Die Kamera ist immer dabei, zumindest die kleine. Wann immer, wo immer Dagmar Schnabel unterwegs ist. Wenn sie in Würzburg spazieren geht, Menschen begegnet auf der Straße, anspricht auf dem Marktplatz. Oder wenn sie unterwegs ist im Garten. Vogeltränken auffüllt, die Rosen pflegt. Wenn sie eine Szene fotografiert, jemanden porträtieren möchte, den sie trifft – dann fragt sie vorher, natürlich. Und sucht erst einmal das kleine Gespräch.
Bei den Käfern, den Raupen, Faltern, Hummeln in ihrem Garten gilt eine unausgesprochene Abmachung. "Ich hab‘ ein Agreement mit den Insekten." Keinen Schmuck, der am Handgelenk glitzert und klackert. Kein Parfum auf der Haut. Meist nicht die Spiegelreflexkamera – "die macht einmal Klick, dann sind sie weg".
Kleine Kamera also, dafür lassen Vögel, Igel, Spinnen, Schmetterlinge die Fotografin gewähren. "Der Segelfalter war gnädig", sagt Dagmar Schnabel. Eine volle Stunde ruhte das große schmucke Insekt bei ihr auf der Blüte und saugte und saugte.
Vor vier Jahren hat die Würzburgerin den ersten Segelfalter fotografiert. Aus dem Schmetterlingshaus der nahen Landesgartenschau muss er ausgebüxt sein, sagt Schnabel. Umso mehr die Freude, als jetzt – ohne Landesgartenschau – wieder ein Exemplar bei ihr auf dem Sommerflieder saß.
Schnabel fotografiert seit vier Jahrzehnten. Sie ist in München aufgewachsen, ihre erste Fotosession hatte sie mit 16 auf dem alten Südfriedhof dort. Mit der Insektenfotografie begann sie vor rund zehn Jahren – "zunächst aus dokumentarischen Gründen". Schon in Münchner Zeiten hatte sie mit Vogelbestimmungen und einem ornithologischen Journal begonnen. Vor zehn Jahren fing sie, im großen Garten in Würzburg, mit dem entomologischen Monitoring an.
Jeden Tag geht Dagmar Schnabel hinaus, schaut, sucht, beobachtet. Und zählt. Käfer, Bienen, Schmetterlingen, Wanzen. Alles, was sechs und mehr Beine hat, wird erfasst von A bis Z. Frühmorgens geht sie durchs Habitat mit Wiese, Hecken, Bäumen. "Wenn ich Glück habe, sehe ich noch einige. Die meisten Falter sind ja nachtaktiv." Manchmal dokumentiert sie drei Mal am Tag. Und im Winter auch.
"Seit wir nicht mehr mähen, nur zwei, drei Mal im Jahr, hat die Artenvielfalt enorm zugenommen." Weil es aufwändig wurde und sie mit dem täglichen Bestimmen in den Sommermonaten nicht mehr nachkam, begann Schnabel mit der Insektenfotografie – zur Nacherfassung im Winter. Sie will zeigen, was möglich ist, wenn sich die Natur entfalten kann. Sie fotografiert "Tiere, die wichtige Zeiger sind, was die Vielfalt, die Bedrohung durch Klimawandel und direkte Zerstörung durch den Menschen betrifft".
Frosch, Schnegel, Igel, Eichhörnchen, Sperber, Mäuse, die Eule, die regelmäßig über den Garten gleitet. 70 Vogelarten hat die Würzburgerin in ihrem Garten im Frauenland gesichtet. Und durch ihr Monitoring weiß sie: "Wanzen nehmen zu, Schmetterlinge werden extrem weniger."
Dagmar Schnabel sagt: "Ich sehe Dinge, die andere nicht sehen." Und: "Ich schau‘ sehr genau." Ob im Alltag, in der Stadt, wenn sie an Müll nicht vorbeigehen kann, sondern ihn aufsammelt. Und eben im Garten. Sie kennt kein Unkraut, sie sieht die Florfliegen und die Schaben und die Hummeln auf dem Schöllkraut und dem Giersch.
Gerade ist in der Umweltstation Würzburg eine kleine Ausstellung zu Ende gegangen, "Papillon". Da widmete sich Schnabel, Mitglied im Naturwissenschaftlichen Verein Würzburg e. V., den Tag-, Nacht- und Edelfaltern und zeigte die Metamorphose von hungrigen Raupen über ruhende Puppen bis zum schillernden Falter. Im vergangenen Jahr schon waren in der Umweltstation Arbeiten der Fotografin zu sehen: Flowers & Friends. Ein faszinierendes Spiel der Farben, Formen, Texturen von Insekten und Blüten, von Flügeln, Chitinfasern, Blättern.
"Letztendlich geht es auch um den Arterhalt von Homo sapiens", sagt Schnabel. Ihre Einladung an den Betrachter, die Betrachterin ihrer Bilder, gleich bei welchem Motiv: "Schau hin!" Bis 2. September sind in der Stadtbücherei im Falkenhaus Aufnahmen von Menschen zu sehen, denen die 57-Jährige auf ihren Wegen begegnete. Ein junges Pärchen beim Techtelmechtel am Main. Eine Matrosin auf dem Binnenschiff. Passanten auf dem Gehweg im Nebel.
Wie in der Naturfotografie: nie inszeniert, nie gestellt, immer "so wie es gerade war".
Sie zeigen etwas in den Bildern, was den meisten Menschen unsichtbar bleibt.
Weiterhin viel Freude bei der Fotografie.
Bruno Hennek, Würzburg-Dürrbachaus