Es riecht nach Bolognese-Sauce. Schon jetzt. Die Uhr an der weiß gefliesten Wand zeigt kurz nach 8 am Morgen. Draußen hasten Ärzte mit weißen Kitteln und Kaffeebechern zur Arbeit, drinnen steht Mitch Rublica an einem Kessel voller Spaghetti und wuchtet ein Paddel durch die Teigmasse. 100 Kilogramm Nudeln, das ist Kraftarbeit.
Und es ist Alltag in der Großküche der Würzburger Uniklinik. Bis 11.30 Uhr werden hier täglich bis zu 2000 Mittagessen für Patienten und Mitarbeiter gekocht, drei Standardgerichte und zig Diätvarianten plus Suppen. Eine kulinarische Mammutaufgabe.
Die eigentlich bereits um 7 Uhr begonnen hat. Der stellvertretende Leiter, Chris Grötzner, sammelt sein Team um sich. Knapp über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt die Küchenmannschaft, etwa die Hälfte ist im Dienst. Grötzner verteilt Aufgaben. Dann geht es durch die Schleuse: Hände desinfizieren, Hauben aufsetzen, funktionieren.
Jeden Tag wird in der Uniklinik-Küche in Würzburg Essen für 86 Stationen gekocht
"Das Kochen besteht hier zu 80 Prozent aus Logistik", sagt Grötzner. 86 Stationen beliefert sein Team mit rund 2000 Mittagessen, dazu etwa 1000 Mal Frühstück und 1000 Abendessen. Alle Patienten müssen am Ende genau das auf ihrem Tablett finden, was sie bestellt haben. Das ist teils Fließbandarbeit. Die Mitarbeiter folgen einer immer gleichen Choreografie, begleitet vom Klappern der Teller und Tabletts.
"Wenn man das erste Mal 60 Kilo Spaghetti auf einmal kocht – das ist schon eine Herausforderung", sagt Grötzner und lacht. Der 56 Jahre alte Koch stand jahrelang in der Schweiz und in Österreich in Fünf-Sterne-Hotels am Herd. 1998 zog er der Liebe wegen zurück in seine Heimat Unterfranken, arbeitet seitdem in der Uniklinik. Mittlerweile kümmert er sich als stellvertretender Küchen-Chef vor allem um die Organisation.
Straffer Zeitplan: Um 10 Uhr füllen die Mitarbeiter die ersten Mittagessen auf die Teller
Zwei Produktionsbereiche umfasst die Großküche der Würzburger Uniklinik. Statt Herdplatten und Töpfe gibt es Kessel mit bis zu 500 Liter Fassungsvermögen, die Bratpfannen sind schreibtischgroß. An der Wand hängen meterlange Schöpflöffel, gegenüber steht die sogenannte Ofenflotte, sechs Multifunktionsgeräte, in denen Seelachsragout gart.
Ein Mitarbeiter schiebt einen Wagen voller Jogurt-Paletten in den Kühlraum. In den Regalen lagern unzählige Portions-Päckchen: Butter, Frischkäse, Wurst oder Marmeladen fürs Abendessen und Frühstück. Letzteres ist längst vorbei. Noch vor Sonnenaufgang wurden die Tabletts für die Patienten befüllt und ausgeliefert. "Ab 10 Uhr werden die ersten Mittagessen geschöpft und um 13.15 Uhr wird das Abendessen vorbereitet", sagt Grötzner. Der Zeitplan in der Großküche ist straff.
Auf dem Speiseplan stehen an diesem Dienstag "Spaghetti mit Sauce Bolognese" oder mit "Tomaten-Kichererbsen-Oliven-Soße", alternativ "Seelachs-Gemüse-Ragout im Reisrand". Und eine fränkische Kartoffelsuppe mit Gemüse. Was klingt wie eine Restaurant-Karte wird durch die Anzahl der Portionen zum Kraftakt: Mehr als 1100 Mal haben Patienten und Mitarbeiter Spaghetti bestellt.
Der Küchenchef grinst. Keine Überraschung. "Schnitzel und Spaghetti sind die beliebtesten Gerichte." Noch. Der Trend gehe zum vegetarischen Essen, sagt Grötzner. Deshalb gibt es in der Uniklinik seit kurzen einen reinen Veggie-Day. Ob das ankommt? Er zuckt mit den Schultern. Abwarten.
Es ist 8.45 Uhr. Mitch Rublica pflügt noch immer durch die Spaghetti, schreckt die heißen Nudeln ab und ölt sie ein. Nebenan steht Alexander Brand am sogenannten Elefantenrüssel. Der staubsaugerähnliche Pürierstab wühlt durch die "Tomaten-Kichererbsen-Oliven-Soße", Brand kippt erst eine Schaufel Zucker hinzu, dann Tomaten aus einer 10-Kilo-Packung. Er zückt einen Löffel, probiert und verzieht die Nase. "Basilikum-Oliven-Öl fehlt."
Wie gekocht und gewürzt wird, entscheidet nicht der einzelne Koch. Für alle Speisen gibt es eine "Produktionsanleitung". Die Gerichte haben die Küchenleitung, Köche, Diätassistenten und die Ernährungsberatung der Klinik ausgewählt. Alles muss gesund, nachhaltig und ausgewogen sein.
Und: Auch wenn Masse produziert wird – es soll schmecken. Gut und vor allem immer gleich, egal wer am Herd steht. "Das ist schwierig", gibt Grötzner zu. "Köche sind kreative Menschen."
Die Nachfrage nach laktose- oder glutenfreien Gerichten steigt an der Uniklinik
Um 9.30 Uhr steigt die Anspannung. In einer halben Stunde läuft das Produktionsband an, dann werden die Patienten-Tabletts befüllt. In der Diätküche geht es sogar zehn Minuten früher los. Dort wird an diesem Dienstag für etwa 150 Patienten einzeln gekocht. Laktosefrei, glutenfrei, für Allergiker. Sonderwünsche ohne medizinische Notwendigkeit gebe es aber nur für Palliativpatienten, sagt Grötzner. Mehr sei nicht zu schaffen.
Insgesamt sei die Nachfrage nach "Extra-Essen" deutlich gestiegen, sagt Anette Kreißel-Ebert. Die 59-jährige Beiköchin arbeitet seit mehr als vier Jahrzehnten in der Großküche. Vieles habe sich in der Zeit verändert, sagt sie. Beispielsweise falle weit mehr Plastikabfall an als früher. Und "es wird nicht mehr so viel selbst gemacht". Kartoffeln werden geschält und eingeschweißt gekauft, Zucchini kommen fertig gewürfelt.
Mengen sind knapp kalkuliert, das Küchen-Team der Uniklinik kocht keine zehn Essen zu viel
"Keiner steht mehr da und schnippelt", bestätigt Grötzner. Als er anfing, "haben wir sogar die Rouladen selbst gerollt und die Schnitzel selbst paniert". Das ist vorbei. Im Keller lagert ein halber Supermarkt. Stapelweise Käse, Kanister mit Essig, Mehlsäcke, Regalreihen voller Babynahrung im Glas für die Zahnklinik.
"Pro Jahr verbrauchen wir allein 30.000 Kilo Kartoffeln", sagt Grötzner. Hinzu kommen zum Beispiel rund 10.000 Schweineschnitzel, gut 16.000 Kilogramm Karotten und etwa 2900 Kilo Salz. Und das, obwohl die Kalkulation knapp ist. Keine zehn Essen zu viel würden täglich gekocht.
Gegen 9.50 Uhr bricht Hektik aus. Mitarbeiter strömen zum Portionierband, reihen sich rechts und links ein, setzen ihren Mundschutz auf.
9.57 Uhr. Das Band läuft an. "Für jeden Patienten gibt es eine Karteikarte mit seiner Bestellung und die wird zuerst aufs Tablett gelegt", erklärt Grötzner. Nach dieser Anleitung wird befüllt. Teller, Thermopellets, damit das Essen warm bleibt, Birnen, Kekse. Dann werden Spaghetti aufgetürmt und mit der passenden Soße übergossen.
Stefan Zimmermann steht am Anfang des Bandes. Er gehört seit mehr als 20 Jahren zum Team, legt im Sekundentakt Unterteller und Pellets auf. Immer die gleiche Bewegung. Pause machen ist unmöglich – das Band läuft. Eineinhalb bis zwei Stunden lang.
Gegen 10.30 Uhr gehen erste sehnsüchtige Blicke Richtung Uhr. Mitch Rublica fährt Spaghetti-Nachschub heran. Dominik Korth wuchtet den Korb nach oben. Gut 15 Kilo schwer sei ein Behälter, sagt der Koch. Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn.
Es ist heiß geworden in der Küche. Überall dampft es, Bolognese- und Fischgeruch mischen sich. Wie stressig es für die Köche und Portionierer werde, richte sich nach dem Speiseplan, sagt Dominik Korth. Je mehr Komponenten ein Gericht habe, desto anspruchsvoller werde es.
Der letzte Teller mit Spaghetti rollt gegen 11.45 Uhr vom Band
Am Ende des Fließbandes steht Alexander Brand und prüft, ob auf dem Tablett genau das liegt, was auf der Karte steht. Blitzschnell muss er erfassen, ob etwas fehlt oder falsch verteilt wurde. Wenn ja, gibt es einen Rüffel. Wenn nein, stülpt Brand den Deckel aufs Tablett. Fertig.
Gegen 11.45 Uhr rollt die letzte Portion Spaghetti vom Band und wird per Transportwagen zur richtigen Station gebracht. Pause. Schultern bewegen, kurz Luft holen. Danach geht es ans Aufräumen, putzen, schrubben. Mitch Rublica lässt Wasser in den leeren Kessel laufen, spült einzelne Nudeln aus. Gleichzeitig kommen die ersten Mitarbeiter aus dem Service-Team ans Band, portionieren Käse, Wurst, Butter und Co. fürs Abendessen.
Die Organisation muss klappen, die Choreografie sitzen. Immer. "Bei uns ist jeder Tag gleich, egal ob Mittwoch oder Sonntag", sagt Grötzner. Oft arbeiten er und sein Team sieben bis zehn Tage durch. Das ist Stress. Dafür ist in der Regel um 15.30 Uhr "alles erledigt", sagt Grötzner. "Danach ist die Küche leer." Bis zum nächsten Morgen.