
Wenn an diesem Samstagabend im Dritten wieder „Kunst + Krempel“ kommt, wird Norbert Schaller dann doch mal einschalten. Er hat ja seit 40 Jahren selbst ständig mit Kunst und manchmal auch Krempel zu tun. Oder zumindest mit lauter Dingen, die was Kunstvolles an sich haben. Mehr oder minder. Und seine Werkstatt in Würzburg-Oberdürrbach: ein einziges wundersames, vollgestopftes Reich, gespickt mit Kram, Plunder, Trödel, ganzen Schränken und Regalen voller Werkzeug und Farben und altem Zeug.


Lauter Dingen, die ihre Geschichte haben . . . und eben doch kein Krempel sind. Weil sie vielleicht keinen Wert haben – aber ganz sicher nicht wertlos sind. Nicht im Reich von Norbert Schaller, nicht in dieser Kunstschreinerwerkstatt, in dem noch jedes Ding seinen Platz findet und irgendwie seinen Nutzen hat, irgendwann. Und an diesem Samstag wird Schaller also mal schauen, wie das „Ding“ da im Fernsehen rüberkommt, das er vor nicht allzu langer Zeit bei sich auf der Werkbank liegen hatte.
Die Wallfahrertafel von Geldersheim. Im Mai 1686 hatten sich ja erstmals Gläubige aus dem kleinen Örtchen im Schweinfurter Umland auf den Weg nach Vierzehnheiligen gemacht. Und ein Jahrhundert später, zur Jubiläumswallfahrt, war wohl eine aufwändig gestaltete Prozessionstafel angefertigt und seitdem an der Spitze des Zuges mitgeführt worden.


Wie auch immer. Die große Geldersheimer Wallfahrt fand anno 1803, dem Jahr der Säkularisation, ein abruptes Ende. Und die Tafel auf ihrer langen Stange – verschwand. Bis sie Heimatforscher Alfred Popp jetzt – zufällig! – auf dem Speicher des Pfarrhauses fand. Verstaubt, etwas ramponiert von den Jahrhunderten zwischen all dem Krempel auf dem Pfarrhausdachboden. Die Geldersheimer brachten die verschollen geglaubte Tafel nach Oberdürrbach, in jene Werkstatt, in der alles seinen Wert hat oder seinen Wert zurück bekommt.
Es hat sich herumgesprochen, dass da noch jemand ist, der sich – mit Geschick, Fingerspitzengefühl, altem Werkzeug und improvisierten Hilfsmitteln – solchen Spezialfällen annimmt. Und vor allem mit einer schieren Freude an alten und schönen Stücken. Ob sie jetzt wertvoll sind oder nicht, ob sie als Kunststück gelten oder mehr als Trödel und Tand.

„Eine Mordsfigur“, sagt Norbert Schaller zum Beispiel über die 1,50 Meter hohe Maria, der die rechte Hand fehlt und die er gerade zur Verarztung in der Werkstatt hat. „Eine Mordsfigur! Vergoldetes Gewand und so Ding!“ Der Würzburger Sammler, dem Maria gehört, brachte schon „viele so schöne Sachen“ zu Schaller. Und der ist jedes Mal wieder verzückt. Wie über den liegenden Christus, der irgendwo in einer Spessart-Kirche jeden Karfreitag aufgebahrt war und der jetzt einen Fußschaden hat. „Die Patina, die bekommen wir wieder hin“, sagt Schaller über die vielen Aufplatzungen am Jesus-Leib.
In den 1970er Jahren hat Schaller sein Handwerk gelernt. Nicht beim Vater, der schon Schreiner war. Sondern bei Albin Fuchs in der Huttenstraße. „Eine gute Lehrwerkstatt“, sagt der 64-Jährige. Bei Fuchs hätten auch zwei Bildhauer gearbeitet, da wurden Stilmöbel gefertigt, Stücke aus dem Mainfränkischen Museum aufbereitet – „da wurde auch poliert und restauriert“. Als er ausgelernt und seinen Meister gemacht hatte und ins Geschäft des Vaters zurück kam, „da ging der Antiquitätenboom los“.
Barock sei ja vorher schon gefragt gewesen. Jetzt kamen die Bauernmöbel. Gute Zeiten für Kunstschreiner. Heute ist er in seiner Wunderwelt der Dinge einer, der aus „alt“ nicht „neu“ machen will. Sondern den Heiligen, den alten Kommoden, Nachttischschränkchen, Nähkästchen, Ölbildern, Hirschgeweihen den Charme bewahren will, auch wenn er sie repariert, restauriert, säubert, poliert. Manchmal kommt jemand zu ihm und will nur einen Rat. „Aber die Erfahrung kann man nicht weitergeben, dieses Gefühl.“ Man müsse das „im Arm, in der der Hand haben“, sagt Schaller und greift einen der Dutzende, vielleicht Hunderte von Pinseln und fährt dem Gekreuzigten leicht über die Stelle mit der Zehe, die abgebrochen war.
Und dann schnappt er sich ein Leinenballenschwämmchen, tupft es in ein altes Essiggurkenglas mit Polieröl-Geheimflüssigkeit und bearbeitet kreisend an einem edlen Biedermeierkästchen den Schellack. „Handpolitur, das musst du können.“ Man müsse stilecht arbeiten. „Und nach altem Handwerk.“

Der Kunstschreiner blättert deshalb viel in Büchern, wenn er alte Uhren bekommt. Oder Spiegelschränke oder Frisierkommoden aus elfenbeinfarbenem Lack. Manchmal drechselt er auch. Oder schnitzt. Oder gießt ein kaputtes Stück neu aus Zinn. „Und Schlosser muss man auch e weng sein“, sagt Schaller, der die Vielfältigkeit an seinem Handwerk liebt, und zeigt auf die ganze Batterie an staubigen alten Schlössern und Schlüsseln, die in dicken Bünden vom Balken hängen.




Der Staub kommt vom Schleifen. Weil: „Gut geschliffen ist halb poliert.“ Deshalb sind auch die Nussknacker, das alte Spielzeug, die Gemsköpfchen, die Bilderrahmen, Schraubzwingen, Döschen und Tiegel mit Farben, Pulver, Terpentin, essigsaurer Tonere, sind die Schachteln, die Madonnen, die Dosen und Kabel, die vielbenutzten Hobel ein wenig überzogen mit dünnem Film.
Holz ist nach wie vor ein Stoff, den Schaller liebt. Und Holzmöbel, natürlich. Die modernen Fußbodenheizungen? „Ganz schlecht! Man glaubt es nicht.“ Die permanente Wärme von unten würde so manches Stück, das Jahrhunderte überstand, plötzlich furchtbar verziehen. Nicht verzogen, nicht verstaubt, dafür „wieder ansehnlich“ ist indes der bemalte Weihnachtschmuck von Therese Lindner aus den 1930er Jahren, den er gerade aufbereitet hat für eine Kundin. Laubsägearbeiten, filigran. „Das ist so schön!“, schwärmt Schaller, der sich für alles Handwerkliche begeistern kann. „Die Engel: so süß! Da kopiere ich mal einen nach.“
Und die Wallfahrertafel aus Geldersheim? Norbert Schaller reinigte, besserte Absplitterungen aus, ergänzte die metallene Einfassung mit ihren blattartigen Elementen. Jetzt können sich die 14 Nothelfer wieder sehen lassen – und die gekrönte Maria mit Taube auf der anderen Seite auch.
Heimatforscher Alfred Popp und der Geldersheimer Erich Wildlanger fuhren mit der Tafel vor ein paar Wochen ins Kloster Roggenburg, zur Aufzeichnung einer „Kunst + Krempel“-Folge rund um religiöse Volkskunst. Die zwei Sachverständigen, die da die Tafel beschauten, fanden die Restauration jedenfalls gelungen. Und der Wert? Immerhin, sie sagen: ideell sei er hoch.

