zurück
Ochsenfurt
Zuckerrübenanbau: Keine weitere Notfallzulassung für Neonics
Wissenschaftler haben die Auswirkungen des Insektizid-Einsatzes auf Bienen und andere Insekten untersucht. Inzwischen liegen erste Ergebnisse der Studie vor.
Auf einem Acker bei Eßfeld (Lkr. Würzburg) warten Zuckerrüben auf den Transport in die Zuckerfabrik nach Ochsenfurt.
Foto: Gerhard Meißner | Auf einem Acker bei Eßfeld (Lkr. Würzburg) warten Zuckerrüben auf den Transport in die Zuckerfabrik nach Ochsenfurt.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:53 Uhr

Eine Notfallzulassung für Neonicotinoide im fränkischen Zuckerrübenanbau wird es aller Voraussicht nach im Jahr 2022 nicht geben. Das Landesamt für Landwirtschaft (LfL)in Freising hält den Einsatz des Insektizids, gegen das Imkerverbände und Naturschützer seit Jahren Sturm laufen, nicht länger für erforderlich. Trotzdem reißt die Kritik an der Wirkstoffgruppe nicht ab. Im Visier steht dabei inzwischen auch belastetes Erdreich aus der Rübenwäsche, das wieder auf die Felder zurückgefahren wird. 

Neonicotinoide, kurz Neonics, sind Substanzen, die sehr selektiv auf das Nervensystem von Insekten wirken und insbesondere für Bienen toxisch sind. Für Wirbeltiere und den Menschen sind sie hingegen kaum gefährlich, werden aber in der Umwelt nur langsam abgebaut. Seit Ende 2018 ist die Freilandanwendung EU-weit verboten. Nur über eine Notfallzulassung dürfen Neonics unter strengen Auflagen weiter angewendet werden. 

2020 hohe Ertragseinbußen durch Virenbefall

Nachdem sich die sogenannte Vergilbungskrankheit, die Ertragseinbußen von über 40 Prozent zur Folge haben kann, 2020 auf 87 Prozent der fränkischen Rübenanbaufläche ausgebreitet hatte, hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz 2020 eine solche Notfallzulassung für Neonics erlassen. Die Vergilbungskrankheit führt auf Viren zurück, die von Blattläusen übertragen werden. Laut den Anbauerverbänden ist die Neonic-Behandlung des Saatguts derzeit die einzige selektive Maßnahme gegen den Blattlausbefall und damit gegen eine weitere Ausbreitung der Viren.

Der Neonics-Einsatz wird unter anderem damit gerechtfertigt, dass Rüben als zweijährige Pflanze normalerweise nicht zur Blüte kommen und deshalb keine Insekten anziehen. Die mit der Zulassung verbundenen Auflagen schreiben unter anderem vor, dass auf den betreffenden Äckern blühende Beikräuter entfernt werden müssen und auch im folgenden Jahr keine Blühpflanzen, wie etwa Raps, angebaut werden dürfen. Gleichzeitig wurde der Neonicotinoid-Einsatz von breit angelegten Untersuchungen des LfL und des Instituts für Bienenkunde an der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim begleitet.

"Wir müssen davon ausgehen, dass der Einsatz von Neonicotinoiden immer ein gewisses Restrisiko birgt."
Institut für Bienenkunde, Veitshöchheim

In zwei Untersuchungsphasen - nach der Aussaat und während der sommerlichen Hauptvegetation - waren an mehreren Rübenstandorten mit und ohne Neonics-Behandlung Bienenvölker angesiedelt worden, wie der Leiter des Bienen-Instituts Stefan Berg erläutert. Neben der Beobachtung der Bienenpopulation wurden Nektar, Pollen aber auch tote Bienen auf Rückstande des Insektizids untersucht.

Inzwischen seien die ersten Ergebnisse der Studie ausgewertet, so Berg. Demnach konnten in beiden Untersuchungszeiträumen weder im gesammelten Nektar noch in toten Bienen Neonics nachgewiesen werden. Auch die Populationsstärke der Bienenvölker habe sich nicht erkennbar verändert, so Berg.

Nachgewiesen wurde der Wirkstoff allerdings in Beikräutern und den sogenannten Schossern. Das sind Blütenstände der Rüben, die in seltenen Fällen bereits im ersten Vegetationsjahr gebildet werden. Diese Schosser werden zwar nicht von Bienen angeflogen, wohl aber diene ihr Pollen anderen Insekten als Nahrung. "Eine abschließende Bewertung steht zwar noch aus, wir müssen aber davon ausgehen, dass der Einsatz von Neonicotinoiden immer ein gewisses Restrisiko birgt", so Bienen-Fachmann Stefan Berg. Deshalb sei es wichtig, Beikräuter vor der Blüte zuverlässig aus Rübenäckern zu entfernen.

"Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Blattlaus-Population nach einem milden Winter schnell wieder aufbaut."
Klaus Ziegler, Verband Fränkischer Zuckerrübenbauer

Der Virenbefall ist im Anbaujahr 2021 auf unter zehn Prozent der Rübenfläche zurückgegangen, so Klaus Ziegler, Geschäftsführer des Verbands Fränkischer Zuckerrübenbauer (VFZ). Das liege zum einen an der Saatgutbehandlung mit Neonics, aber auch am strengen Winter, der die Blattlauspopulation erheblich reduziert habe.  In Abstimmung mit der Landesanstalt für Landwirtschaft sei man deshalb zu dem Schluss gekommen, für das kommende Anbaujahr keine erneute Notfallzulassung zu beantragen.

Für Ziegler ist das aber nur eine Entwarnung auf Zeit. "Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Blattlaus-Population nach einem milden Winter schnell wieder aufbaut und wir erneut Gegenmaßnahmen ergreifen müssen", so der VFZ-Geschäftsführer. Langfristig baut der Verband auf die Züchtung resistenter Sorten.

Erdanhang als Risikofaktor

Ein Aktionsbündnis aus Bund Naturschutz (BN) und Imkern sieht inzwischen die Rübenreinigung als weiteren Risikofaktor. Erde, die den Rüben anhaftet, wird später zum großen Teil wieder zurück auf die Felder gebracht. Rund 60 000 Tonnen vermutlich hoch mit Neonics belastetes Erdreich würden auf diese Weise in diesem Jahr in die Umwelt gelangen, schreibt das Aktionsbündnis in einer Pressemitteilung und fordert gleichzeitig die zuständigen Behörden auf, entsprechende Proben zu untersuchen.

VFZ-Geschäftsführer Klaus Ziegler nennt die Vorwürfe "unsachlich, schwach fundiert und in hohem Maße überzogen". Der Anbauerverband  sei an einer objektiven Risikobewertung interessiert und arbeite dazu unter anderem mit dem Landesverband bayerischer Imker zusammen. Einer solchen Zusammenarbeit verschließe sich das Aktionsbündnis.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Ochsenfurt
Würzburg
Uffenheim
Gerhard Meißner
Imker
Insektizide
Naturschützer
Pflanzen und Pflanzenwelt
Pollen
Raps
Restrisiko
Risikofaktoren
Saatgut
Winter
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • jebusara@web.de
    Es wäre interessant zu erfahren, wie oft "eigentlich verbotene" Chemikalien auf die Felder gebracht werden.

    Die Bauern demonstrier(t)en bekanntlich für die Beibehaltung der giftigen oder zumindest gesundheitsschädlichen Substanzen - und der Verbraucher jubelt und klatscht dazu. Obwohl ihm klar sein müsste, dass es letztendlich auf seinem Teller landet!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Radio Eriwan

    Frage: nützt das Bienenschutzgesetz tatsächlich was?
    Antwort: im Prinzip ja - es sei denn es kommt einer mit einer Notfallzulassung...

    Die CSU und die Umwelt. Muss man mehr dazu sagen?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • klaus1618
    Es melden sich hier "Fachleute" zu Wort, profunde Kenner des landwirtschaftlichen Backgrounds!?

    Ich gebe Ihnen absolut Recht -Landwirtschaft ist heute ein knallhartes Geschäft, wo man sich keine Fehler mehr erlauben darf, schon gar keine fatalen Fehlentscheidungen unbeteiligt außenstehender Dritter!

    Insofern teile ich Ihre Meinung - sofort abschaffen, diesen enorm geißelnden Prämienmoloch. Die Bauern müssten wieder grundsolide von ihrer eigenen Hände Arbeit leben und sich betriebswirtschaftlich fortentwickeln können; jedenfalls in Unabhängigkeit von einem staatlichen Einkommenstransfer, um bloß noch künstlich am Leben erhalten zu werden.

    Bitte niemals vergessen: Jeder Einzelne ist, was er isst!!! - Kommen unsere Nahrungsmittel nur noch über den Importweg auf unsere heimischen Esstische, wird gegessen was auf den Tisch kommt (PUNKT!); egal was so alles drinsteckt...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Arcus
    Nur der starken Lobby der Zuckeragrarindustrie und ihren Vasallen in der Politik ist es zu verdanken, dass ein eigentlich verbotenes Gift in den Boden eingebracht werden durfte.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Petsch06120702
    Und wer ist dafür Verantwortlich? Wieder mal die sogenannten "Schwarzen" seit Jahren und vor allem eine Julia Klöckner.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • thomvolkmann@aol.com
    Die Gottseidank Ihre Entlassungsurkunde bekommen hat! Man kann nur zu Ihr sagen Danke für Garnichts!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten