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Würzburg
Würzburger Mediziner warnt: Bewegungsmangel macht krank
Man weiß es ja eigentlich: Bewegung ist wichtig. Aber warum und wie sehr?Forscher Franz Jakob über Fett im Muskel, riskante Strandspaziergänge und unsere Schwachstellen.
In Bewegung auf dem Ergometer: Professor Franz Jakob leitet die Grundlagenforschung am neuen Zentrum für Bewegungsforschung in Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | In Bewegung auf dem Ergometer: Professor Franz Jakob leitet die Grundlagenforschung am neuen Zentrum für Bewegungsforschung in Würzburg.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:54 Uhr

Beweglich und mobil bleiben bis ins hohe Alter - das sagt man so oft, das sagt sich so leicht. Aber wie schafft man das wirklich? Wann und wie altert Gewebe, warum machen Muskeln und Knochen so vielen Menschen Probleme?  An der Uni Würzburg ist jetzt ein "Zentrum für Bewegungsforschung" gegründet worden. Angesiedelt an der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus erforschen hier Ärzte, Biomediziner, Sportorthopäden und Zellforscher die Grundlagen der Geweberegeneration - beziehungsweise der Degeneration. Die Erhaltung und die Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit ist dabei immer das große Ziel. Professor Franz Jakob leitet die Grundlagenforschung, die die zelluläre Seite der Bewegung untersucht. Ein Gespräch über zu viel und zu wenig Bewegung - und warum Tai Chi im Alter gut ist. 

Herr Professor Jakob, warum erforscht man Bewegung?

Prof. Franz Jakob: Der sogenannte Bewegungsapparat ist völlig unterschätzt in seinen Auswirkungen und in seinem Zusammenspiel mit den anderen Organsystemen. Bewegung macht Regeneration im Gehirn, Verwertung von Glukose, verhindert Diabetes. Bewegung bedeutet generell Regeneration im Herz-Kreislauf-System. Wo Bewegung fehlt, entsteht Krankheit. Bewegen wir uns nicht, schwindet Gewebe, verlieren wir Knochen, verlieren wir Muskulatur. Da setzen wir in der Forschung an. Die Zelle muss bewegt werden und richtet sich danach aus . . .

Verzeihung, die einzelne Zelle?

Jakob: Die einzelne Zelle. Auf nahezu jede wirkt Bewegung ein. Die ausführenden Kräfte sind dabei direkte Verformung von Zellen und das Vorbeiströmen von Flüssigkeiten. Knochen-Zellen , die Osteozyten, sind zum Beispiel umgeben von einem ganz dünnen Flüssigkeitsfilm, der Bewegung überträgt. Wo viel Energie einwirkt, wird Regeneration eingeleitet, also zum Beispiel mehr Knochen gebildet. Beim Tennisspieler erkennen sie den Schlagarm anhand des Knochens. Als ich meine Arbeit als Mediziner begann haben wir eine Zeit lang die Fechter aus Tauberbischofsheim betreut. Wenn sie bei einem Fechter eine Lungenaufnahme machen, sehen sie anhand des Röntgenbilds, auf welcher Seite der Fechtarm ist. Die Muskel-Ansätze an den Rippen zeigen, dass der Knochen gefordert ist. Wenn man den Knochen fordert, baut er sich auf. Wenn man ihn nicht fordert, weil man am Computer sitzt oder auf dem Sofa liegt, baut er sich ab.

Das heißt: Die Natur will, dass wir uns bewegen?

Jakob: Ja sicher. Wenn wir uns nicht mehr bewegen, werden viele Prozesse abgeschaltet. Sehen Sie anhand einer Röntgenaufnahme – nicht von einem Sportler, sondern von einem Durchschnittsmenschen – ob er sich viel oder wenig bewegt? Man kann es manchmal sehen, wenn etwas sehr ausgeprägt ist. Zehn oder 15 Prozent Knochenverlust zum Beispiel. Aber das Röntgenverfahren ist zu grob, um einen schwachen Knochen generell zu erkennen. Die Knochendichtemessung ist genauer.

Wie viel Bewegung sollte denn sein?

Jakob: Naja, für Muskel, Knochen und Gelenke gibt es da wenig quantifizierbare Angaben. Wahrscheinlich kann man die Empfehlungen, die den Stoffwechsel berücksichtigen in etwa übertragen und da kommen die Internisten und Diabetologen ins Spiel. Die empfehlen 10.000 Schritte am Tag. Wenn ich aufstehe, zwölf Stunden am Computer sitze und wieder heimgehe, mache ich vielleicht 500 bis 1000 Schritte am Tag. 10.000 Schritte kosten einen in der Tat ein bis 1,5 Stunden bewusstes Bewegen, Laufen am Tag. Aber die Diabetologen haben die Hausnummer von 10.000 Schritte gesetzt um zu zeigen: So kann ich den Typ-2-Diabetes vermeiden oder zumindest verbessern. So wird der Organismus auf „Energieausgabe“ umprogrammiert und er verbraucht auch Energie. Wenn ich ein Leben lang nur auf dem Sofa liegen bleibe, dann habe ich ein hohes Risiko, irgendwann bei einer plötzlichen Belastung meine Knochen zu brechen.

Ist das alles eine Altersfrage? In wie weit, muss sich auch ein junger Körper bewegen?

Jakob: Mit dem Alter nimmt ein Effekt der Bewegung ab: die Regeneration und Adaptation, die Wiederherstellung und die Anpassung des belasteten Gewebes. Regeneration braucht es, um die Muskulatur und den Knochen zu erhalten. Um also mobil zu bleiben und um selbständig leben zu können.

Wer sich bis zum 50. oder 60. Geburtstag wenig bewegt hat und plötzlich den Sport für sich entdeckt – reicht das?

Jakob: Ganz grundsätzlich: Es ist nie zu spät! Es gibt allerdings eine schöne Studie, die ältere Menschen mit einer zehnjährigen Leistungssport-Vergangenheit irgendwann in ihrem Leben verglichen hat mit 20-Jährigen, die nie intensiv trainiert haben. Beide bekommen das selbe Trainingsprogramm, und man sieht: Die 65-Jährigen, die irgendwann früher viel Sport gemacht haben, sprechen schneller oder mindestens genauso schnell auf den Trainingsreiz an. Offensichtlich gibt es eine Art Zellgedächtnis dafür.

Was gegen den Bauchspeck tun - auf jeden Fall gut! Aber Vorsicht beim langen Strandspaziergang . . . 
Foto: VladOrlov | Was gegen den Bauchspeck tun - auf jeden Fall gut! Aber Vorsicht beim langen Strandspaziergang . . . 
Kann man sich zu viel bewegen?

Jakob: Dass man den Körper überfordert, das gibt es. Es dauert seine Zeit, bis ein Gewebe ein Trainingsniveau erreicht hat, das geht in Monaten. Je nachdem, wie vortrainiert der Organismus ist, kann man bei Überbelastung Muskelrisse oder sogenannte Ermüdungsbrüche bekommen. Das Klassische, was man in der Sprechstunde oft sieht: Die Kinder sind aus dem Haus, der Mann nimmt seine Frau mit zum täglichen Joggen. Von null auf zehn Kilometer pro Tag – das gibt oft Knochenprobleme, zum Beispiel Ermüdungsbrüche im Mittelfuß. Noch klassischer: Man macht nie etwas, geht in Urlaub und weil es am Strand so schön ist, läuft man zehn Kilometer barfuß auf dem Sand. Das halten die Mittelfußknochen meistens nicht aus.

Füße müssen was aushalten: Bis zu 180000 Kilometer - viermal um den Erdball: So weit tragen uns unsere Füße im Laufe unseres Lebens. 1000 Tonnen Belastung müssen sie pro Tag aushalten. Schwerstarbeit für die 28 Knochen und 33 Gelenke, die von mehr als 100 Bänder zusammengehalten werden. 20 Muskeln mit ihren starken Sehnen sorgen für Bewegung und für festen Stand. 
Foto: pm/Landesinnung Bayern für Orthopädie | Füße müssen was aushalten: Bis zu 180000 Kilometer - viermal um den Erdball: So weit tragen uns unsere Füße im Laufe unseres Lebens. 1000 Tonnen Belastung müssen sie pro Tag aushalten.
Was sind denn die empfindlichsten Stellen des Bewegungsapparats?

Jakob: Die Mittelfußknochen sind von den Knochen her auf jeden Fall wegen der Belastung beim Stehen und Gehen mit häufig betroffen. Ansonsten hängt es von der Art der Bewegung ab. Wenn Muskulatur nicht belastet wird, verfettet sie. Sekundär geht dann auch der Knochen verloren. Rumsitzen ist das neue Rauchen.

Was heißt: Muskulatur verfettet?

Jakob: Die Muskelzellen selbst und das gesamte Gewebe der Muskulatur enthalten Fett und Fettgewebe. Seit man Kernspintomografie hat, sieht man das auch bei jüngeren Menschen schon. Und sogar bei Menschen, die sehr viel Sport machen, abhängig von der Bewegungsart. Ein 50-jähriger, der jede Woche 150 Kilometer Rad gefahren und bestimmt 50 Kilometer gejoggt ist, bekam Bandscheibenprobleme. Und im Kernspin stellte man fest, dass die Muskulatur neben der Wirbelsäule verfettet war. Man kann es nur damit erklären, dass die Belastung einseitig war. Die Haltemuskulatur am Rücken war auf dem Rad nicht gefordert. Je älter die Menschen werden, desto mehr sind nicht nur Fetteinlagerungen in und um die Zellen ein Problem. Entzündungen kommen dazu, Bindegewebe verhärtet.

Wie problematisch, wie schlimm ist das Fett in den Muskeln?

Jakob: Es gibt unterschiedliche Sorten von Fett: das Modellierfett, das man um die Hüften hat, das ist in der Regel wenig hormonell aktiv. Das Fett, das man am Bauch hat und wahrscheinlich auch das Fettgewebe, das sich in unbenutzter Muskulatur ausbildet, ist hormonell aktiv – wirkt also auf Blutdruck und Stoffwechsel und macht entzündlich wirksame Botenstoffe. Und eine chronische Entzündung ist die Grundlage jeder Gewebealterung, am Muskel und Knochen begünstigt sie den Abbau.

Also: Hüftspeck ist nicht so problematisch wie der Bierbauch?

Jakob: Genau. Lieber Birnenform als Apfel. Das Risiko kann man wirklich näherungsweise am Umfang im Bauchbereich messen.

Welche Bewegungsform empfehlen Sie denn?

Jakob: Es kann keine allgemeine gültige Empfehlung geben, jeder hat unterschiedliche Vorlieben, Begabungen und Möglichkeiten. Bewegung sollte auf jeden Fall möglichst umfassend sein. Schwimmen hat zwar fast nur auf die Muskulatur eine direkte Auswirkung. Als Folge davon aber bewegt man sich dann anders und bringt durch erhöhte Spannkraft mehr Kraft auf den Knochen. Wenn man gezielt den Knochen aufbauen möchte, muss man andere Sportarten machen mit hoher Schnellkraft, wie zum Beispiel Aerobic. Grundsätzlich aber ist jede Form der Bewegung gesund solange sie nicht gefährdete Gewebe überlastet!

Weil?

Jakob: Weil Bewegung auf viele Bereiche wirkt, offenbar auch Auswirkungen auf die Regeneration des zentralen Nervensystems hat, auf das Wohlbefinden, auf die seelische Resilienz. Da wollen wir die Forschung zusammen mit anderen Institutionen hier in Würzburg intensivieren.

Also nicht zu viel schonen bei Krankheit? Bei Krebs zum Beispiel?

Jakob: Nein, im Gegenteil. Es gibt Studien, dass Menschen, die eine Krebsbehandlung hinter sich haben, bei intensivem Training das Risiko einen Rückfall zu erleiden reduzieren.

Sie sind schon lange in Forschung und Klinik tätig . . . wie haben sich die Probleme verändert?

Jakob: Die degenerativen Erkrankungen nehmen zu, also Erkrankungen durch Inaktivität, aber auch durch Abnutzung, Verschleiß, Alterung. Die Probleme unterschätzen wir noch. Was Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrifft, hat sich viel getan. Aber die Frage, wie wir mit der gestiegenen Lebenserwartung mobil bleiben, ist offen. Die 80-Jährigen, die aufrecht durch die Türe kommen und denen man ansieht, dass sie selbstständig zurechtkommen, sind bei weitem nicht in der Überzahl.

Was dagegen tun?

Jakob: Bewegen! Was gut untersucht ist, ist zum Beispiel Tai Chi.

Für Tai Chi ist es nie zu spät, sagt Bewegungsforscher Franz Jakob. 
Foto: Johannes Kiefer | Für Tai Chi ist es nie zu spät, sagt Bewegungsforscher Franz Jakob. 
Kampfsport im Alter?

Jakob: Nicht als Kampfsport, sondern als schonende Möglichkeit Muskulatur, Spannkraft und Koordination zu erhalten und zu verbessern. In der Tat reduziert Tai Chi die Sturzneigung bei alten Menschen mindestens um die Hälfte. Und die Herzkreislauf-Belastung beim Training ist nicht besonders groß. Die meisten Menschen können die Übungen jederzeit anfangen.

Und Krafttraining? Reicht das an Bewegung?

Jakob: Diese Art der Bewegung selber ist wichtig, aber nicht ganz ausreichend. Aber sie schafft die optimale Voraussetzung dafür, dass man sich im Alltag anders bewegt, anders sitzt, anders läuft. Man hat eine ganz andere Körperspannung. Yoga, richtig durchgeführt, ist auch sehr gut für die positive Grundspannung im Körper.

Was war in den vergangenen zehn Jahren für Sie die überraschendste Erkenntnis der Bewegungsforschung?

Jakob: Das Überraschendste war in der Tat das Ausmaß der Auswirkungen von Bewegung auf den restlichen Organismus.

Obwohl Sie Arzt, Endokrinologe und Bewegungsforscher sind und wussten, wie wichtig das ist?

Jakob: Das Ausmaß der Ausschüttung hormonähnlicher Botenstoffe aus Muskel und Knochen durch die Bewegung und ihrer Auswirkungen auf den gesamten Organismus überrascht wirklich, das hätte ich nicht erwartet. Bewegung ist Leben, dass man dabei unter Umständen noch Mechanismen der Vermeidung von Demenz auf die Spur kommen kann, unterstreicht ihre Bedeutung. 

Apropos Demenz . . . Bewegung und Kognition hängen wie zusammen?

Jakob: Es gibt eine wechselseitige Beziehung zwischen Kognition und Bewegung. Wir benötigen natürlich das zentrale Steuerorgan Gehirn, um uns koordiniert zu bewegen, und hier liegen ja auch viele nur teilweise gelöste Probleme. Andererseits weiß man, dass Leistungen des zentralen Nervensystems durch körperliche Bewegung messbar erhalten und gebessert werden können. Hier ist interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Beispiel mit den Neurowissenschaften unbedingt gefragt. Bewegung, Kognition und Regeneration, das sollte uns noch ein paar Jahre umtreiben.

Bernhard-Heine-Zentrum für Bewegungsforschung
Das neue Zentrum für Bewegungsforschung ist eine Einrichtung von Universität, Uniklinik und Bezirk Unterfranken. Angesiedelt ist es an der Orthopädische Klinik
König-Ludwig-Haus
. Der Auftrag: Bewegung und ihre Bedeutung für die Gesundheit erforschen, Risikofaktoren für Krankheiten von Muskel, Knochen und Gelenken beschreiben, Vorsorge-Maßnahmen zur Erhaltung der Bewegung entwickeln und mit Partnern aus anderen Fakultäten und der Industrie Maßnahmen zur Wiederherstellung der Beweglichkeit entwickeln und verbessern. Geleitet wird die klinische Forschung von Prof. Maximilian Rudert, Lehrstuhlinhaber für Orthopädie. Die Grundlagenforschung, die die zelluläre Seite der Bewegung untersucht, leitet Prof. Franz Jakob. 
Der Name geht auf den Würzburger Chirurgen und Orthopädiemechaniker Bernhard Heine (1800-1846) zurück. Er erfand das Osteotom, eine Knochensäge, die die operative Technik revolutionierte und gelangte zu Erkenntnissen über Knochenaufbau und Neubildung, die heute noch gültig sind.
 
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    da mach ich doch gleich mal
    ein Mittagsschläfchen...
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