorgen dafür, dass die Verbindung zwischen Herz und Hirn lahmgelegt wird.
Wenige Momente später zieht Metzgergeselle Friedhelm Väth das Schwein kopfüber mit einer Kettenwinde in die Höhe. Und sticht ihm mit einem Messer in den Hals. Im Schwall ergießen sich drei, vier Liter Blut aus der Schlagader in einen Eimer. Gegen 7.30 Uhr ist das Leben von Jolanda zu Ende. "Der Blutentzug sorgt für den endgültigen Tod", sagt Metzgermeister Bumm.
Dass Jolanda wirklich tot ist, sehe er an ihren Augen: "Die Schweine haben dann diesen typisch starren Blick." Außerdem fasst er dem Tier vor dem Messerstich von Kollege Väth an die Augenlider. Wenn der natürliche Blinzel-Reflex ausbleibt, ist das für Bumm ein weiterer Beweis dafür, dass das Schwein nicht mehr lebt.
Das Leben von Schwein Jolanda endet am Haken
Die Arbeitsschritte, die folgen, sind nichts für zarte Gemüter. Geselle Väth kippt Jolanda in ein Gefäß mit 60 Grad heißem Wasser. Die Brühmaschine sieht aus wie eine übergroße Badewanne mit Deckel und sorgt binnen vier Minuten dafür, dass sich die Borsten von der Schwarte lösen.
Von der Brühmaschine wird das tote Schwein auf einer rollbaren Rampe nach nebenan in den Reinraum gebracht. Dort fackelt Bumm mit einem Gasbrenner die letzten Borsten ab, dann wird das Tier wieder kopfüber aufgehängt und ausgenommen.
Das sind schonungslose Szenen: Metzgergeselle Väth schneidet Jolanda am Bauch auf, entnimmt ihr von Hals bis Enddarm die Eingeweide am Stück und legt das fünf Kilo schwere Bündel ein paar Meter weiter auf einen Tisch. Exakt sortiert nach geschlachtetem Tier.

Das ist wichtig, wenn an diesem Montag gegen 8.30 Uhr die amtliche Tierärztin aus Miltenberg ein weiteres Mal kommt. Sollte sie bei der Fleischbeschau etwas Verdächtiges an den Eingeweiden erkennen, dann muss das auf das entsprechende Tier zurückgeführt werden können.
Ein Stempel der Veterinärin auf den Schweinehälften im Kühlhaus wird kurz darauf zeigen: Alles ist in Ordnung. Das Fleisch der acht Schweine darf zu Wurst werden. Auch das von Jolanda – nach einem halben Jahr im Stall und 80 Kilometern im Anhänger.
Schlachten in Mainfranken und gängige Betäubungsarten
Der Autor über die Recherche

Aus diesem Grund kaufe ich entweder auch beim selbst schlachtenden Metzger mit Tieren aus demselben Ort (Steinfeld) oder esse Wild.
Gruß Klaus Habermann, Estenfeld ! ! !
"Unser Land" im BR lässt grüssen!
Jürgen Haug-Peichl
Regionalredaktion/Main-Post
97084 Würzburg