
Müssen Unternehmen, die für den Klimawandel mitverantwortlich sind, bald für Klimaschäden haften? Mit dieser Thematik befasst sich die 28-jährige Juristin Anna Simon an der Universität Würzburg in ihrer Doktorarbeit. Seit 2015 läuft vor deutschen Gerichten eine ungewöhnliche Klage: Ein peruanischer Kleinbauer fordert Schadensersatz vom Essener Energieunternehmen RWE. Weil der Klimawandel auch in den Anden Gletscher schmelzen lässt, ist der Heimatort des Bauern von Überschwemmung bedroht. RWE soll Maßnahmen bezahlen, die das verhindern. Die Begründung der Kläger: Wegen seiner Kohlendioxid-Emissionen sei das Unternehmen mit Schuld daran, dass die Existenz des Bauern gefährdet ist.
Ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat und was das für Landwirte, Waldbesitzer und Unternehmen in Bayerns Klimahotspot Unterfranken bedeuten würde, sagt die Juristin im Interview.
Anna Simon: Das ist der Grundgedanke, der hinter der Klage des peruanischen Bauern steht.
Simon: Theoretisch ja. Nach derzeitigem Recht ist das aber in Deutschland nicht so einfach. Sollte es in dem Streit zwischen RWE und dem Bauern zu einer Gerichtsentscheidung kommen, wird diese dem Alles-oder-Nichts-Prinzip folgen. Sprich: RWE muss dem Landwirt entweder gar nichts bezahlen oder das Unternehmen muss sämtliche Kosten tragen, die er geltend macht.

Simon: Das Hauptproblem beim Klimawandel ist der Nachweis der Kausalität. Plakativ gesprochen: Wenn ich jemanden erschieße, kann man mir klar nachweisen, dass die Kugel die Ursache für den Tod einer Person war. Beim Klimawandel ist es schwer nachzuweisen, dass die Emissionen eines bestimmten Unternehmens für einen bestimmten Umweltschaden - zum Beispiel für die zunehmende Trockenheit in Unterfranken - verantwortlich sind. Dadurch, dass sich die Emissionen eines Unternehmens in der Atmosphäre mit allen anderen Treibhausgasen vermischen, gibt es im Fall der Erderwärmung keinen einzelnen Täter. Das wäre aber nach deutschem Recht notwendig.
Simon: Bei meiner Forschung befasse ich mich mit anderen Ländern, die ähnliche Probleme bereits gelöst haben. In den USA gab es einen Fall, bei dem mehrere Unternehmen Öl in einem Tank gelagert hatten. Dieser Tank schlug leck und das Öl lief ins Grundwasser. Erst wusste man nicht: Welches Unternehmen ist dafür haftbar zu machen? Am Ende hat man die Unternehmen einfach prozentual nach ihrem jeweiligen Öl-Anteil in dem Tank in Haftung genommen. Ähnliche Fälle werte ich aus und prüfe, ob sie auf deutsches Recht übertragbar sind.

Simon: Ja, zum Beispiel Frankreich. Nehmen wir den Fall eines Patienten, der trotz eines Behandlungsfehlers seines Arztes nicht beweisen kann, dass sein erlittener Schaden eindeutig auf den Fehler des Arztes und nicht auf persönliche Vorerkrankungen zurückzuführen ist. Das französische Haftungsrecht sagt in diesem Fall: Der Patient kann bereits seine verlorene Heilungschance haftbar machen. Dann wird nur der prozentuale Anteil, der bestimmt, wie sehr der Behandlungsfehler des Arztes das Risiko der Erkrankung erhöht hat, als Schadensersatz berechnet.
Simon: Das hat der Kläger vor. Wenn RWE nach Berechnungen des Forschungsverbundes "Global Carbon Atlas" durch seine Emissionen von 1990 bis 2014 etwa 0,45 Prozent zum weltweiten Klimawandel beigetragen hat, könnte man sagen: Zu 0,45 Prozent hat RWE die Wahrscheinlichkeit des Klimawandels und damit indirekt auch des Schadenseintritts in den Anden erhöht. Deshalb bekommt der Bauer auch nur 0,45 Prozent seines Schadens von RWE ersetzt. Ob diese Lösung mit deutschem Recht konform wäre, dazu forsche ich.
Simon: Ja. Der ansteigende Meeresspiegel oder abschmelzende Gletscher sind Ereignisse, die langsam vonstatten gehen und die man messen kann. Extremwetterereignisse aber gab es schon immer. Wir können nur sagen: Dieser Starkregen wurde zu 60 Prozent wahrscheinlicher und in seiner Intensität stärker durch den Klimawandel. Es gibt mittlerweile einen eigenen Wissenschaftszweig, die "Attributionsforschung", die genau diese Prozentangaben errechnet.
Simon: Die Kausalität herzuleiten ist aus rechtlicher Sicht zwar schwierig, aber nicht unmöglich.