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Würzburg
Zwischen Poker und Schach: So zocken Profis Scrabble
Sie beugen Verben, lieben das Genitiv-S, kennen alle zweibuchstabigen Wörter und lassen nur gelten, was im Duden steht. Besuch beim Monatstreff der Scrabble-Spieler.
Jutta Wittmann, Christine Simny, Cornelia Frank und Beate Lutz beim Scrabble-Treff im 'Standard' in Würzburg.
Foto: Daniel Peter | Jutta Wittmann, Christine Simny, Cornelia Frank und Beate Lutz beim Scrabble-Treff im "Standard" in Würzburg.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:47 Uhr

Verflixt. Fast nur „E“s auf dem Bänkchen. Was fängt man nur an mit lauter „E“s? Der Anfänger ist ratlos. Beate Lutz lächelt und hilft: „Teeei! Ganz berühmtes Wort, wenn man zu viele ,E? hat.“ Ein „T“ und ein „I“ sind zum Glück dabei, also schnell hingelegt auf das Spielbrett, hinein in die 15 mal 15 Quadratefelder. Bloß bringt das Teeei gerade nicht viel: sechs Punkte nur. Nichts im Vergleich zum „Myxödem“, jener krankhaften Hautschwellung, mit der man beim deutschsprachigen Scrabble auf Anhieb die höchste Punktezahl erreichen kann: 138! Mittwochabend im „Standard“.

Während an den Tischen in der Würzburger Kneipe das ein oder andere Feierabendbier getrunken und viel geschwätzt wird, herrscht hinten in der Ecke volle Konzentration. Nur die Buchstabensteine klackern. Und ab und an wird anerkennend geraunt. Seit zwei Stunden schon geht es beim Treff der Scrabble-Freunde um möglichst wertige Worte aus insgesamt 100 Buchstabensteinen. Eben hat sich Cornelia Frank mit „Beicht“ 39 Punkte gelegt – weil das Wort ein dunkelrotes Feld kreuzt und sie deshalb dreifachen Wortwert bekommt.

„Es geht leider nicht um schöne Wörter. Das muss man den Anfängern austreiben, sonst kommt man nicht weit.“
Jutta Wittmann, Vorstandsmitglied bei Scrabble e.V., über das Ziel des Spiels  

Beicht? Jutta Wittmann schmunzelt. „Es geht leider nicht um schöne Wörter. Das muss man den Anfängern austreiben, sonst kommt man nicht weit.“ He, Hey und Ey. Nicht schön. Aber dafür gibt? schon mal 26 Punkte. An der richtigen Stelle auf dem Spielfeld kommen durch das simple „Nö“ und „Öl“ schon mal 51 Punkte zusammen. Und „Sequoia“ ist vielleicht auch nicht das allerschönste Wort. Aber der kalifornische Mammutbaum ist halt das kürzeste Wort im Duden, in dem alle Vokale enthalten sind. Und es sind sieben Buchstaben, die – strategisch schlau auf dem Brett abgelegt – mit einem einzigen Zug 128 Punkte einbringen können.

Woche für Woche Denksport: Angefixt durch das Buchstabenrätsel in der "Zeit"

Mit häufigen Buchstaben wie „N“, „E“ oder „S“ schreibt man sein Punktekonto kaum in die Höhe. Die Kunst ist es, geschickt das problematische, aber wertvolle „Ü“ oder gar das „Y“ zu legen. Am besten über ein blaues oder rotes Feld auf dem Brett, wofür es doppelten oder dreifachen Buchstaben- oder gar Wortwert gibt. Ey also! Der Gast staunt. Ein Profi wie Jutta Wittmann nickt da nur. Die Diplompsychologin im Ruhestand ist Turnierspielerin und seit einem halben Jahr im Vorstand von Scrabble Deutschland e.V. Infiziert mit dem Scrabble-Virus wurde sie durch das Buchstabenrätsel in der „Zeit“. Seit es das gibt, scrabbelte Jutta Wittmann Woche für Woche mit. Und irgendwann vor zwölf Jahren nahm sie bei ihrem ersten „Zeit“-Turnier teil. Da merkte sie: „Da sind lauter so Verrückte wie ich!“

Verrückte, die Kurzwörter auswendig lernen, die nach den offiziellen Regeln erlaubt sind. Begeisterte, die unvollständige Verben beugen, um möglichst hohe Wortwerte zu erzielen. Die wissen, dass eine Kurzform wie „Kripo“ gilt, eine Abkürzung wie „BH“ aber nicht. Die sich freuen, wenn sie mit einem unschönen Wort extrem viele Punkte machen und am Spielbrett lieber nur zu zweit als zu dritt sitzen, weil: „Zu dritt ist keine Taktik möglich.“

Gerade 70 geworden: Am 16.12.1948 wurde das Spiel beim Patentamt angemeldet.
Foto: Daniel Peter | Gerade 70 geworden: Am 16.12.1948 wurde das Spiel beim Patentamt angemeldet.

Der Reiz dieses Denksports? „Scrabble ist eine Mischung aus Schach und Poker“, sagt Jutta Wittmann, während der Anfänger beim Kneipentreff gerade ratlos vor seinen sieben Buchstaben auf dem Ablagebänkchen sitzt. Was macht man nur mit einem „D“, einem „L“, zwei „C“, einem O“ und einem „Q“ ohne „U“? Am Spielfeld nebenan legt Christine Simny gerade cool ein „Ixen“ für 22 Punkte und leistet dann bei einem Blick aufs Anfänger-Bänkchen Nachbarschaftshilfe: „Wie wäre es mit ,Dol‘, der Einheit für den Schmerz?“ Was der Anfänger immerhin schnell kapiert hat: Kein Wort darf diagonal gesetzt und es muss immer an ein bereits liegendes Wort angelegt werden. Eigen-, Städte- und Ländernamen sowie Markenbezeichnungen sind tabu. Wer mit dem Scrabbeln ernst macht, wundert sich über nichts mehr. „Weft“? „Gibt?“, sagt Beate Lutz. „Hab‘ ich schon auf dem Brett gesehen. Keine Ahnung, was das ist.“ Kurz nachgeschlagen, aha: Schussgarn aus harter englischer Cheviotwolle. Hauptsache Punkte.

Bald nach ihrem ersten Turnier auf Usedom holte Jutta Wittmann 2010 die erste offizielle Deutsche Scrabble-Meisterschaft mit 77 Teilnehmern nach Bad Kissingen. Und im Jahr darauf übernahm die unterfränkische Kurstadt gleich noch einmal die Gastgeberrolle für das Denksport-Turnier. Da holte die spätere Siegerin die meisten Punkte für Begriffe wie „Rossend“ und „Entringe“ sowie „Gerodete“, „Felskamm“ oder „Beinern“. Wobei „Felskamm“ eigentlich ungültig gewesen und damit vom Gegner anfechtbar gewesen wäre. Weil's nicht im Duden steht und nicht auf der höchstoffiziellen Liste aller gültigen Scrabble-Wörter.

Profis taktieren - und warten auf das Bingo! 

Jutta Wittmann hat inzwischen rund 700 Turnierspiele hinter sich. Mit einem „Teeei“ braucht man ihr nicht zu kommen. „Ist nicht teuer genug.“ Sie spielt jeden Tag, vor allem online, zum Beispiel mit Christine Simny. Die hat am Kneipentisch gerade alle ihre sieben Buchstaben auf einmal aufs Brett gelegt – Bingo! 50 Punkte extra! Beate Lutz legt „Grütze“. „Schön, aber nur 16 Punkte.“

Cornelia Frank legt „Varia“ für 32 Punkte. Und entschuldigt sich ein paar Spielzüge später bei der Gegnerin: „Ich bin schuld, die Varia machen da oben alles zu.“ „Es ist nicht nur das Können, sondern auch der Zufall“, sagt Diplompädagogin Beate Lutz auf die Frage, was sie am Spiel mit den 100 Buchstaben reizt. Dafür lernt sie drei- und zweisilbige Worte auswendig. Und beim Spazierengehen geht ihr schon mal durch den Kopf, wie viele Punkte das schöne Wort „Amphore“ wohl bringt. Im Dezember erst hatte „Scrabble“ 70. Geburtstag. Und Hersteller Mattel verhalf dem Brettspiel zu etwas medialer Aufmerksamkeit. Indem er nämlich verkündete, in Deutschland werde der Klassiker künftig „Buchstaben-Yolo“ heißen. Ein PR-Gag, aber im Internet gab's dafür einen schönen Shitstorm.

Immer zu zweit am Brett, sonst macht es Profis keinen Spaß: Scrabble-Treff im Würzburger 'Standard'. 
Foto: Daniel Peter | Immer zu zweit am Brett, sonst macht es Profis keinen Spaß: Scrabble-Treff im Würzburger "Standard". 

Natürlich wird im „Standard“ bei Tee, Apfelschorle und Kässpätzle beim Monatstreffen nicht „Buchstaben-Yolo“ gespielt. Sondern Scrabble, natürlich, nach wie vor und weiterhin. Am 16. Dezember 1948 war das beliebteste Wortspiel der Welt in den USA unter eben diesem Markennamen beim Patentamt registriert. Der Erfinder war kein Schriftsteller, Sprachlehrer oder Journalist, sondern ein arbeitsloser Architekt mit Vorliebe für Wortspiele.

Was Erfinder Alfred Mosher Butt wollte: Ein Spiel, das halb aus Glück, halb aus viel Können besteht

Auf der Suche nach einem Spiel, das zur Hälfte Glück, zur Hälfte viel Können erfordert, hatte der US-Amerikaner Alfred Mosher Butts 1931 schon, zu Zeiten der großen Wirtschaftskrise, die Urform entwickelt. „Lexiko“ nannte er erst sein Spiel, das zunächst noch kein Brett mit diagonal verlaufenden Bonusfeldern hatte wie heute. Aber schon Holzplättchen mit jeweils einem Buchstaben des Alphabets. Aus zufällig gezogenen Schriftzeichen sollten möglichst lange Wörter gelegt werden. Je seltener der Buchstabe, desto höher sein Punktwert. Die Häufigkeit der einzelnen Buchstaben hatte Butts anhand von Titelseiten der New York Times ermittelt. 1933 hatte Butts sein „Lexiko“ großen Herstellern wie Milton Bradley und Parker Brothers angeboten – ohne Erfolg. Er ließ sich nicht entmutigen, bastelte weiter selbst Exemplare und verkaufte und verschenkte sie an Bekannte.

Und mit Hilfe seines Freundes James Brunot, einem Rechtsanwalt, gelang Butt doch noch der Durchbruch. Brunot war von der Spielidee begeistert und übernahm gegen Zahlung einer Provision die Herstellungs- und Vertriebsrechte. Er veränderte die Spielregeln ein klein wenig und ergänzte den 15 mal 15 Felder großen Spielplan um die farbigen Prämienkästchen. Schließlich reichte er unter dem Namen „Scrabble“ den Patentantrag ein. Vielleicht, weil der Spieler blind herumsuchend seine Buchstaben aus einem Säckchen zieht? Oder weil man sich – die sieben Plättchen auf seinem Bänkchen vor Augen – durch die Möglichkeiten der Wortbildung herumtastet?

Entdeckung im Sommerurlaub: Mit dem Chef von "Macy's" kam der Erfolg 

Die 145 000 aktuellen Stichworte des Dudens, die Grundlage des Regelwerks der Turnierspieler sind, abtastend? Das englische „to scrabble“ bedeutet jedenfalls „herumsuchen, herumtasten“. Brunot soll mit seiner Frau anfangs selbst 18 Spiele pro Tag gebastelt haben. Bis der Zufall ins Spiel kam: 1952 entdeckte der Präsident von New Yorks größtem Kaufhausbetreiber Macy's, Jack Strauss, im Sommerurlaub das Spiel. Und ließ, zurück in New York, „Scrabble“ ins Sortiment aufnehmen. Prompt wurden bis Jahresende 37 000 Stück verkauft.

Schon drei Jahre später kam das Wortspiel nach Deutschland, 1955 wurde es erstmals auf der Nürnberger Spielwarenmesse präsentiert. Bis heute wurde Scrabble mehr als 120 Millionen Mal verkauft und in Afrikaans, Arabisch, Chinesisch, Hebräisch und 25 weitere Sprachen übersetzt Es gibt eine Version in Blindenschrift, in Nigeria ist Scrabble staatlich geförderte Sportarten, bei der inzwischen jährlichen Weltmeisterschaft in englischer Sprache wird die Konkurrenz immer stärker. In Würzburg an diesem Abend gibt es gerade für „Toast“ zwölf Punkte. Und Jutta Wittmann freut sich gerade über 78 Punkte für einen dreifachen Wortwert samt Bingo. „Killerinstinkt“, sagen die Mitspielerinnen.

Aber Cure? Was für ein Wort soll das sein? Am Scrabble-Tisch wird schon mal gestritten, wenn jemand ein Wort legt, das es offiziell nicht gibt. So wie den „Schwanzhund“, mit dem Loriots Tante Mechthild in „Ödipussi“ einst hartnäckig 57 Punkte einstreichen wollte. Cure? Tja, der französische Geistliche hat jedenfalls Eingang in den deutschen Duden gefunden – und gilt. Also: Griff ins Stoffsäckchen, neue Buchstaben ziehen – wie es sich gehört ohne zu Spicken mit ausgestrecktem Arm und in Schulterhöhe bitte.

100 Buchstaben wollen möglichst teuer senkrecht und waagrecht angelegt sein. 
Foto: Daniel Peter | 100 Buchstaben wollen möglichst teuer senkrecht und waagrecht angelegt sein. 

Im Familienkreis spielt kaum noch einer vom Würzburger Scrabble-Treff. Weil sie alle gnadenlose Zocker sind und auch mal nur ein Genetiv-S raushauen, um auf einem Dreifacher-Wortwert-Feld zu landen. Immerhin soll mehr als die Hälfte aller deutschen Haushalte ein Scrabble-Spiel besitzen. Und wer keinen Spielpartner findet, kann auf der Website des Verbandes nachsehen, wo man sich bundesweit in größeren Gruppen trifft, so wie in Würzburg.

Zu Ende ist das Spiel, wenn ein Spieler all seine Buchstabensteine ausgespielt hat und der Beutel leer ist. Dem Mitspieler werden die Punkte der Buchstaben, die er noch auf seinem Bänkchen übrig hat, abgezogen. Und dem Spieler, der das letzte Wort hatte, gutgeschrieben. So zieht Beate Lutz grinsend doch noch an Jutta Wittmann vorbei: „Beim Abrechnen gewonnen.“

Kontakt und Infos: Viel Wissenswertes zum Spiel, zu den Regeln und dem Verein Scrabble Deutschland gibt es online unter scrabble-info.de In Würzburg findet der nächste Scrabble-Treff am Dienstag, 22. Januar, wieder im „Standard“ in der Oberthürstraße 11A statt. Los geht es um 16 Uhr. Auch Anfänger sind willkommen! Am besten kurz vorher per Mail bei Jutta Wittmann melden unter RJFTWittmann@t-online.de

 
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