Beim größten Lebkuchen-Versand der Welt laufen drei Öfen an sechs Tagen der Woche jetzt im Advent fast rund um die Uhr. Wieso die Firma Schmidt aus Nürnberg Pakete bis nach Sidney verschickt und die Mandeln heute noch von Hand aufs Teigstück kommen.
Dass man auf Hawaii heute das ganze Jahr über Lebkuchen essen kann? Das liegt an jenem Hotelier dort, der seine Gäste allzeit mit würzigem Gebäck vom anderen Ende der Erde überraschen will. Das liegt an jenem Unternehmen aus Franken, das seine Produkte seit jeher schon in alle Herren Länder verschickt. Und das ist vor allem einem schieren Zufall vor 95 Jahren zu verdanken . . .
Anno 1926 nämlich, da hatte ein Bäcker aus Thüringen eine größere Rechnung zu begleichen. Geld war knapp, er zahlte in Naturalien – konkret: mit Lebkuchen, einer ganzen Wagenladung voll. Der Gläubiger schickte die Backware per Eisenbahn zu seinem Bruder, der im Großhandel tätig war, nach Nürnberg zur Vermarktung. Und da saß E. Otto Schmidt nun mit einem Berg Gebäck und sollte die zwar durchaus ein wenig haltbare, aber doch verderbliche Ware verkaufen.
Schmidts Idee: Er schaltete Zeitungsannoncen, stellte Sortimente zusammen und ließ Pakete packen, die sich die Leute nach Hause schicken lassen konnten. Eine neuartige Geschäftsidee, für die Kunden bequem – und so erfolgreich, dass Schmidt für seinen Versand bald schon Lebkuchen nachkaufen musste. Die Nachfrage ließ nicht nach, und so begann der findige Unternehmer in einer kleinen Nürnberger Backstube selbst mit der Lebküchnerei. Schon 1933 beschäftigt er dort rund 100 Mitarbeiter.
Knapp 100 Jahre später produzieren bei Schmidt, in einer Fabrik im Stadtteil Langwasser, während der Hauptsaison rund 800 Mitarbeiter – gut 300 Stammkräfte, dazu 500 Helfer – Lebkuchen, Spekulatius, Christstollen und anderes Feingebäck und verschicken Pakete in alle Welt. Jetzt in der Vorweihnachtszeit wird im Dreischichtbetrieb gebacken, bis zu drei Millionen Lebkuchen kommen nach sieben bis acht Minuten Hitze täglich aus dem Ofen, Tausende Pakete verlassen das hauseigene Versandzentrum jeden Tag.
Dass die drei riesigen Produktionsbänder und die drei 40 Meter langen Backöfen an sechs Tagen die Woche fast rund um die Uhr laufen? „Lebkuchen ist für Deutschland und Mitteleuropa ein absoluter Saisonartikel“, sagt Schmidt-Geschäftsführer Jürgen Brandstetter. Eigentlich sei der Lebkuchen ja in Nürnberg traditionell ein Fest- und Feiergebäck, erzählt Schmidt-Sprecher Andreas Hock, ganz unabhängig vom Advent. „Historisch hat der Lebkuchen gar nichts mit Weihnachten zu tun.“
Und im Ausland esse man die fränkische Spezerei ja auch über das ganze Jahr, wie die Bestellungen aus Sidney, Singapur oder Seattle zeigen – und auch jener regelmäßige kleine Export nach Hawaii. Im Inland aber macht das Traditionsunternehmen aus der mittelfränkischen Metropole 80 Prozent seines Umsatzes von Oktober bis Weihnachten. Heuer, so Brandstetters Rechnung, werden es wohl 100 Millionen Euro am Jahresende sein.
Der Klassiker bei Schmidt? Nach wie vor der Schoko-Lebkuchen, sagt Andreas Hock. „Der absolute Bestseller, der macht fast die Hälfte der Produktion aus.“ Der gebürtige Nürnberger mag den Elisenlebkuchen mit der Schokoladenglasur selbst auch am liebsten, allen neuen Kreationen wie Gebrannte-Mandel-Lebkuchen, Bratapfelstückchen-Lebkuchen oder Pflaume-Zimt-Elise zum Trotz: „Ich bin Purist“, sagt Hock. „Zum Kaffee geht der Schoko-Lebkuchen jeden Tag.“
Apropos Trotz. Dass jetzt in der heißen Phase gut 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Riesenbackstube und im Großversand tätig sind, hat damit zu tun, dass in der Lebkuchen-Fabrik zwischen all den Maschinen viel, viel Handarbeit gefragt ist. Bis heute gebe es weltweit zum Beispiel kein Verfahren, das runde kleine Teigstück exakt mit Mandeln zu bestücken, sagt Hock. Viel Erfahrung, gute Augen und flinke Hände sind nötig, um die Mandelhälften säuberlich auf die Glasur zu setzen. Und auch beim Kommissionieren und Bestücken der Pakete setzt man beim größten Lebkuchen-Versender der Welt ganz auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Karton soll optimal ausgenutzt sein. „Wir haben lieber etwas mehr Personal als nur Maschinen“, sagt Hock.
Was bis heute übrigens auch gleich geblieben ist in der fast 100-jährigen Firmengeschichte: „Sie bekommen Schmidt-Lebkuchen nur über unsere Vertriebskanäle.“ Schmidt verzichtet komplett auf Zwischenhändler, im Supermarkt gibt es die Elisen nicht zu kaufen. „Lebkuchen sind ein sensibles Gebäck, das muss gut gelagert werden“, sagt der Unternehmenssprecher.
So erfolgreich E. Otto Schmidt mit seiner Päckchen-Idee war und so gut der Versandhandel gleich funktionierte: Mitte der 1960 Jahre überlegten die Nürnberger Lebkuchen-Bäcker – die beiden Söhne Rudolf und Martin Schmidt-Burkhardt waren in den Betrieb eingestiegen –, dass ein zweites Standbein mit stationärem Verkauf nicht schaden könne. Die Idee: In der Vorweihnachtszeit die italienischen Eisdielen zu pachten, die in der kalten Jahreszeit geschlossen und verwaist waren. Schoko-Elise statt Stracciatella – so praktiziert es Schmidt im Winter deutschlandweit bis heute.
Den ganzen Dezember über wird dafür in Nürnberg täglich am laufenden Band nachgebacken. Nach Weihnachten erst kurze Betriebsruhe, dann stehen die Maschinen still, werden grundgereinigt und gewartet. Das Lebkuchen-Backen beginnt dann wieder im Februar – Hawaii und der Rest der Welt wartet.