Prof. Hans-Joachim Lauth ist seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft und Systemlehre an der Universität Würzburg. Neben dem Vergleich politischer Systeme beschäftigt sich Lauth vor allem mit Fragen der Demokratie. Im Gespräch nimmt er den Koalitionsvertag und das Personaltableau der künftigen Ampel-Koalition unter die Lupe.
Hans-Joachim Lauth: Jede der drei Koalitionsparteien hat einen klaren Schwerpunkt eingebracht. Die SPD im sozialen Bereich, die Grünen bei der Ökologie und die FDP bei der liberalen Marktwirtschaft. Das ergibt eine gute Kompromisspackung. Man hätte vielleicht etwas mehr SPD-Inhalte erwartet. Aber die SPD stellt den Kanzler. Der kann dann bei aktuellen Problemen die Richtung angeben. Generell ist bei den Koalitionsverhandlungen eine Vertrauensbasis entstanden. Die Regierung steht im Mittelpunkt, nicht mehr die einzelnen Parteien, die sie tragen. Das ist schon ein neuer Stil der Kommunikation in der deutschen Politik.
Lauth: Sie ist die kleinste der drei Parteien und hat fast ein Drittel des Koalitionsvertrages mit ihren Inhalten füllen können. Aber die FDP musste auch den weitesten Weg zu dieser Ampel-Konstellation gehen. Wahrscheinlich hätten in einer Jamaika-Koalition die Grünen mehr aushandeln können.
Lauth: Alle drei Ampel-Parteien. Sie haben viel voneinander gelernt. Sie haben ihre Ziele eingebracht, aber auch dem jeweils anderen zugehört und sie sind aufeinander zugegangen. So hat die FDP in Sachen Corona durchaus Lernfähigkeit bewiesen. Das ist eine gute Basis für eine gemeinsame Regierung.
Lauth: Nicht unbedingt die unteren Schichten. Immerhin hat die SPD den Mindestlohn durchgesetzt und will die Kinderarmut stärker bekämpfen. Hinzu kommt der Wohnungsbau. Aber die Grünen und die FDP sind nicht unbedingt die großen Antreiber für einen sozialen Ausgleich. Eine höhere Besteuerung großer Einkommen wird es nicht geben. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob beim Erbschaftsrecht das letzte Wort schon gesprochen ist. Selbst die USA haben höhere Erbschaftssteuern als wir.
Lauth: (lacht) Am wenigsten profitiert die Union. Beim Klimawandel hätten die Grünen viel mehr umsteuern wollen. Da haben sie vieles nicht umsetzen können. Allerdings bleibt der Vertrag da sehr vage. Man hat ja gesehen, wie die FDP in Sachen Corona ihren Kurs verlassen musste. Wenn der Klimawandel auf der politischen Agenda wieder ganz nach oben rutscht, können die Grünen noch vieles umsetzen. Dieser Koalitionsvertrag ist kein Korsett - er gibt allen drei Parteien einen großen Spielraum.
Lauth: Er muss ähnlich wie Angela Merkel koordinieren, dabei aber präsenter sein und mehr Führungsstärke zeigen. Gleichzeitig muss er den Ausgleich der drei Parteien wahren - das wird die größte Herausforderung für ihn. Denn erstmalig sind die beiden kleineren Partner zusammen stärker als die Kanzlerpartei. Das schließt Alleingänge aus. Trotzdem muss Olaf Scholz Profil zeigen. Zumindest nach außen hat er das bislang seit der Bundestagswahl nicht getan.
Lauth: Ja, den Eindruck habe ich. Das war auch die Eingangstür für die FDP in diese Ampel. Denn diese Dinge hätten Grüne und FDP mit der Union nicht umsetzen können. Ob man es mag oder nicht: In der Gesellschaftspolitik dürfen wir eine progressivere, offenere und durchaus auch linkere Politik erwarten.
Lauth: Nein, dafür sind die Flügel gar nicht mehr stark genug. Für Aufsehen sorgte der Frust über die Personalie Anton Hofreiter, der nicht zum Zuge kam. Aber auch er selbst hat kein Porzellan zerschlagen. Entscheidend ist jetzt, was an grüner Politik rauskommt. Denn bei der ersten rot-grünen Regierung waren die ökologischen Errungenschaften gering.
Lauth: Das finde ich gar nicht so ungeschickt. Letztlich muss ein FDP-Minister grüne Arbeit machen. Denn die CO2-Einsparungen sind ja vorgegeben. Die muss er einhalten. Das Verkehrsministerium kann sich aus der Energiewende gar nicht rausziehen.
Lauth: Unwichtig ist er nicht. Olaf Scholz hat mit seiner Ansage, das Kabinett proportional nach Geschlecht zu besetzen, den regionalen Proporz vernachlässigt So ist jetzt Bayern gar nicht und Ostdeutschland sehr schwach vertreten.
Lauth: Sie hat Recht, wenn sie sagt, dass Klimapolitik international gemacht werden muss. Das diplomatische Fingerspitzengefühl aber wird sie wohl erst noch entwickeln. Sie wird künftig ihre Worte gut wählen müssen, wenn sie über Russland, China oder auch die USA und Frankreich spricht.
Lauth: Das war nicht optimal. Allerdings sagen Umfragen, dass 80 Prozent der Bevölkerung hier noch die alte Regierung in der Verantwortung sahen. Und jetzt haben sie den Gesundheitsminister, den alle haben wollten.
Lauth: Am Ende kam man wohl gar nicht an ihm vorbei. Er ist öffentlich anerkannt, gesteht durchaus auch Fehler ein. Vielleicht war er in der SPD nicht gut genug vernetzt. Aber jetzt kann er zeigen, ob er das umsetzen kann, was er in der Corona-Pandemie stets gefordert hat.