
Natürlich freue es ihn, wenn dieser Tage eine Million Menschen deutschlandweit auf die Straße gehen, um vor Rechtsextremismus und der AfD zu warnen und für Demokratie und Menschenrechte zu werben, räumt Niklas Frank ein. Aber Hoffnung, dass es so gelingen kann, einen autoritären, menschenfeindlichen Staat zu verhindern, hat der 84-Jährige nicht.
Das "Gift der Aggression" werde sich durchsetzen, fürchtet Frank. "Am Ende werden die meisten Menschen umfallen, der Staat muss schließlich am Laufen gehalten werden." Die Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau sei in Deutschland einfach zu groß, sagt der Mann, dessen Lebensthema die brutalen, menschenverachtenden Verbrechen der Nationalsozialisten sind, allen voran die der eigenen Familie.
Mit seiner gnadenlosen Abrechnung zog Frank sein Publikum in den Bann
Die weit über 200 Zuhörerinnen und Zuhörer beim "Zeitzeugenabend" im großen Saal der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Würzburg schweigen beklommen. Niklas Frank hat sie, junge Studierende, aber auch viele Ältere, für anderthalb Stunden in seinen Bann gezogen - mit der gnadenlosen Abrechnung mit seiner Familie, aber auch mit seinen Schlussfolgerungen für die Gegenwart, die alles andere als Zuversicht verströmen.

Im Garten seines Hauses in Schleswig-Holstein hat der Journalist, der Kulturchef beim "Playboy" und anschließend 23 Jahre Investigativreporter beim "Stern" war, kürzlich eine drei Meter hohe Skulptur aufgestellt, die eine überdimensionale schwarz-rot-goldene "Krokodilsträne" darstellt.
Krokodilstränen sind Tränen, die Menschen vergießen, um Mitgefühl lediglich vorzuschieben. So wie viele Menschen hierzulande Empathie mit Jüdinnen und Juden geheuchelt hätten, bis sich jetzt, mit dem Krieg Israels gegen die Hamas, der über Generationen hinweg nie wirklich überwundene Antisemitismus wieder offen artikuliere.
Der 84-Jährige ist durch die Verbrechen seiner Eltern, durch deren Kälte selbst den eigenen Kindern gegenüber, hochgradig traumatisiert. Vater Hans Frank war zunächst als Jurist und Minister für Hitler tätig, mit Kriegsbeginn wurde er der Statthalter des "Führers" im besetzten Polen. Als "Schlächter von Polen" ging er in die Geschichte ein, 1946 wurde der Massenmörder im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess zum Tode verurteilt - und gehängt. Da war Niklas, das Jüngste seiner fünf Kinder, sieben Jahre alt.
Noch bei der letzten Begegnung hat der Vater gelogen
Noch bei der letzten Begegnung im Gefängnis habe der Vater gelogen, als er ein Wiedersehen in Aussicht stellte, sagt Niklas Frank. "Dabei habe ich gewusst, dass er gehängt wird." Einsicht, Reue, Schuld oder auch nur ein Gefühl von Menschlichkeit seien Hans Frank zeitlebens fremd gewesen, so die Recherchen des Sohnes. 1987 ist das Buch "Der Vater" erstmals erschienen, aus dem er jetzt in Würzburg liest. Weitere Bücher über die Mutter, eine eiskalte Nutznießerin des NS-Regimes, und seinen ältesten Bruder Norman, der neben ihm als einziger seiner vier Geschwister die Verbrechen des Vaters verurteilt habe, folgten.

Ohne jedes Erbarmen arbeitet sich Niklas Frank an seiner Familie ab. Seine vor zwei Jahren verstorbene Frau, gesteht er am Rande, habe seine Bücher nicht gemocht. Sie seien ihr zu "exhibitionistisch" gewesen. Aber genau dieser Exhibitionismus hinterlässt Eindruck, schafft Nachdenklichkeit. Noch lange nach dem offiziellen Teil dieses Diskussionsabends, den der Ethik-Arbeitskreis der KHG gemeinsam mit anderen Trägern der politischen und historischen Bildung in der Region veranstaltet hat, suchen Besucherinnen und Besucher das persönliche Gespräch mit dem 84-Jährigen.
1860-Fan Frank bescheinigt Uli Hoeneß "ganz große Klasse"
Frank genießt das Interesse an seinem Werk, allein Hoffnung auf eine gute, demokratische Zukunft mag er nicht verbreiten. Nur einmal klingt ein bisschen Optimismus durch. Als Fan der Fußballer von 1860 München habe er Uli Hoeneß, den FC-Bayern-Spieler und -Funktionär nie leiden können, sagt der 84-Jährige. Dass Hoeneß aber nun bei der Trauerfeier für Franz Beckenbauer seinen Wunsch nach einer patriotischen Stimmung in Deutschland wie zu Zeiten des Sommermärchens 2006 mit dem Hinweis ergänzte, er wolle bei diesem Prozess die AfD nicht dabei haben, sei "ganz große Klasse" gewesen.
Scheint vielleicht doch nicht alles verloren.
Deshalb sollte (muss) sich jeder selbst einmal fragen, wem er warum "Autorität" einräumt oder warum man sich mit dieser "Autorität" identifizieren möchte und wie weit das gehen soll? Das immer wieder zu hinterfragen halte ich für existentiell.
...."Die Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau sei in Deutschland einfach zu groß"....
Ja, das lässt sich das nicht leugnen - allerdings ist das m.E. weniger eine "Sehnsucht" als erlernte Inkompetenz und der Reflex, selbst keine Verantwortung übernehmen zu können/wollen - und damit auch die bedrohlichen Schuld- und Schamgefühle abgeben zu können, auf irgendwen "gemeinsam" zu projizieren.
Wenn Gott oder irgendein "Führer" oder "Richter" die Kontrolle übernimmt, entlastet das ungemein....bis eben die Illusion zusammenkracht. Siehe 1945!