
Freitag, 14. Februar, 18 Uhr, Hotel Kaiserhof Victoria in Bad Kissingen: Alexander Steinbeis macht sich fertig zum Ausgehen. Der Intendant des Kissinger Sommers mietet sich regelmäßig in diesem Jugendstil-Schmuckstück ein. Drei bis vier Tage die Woche verbringt er in Bad Kissingen, die restliche Zeit lebt er in Berlin. Seit vier Jahren lebt er so zwei Leben. Und das wird auch noch eine Weile so weitergehen - kürzlich wurde sein Vertrag in Bad Kissingen bis 2031 verlängert.
Das Hotel "ist praktischer und zudem günstiger, als eine Wohnung anzumieten", sagt Steinbeis. Im Hotel kennen und mögen ihn alle. Man ist stolz auf diesen Gast. Und der Intendant ist glücklich, während des Festivals in diesem Hotel leben zu können, denn hier sind auch die Künstler untergebracht. Kurze Wege und nah am Geschehen, das ist wichtig in der Hochphase des Kissinger Sommers.

"Ich liebe es, dass ich in Bad Kissingen weniger Ablenkung habe als in Berlin", sagt der Intendant. Was er in der Kurstadt finde, genüge ihm. Besser noch: "Die Überschaubarkeit macht alles familiär." So bereiten beispielsweise die Köche im Restaurant "Moon" nachts auch mal schnell Kleinigkeiten für hungrige Künstler zu.
Die schwerste Aufgabe für Alexander Steinbeis als Intendant: Absagen erteilen
Steinbeis arbeitet das ganze Jahr für den Kissinger Sommer. Das Musikfestival beansprucht ihn täglich, manchmal rund um die Uhr. Aktuell, bevor beim KiSo 2025 überhaupt ein Ton gespielt wurde, arbeitet er bereits am Programm des Jubiläums 2026, da wird der Kissinger Sommer 40 Jahre alt.
Schon jetzt muss er immer wieder tun, was für ihn am unangenehmsten an seinem Job ist: "Absagen geben", sagt er. Denn viele wollen Teil des Programms sein, versuchen, sich zu bewerben. "Wir wollen international ganz oben mitspielen, bei uns treten Künstlerinnen und Künstler von Weltrang auf – und das muss so bleiben." Steinbeis wählt die Künstler aus und fragt an. Das gilt als Ritterschlag.
Kissinger-Sommer-Intendant Steinbeis: "Unglaublich, was die Garitzer auf die Beine stellen"
An diesem Freitagabend macht Steinbeis sich fertig für die Prunksitzung im Bad Kissinger Stadtteil Garitz. Er freut sich auf den Abend mit Büttenreden. "Es ist unglaublich, was die Garitzer auf die Beine stellen – und daneben triffst du hier alle aus der Stadt in einer Halle."

Sein Mann Tobias Kaiser ist extra deswegen aus Berlin angereist. Tobias Kaiser ist Redakteur bei "Die Welt" in Berlin. Die beiden sind seit 2009 ein Paar, seit 2015 verheiratet. Sie wohnen im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Kaiser war bis 2023 Korrespondent für die Zeitung in Brüssel. Die Fernbeziehung mache ihnen nichts aus, sagt der 48-Jährige: "Wenn wir uns sehen, freuen wir uns sehr darüber."
Fünf Stunden lachen die beiden und zeigen sich als echte Fans der Garitzer Party. Als ein Büttenredner die "queere Community" aufs Korn nimmt, ziehen sie kurz die Augenbrauen hoch. Zugleich sagt Kaiser auch: "Es ist wichtig, die Berliner Blase auch mal zu verlassen."
Auf der Zugfahrt zwischen Berlin und Bad Kissingen arbeitet der Intendant
Samstag, 15. Februar: Die Nacht war kurz, der Zug nach Berlin geht gegen 10.30 Uhr. Steinbeis ist überzeugter Bahn-Fahrer. "Ich kann in den vier Stunden nach Berlin gut arbeiten", sagt er. Er setzt Kopfhörer auf und öffnet eine Papiermappe, auf der "I love Kissinger Sommer" klebt. "Mein Vater war Geschäftsführer einer Papierfabrik – auch wenn alles digitalisiert ist, ich mag Papier immer noch."

Steinbeis ist das älteste von vier Kindern, er hat zwei Brüder und eine Schwester. "Ich habe mich schon sehr früh verantwortlich gefühlt und das sehr gern." Das präge ihn heute noch, sei aber gleichzeitig Fluch und Segen. "Meine Standards setze ich auch bei anderen an. Das führt auch mal zu Enttäuschungen oder Frustration." Erna Buscham, im Kissinger Sommer seine rechte Hand, bestätigt das: "Er fordert eine gute Arbeit und ärgert sich selbst, wenn er einen Fehler macht."
Alexander Steinbeis hat in Berlin nur Klassik-CDs im Regal
Ankunft in Berlin-Südkreuz ist um 14.15 Uhr. Eine Station mit der S-Bahn, fünf Minuten zu Fuß, dann ist Steinbeis zu Hause in einer großzügigen Dachgeschosswohnung. An den Wänden: hohe Regale mit einer umfangreichen CD-Sammlung, alles Klassik.

Viel Zeit hat er nicht. Er will zum "Winter-CSD" gehen. Der Christopher Street Day ist weltweit ein Fest- und Demonstrationstag, an dem Menschen für die Rechte queerer Personen auf die Straße gehen.
Diesmal ist es ein politisches Statement vor der Bundestagswahl, das auch Steinbeis unterstützen will. "Wir können gerade live zusehen, wie in der größten Demokratie der Welt, den USA, bereits erkämpfte Rechte der Community angegriffen werden."

"Unsere Sichtbarkeit ist ganz wichtig", sagt der 51-Jährige, der offen homosexuell lebt. "Eine bunte und vielfältige Gesellschaft ist keine Bedrohung. Wir haben immer für gleiche Rechte gekämpft. Jetzt müssen wir nur nach Ländern wie Ungarn schauen – es ist nicht selbstverständlich, dass wir diese Rechte behalten."
Vor dem Kissinger Sommer war Steinbeis Direktor des Deutschen Symphonie-Orchesters in Berlin
Und mitten im Gewühl große Freude über das zufällige Wiedersehen mit einem alten Bekannten: Klaus Lederer, früherer Kultursenator von Berlin, er hat ein Parteibuch der Linken. "Mit Klaus konnte man hervorragend arbeiten, er hat sehr viel bewegt", sagt Steinbeis.

Steinbeis war 14 Jahre lang Direktor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Davor arbeitete er von 1999 bis 2005 als Dramaturg und Planer beim Boston Symphony Orchestra und beim Tanglewood-Festival in den USA.
Studiert hat Alexander Steinbeis an der London School of Economics and Political Science wie auch an der ESCP Business School in Paris, Oxford und Berlin. Ein Weltenbürger, der Englisch und Französisch wie ein Muttersprachler spricht – und dennoch zurück nach Deutschland wollte. "Boston zu verlassen, war keine leichte Entscheidung. Aber es wurde auch zunehmend schwieriger, meine Verbindungen zu Europa zu halten." Er gab dem Bedürfnis nach Heimat und seiner Sehnsucht nach Deutschland nach und heuerte in Berlin an.

Geboren ist Alexander Steinbeis bei München, aufgewachsen zunächst bei Holzkirchen und später in der englischen Grafschaft Kent. "Das hing mit der Englandliebe meiner Eltern zusammen", sagt er. Seine Mutter Alexandra ist eine geborene von Bülow. Alexander Steinbeis ist mit Vicco von Bülow verwandt, also mit Loriot, dem Künstler und Humoristen. "Vicco war auch privat so, wie er auf seinem TV-Sofa saß: voller Witz, Finesse und Akribie und durch und durch ein Gentleman."
In Berlin nutzt Intendant Steinbeis seine Kontakte in der Kulturszene für den Kissinger Sommer
In Berlin nutzt er seinen Standortvorteil. "Hier gibt es massenhaft Konzerte, Opernabende, Matineen. Hier gehen Agenten und Künstler aus der ganzen Welt ein und aus und sie wissen, dass sie mich hier ganz unproblematisch treffen können." So betreibt er in der Hauptstadt Lobbyarbeit für sein Festival mit Weltruf in Franken.
Zurück in der Wohnung bleibt nur noch Zeit für einen kleinen Snack. Die Zeit drängt, heute Abend hat er eine Verabredung mit der Chansonsängerin Katharine Mehrling. Sie tritt im Theater "Tipi am Kanzleramt" auf.

Alexander Steinbeis ist es gelungen, die Künstlerin zum Kissinger Sommer 2025 zu holen. Schon jetzt gibt es für ihren Piaf-Abend keine Karten mehr, auch heute Abend in Berlin ist das Zelt ausverkauft. Vielleicht kann er sie überzeugen, ein Zusatzkonzert zu geben. Nach dem Konzert will er vorfühlen.
Das Konzert, eine Hommage an Judy Garland, haut Steinbeis vom Hocker. "Ich freue mich so sehr, dass sie nach Bad Kissingen kommt", sagt er.
Gegen Mitternacht kommt Steinbeis nach Hause. Zum Herunterkommen greift er zu Salzbrezeln und iPad und schaut sich die verpasste erste Folge von "Germany’s Next Topmodel" an. "Ich kann dabei wunderbar entspannen. Und wenn dann noch jemand neben mir sitzt und lästert mit mir mit – herrlich!" Außerdem könnte er sich durchaus vorstellen, selbst einmal bei der Männerversion des TV-Formats mitzumachen.
Manchmal ist Alexander Steinbeis von Berlin genervt
Sonntag, 16. Februar: Nach einem Frühstück schnürt Steinbeis die Laufschuhe. Sport ist seit elf Jahren fester Bestandteil seines Lebens und er hat sich dafür einen Coach geholt. Der verblüffte ihn mit ganz neuen Erkenntnissen: "Was wirklich irre ist: Der Coach kann an meiner Wade messen, ob ich guten Schlaf hatte oder nicht. Ist sie dicker, schlafe ich schlechter oder zu wenig." Wie sieht Steinbeis’ Wade dann erst beim Kissinger Sommer aus? Da kriegt er oft weniger als fünf Stunden Schlaf.

Seine Joggingroute führt ihn rund um den Kreuzberg im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Gemessen am echten Kreuzberg in der Rhön ist das nur ein Pickel mitten im Kiez. "Der Berg ist ein immerhin", frotzelt Alexander Steinbeis. "An der Saale in Bad Kissingen läuft es sich definitiv schöner."
Deshalb packt er am Abend auch die Joggingschuhe wieder ein. Für seine Runde an der Saale am Dienstag, wenn er wieder für drei Tage in Bad Kissingen sein wird.