
Tränen tropfen der Mutter vom Kinn. Frau K. sitzt im Würzburger Justizzentrum, wo der Richter gerade das Urteil für den 18 Jahre alten Stefan K. (alle Namen von der Redaktion geändert) verkündet hat: Zwei Jahre und vier Monate Jugendstrafe. "Er bleibt aber mein Sohn", sagt Frau K. leise.
Viele Stunden lang hatte sich die Mutter zuvor im Gerichtssaal angehört, was ihr Sohn zwischen Ende 2018 und Mitte 2019 getan hat: gestohlen, geschlagen, gepöbelt. Er gehörte zur Würzburger "Hahnenhofgruppe", einer der vier Gruppen, aus denen Jugendliche im vergangenen Jahr rund 200 Straftaten begangen haben.
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Wie ist Stefan so geworden? Warum konnte man ihn nicht stoppen? Was macht man mit solchen Jugendlichen? Die Redaktion hat während des Prozesses gegen Stefan und andere Jugendliche sowie in Gesprächen mit Sozialarbeitern, Juristen und Stefans Mutter nach Antworten auf diese Fragen gesucht.
Die Täter
Klaus hat mit 14 Jahren angefangen zu Klauen und zu Schlagen. Heute ist der 16-Jährige ein schmaler, hübscher Junge, der die Schule schwänzt, lange schläft und dann mit seinen "Kollegen" unterwegs ist. Alle staatlichen Hilfsangebote, ihn zu regelmäßigen Schulbesuchen zu bewegen, haben nichts genutzt. Zu seiner Gruppe gehören Stefan K., die Brüder M., und Dutzende andere Jugendliche aus dem Würzburger Stadtteil Zellerau. Gemeinsam haben sie andere Jugendliche verprügelt. "Stefan und Klaus waren die Anführer. Die ganz Krassen", sagt eine 16-Jährige aus dem Umfeld.
Wenn die "Kollegen" zusammen unterwegs sind und Alkohol trinken, gibt es immer wieder Stress mit der Polizei. Klaus produziert sich vor seinen Freunden, indem er Polizisten "Hurensöhne" nennt und ihnen den Mittelfinger zeigt. Zuhause oder in der Schule benimmt er sich höflich. Zu der Gruppe gehören Jugendliche verschiedener Nationalitäten. Klaus und Stefan sind Deutsche.
Stefan wuchs ohne Kontakt zu seinem alkoholkranken Vater auf. Der Vater von Klaus war straffällig und zuhause gewalttätig. Er hat die Familie verlassen. Steffen Siegel, der als Leiter der Sozialpädagogischen Fachdienste der Stadt Würzburg jugendliche Straftäter betreut, überrascht das nicht. Straffällige Jungen würden überdurchschnittlich oft ohne Vater aufwachsen. Auch der 18-jährige Stefan ist schon Vater. Seinen zweijährigen Sohn hat er zuletzt vor eineinhalb Jahren gesehen.
Der Sozialpädagoge

Steffen Siegel ist verantwortlich für die Sozialpädagogischen Fachdienste in der Stadt Würzburg. "Es gibt keinen Intensivtäter, der aus einer glücklichen Familie kommt", sagt der Experte. Damit meint der Sozialpädagoge kein gutbürgerliches Bilderbuchidyll, sondern Familien, die es dank ihrer Ressourcen und Kompetenzen schaffen, mit schwierigen Entwicklungen ihres Nachwuchses umzugehen.
Siegel kennt Klaus und seine Familie gut. Eine sozialpädagogische Familienhelferin unterstützt seit fünf Jahren die überforderte Mutter bei der Erziehung ihrer Söhne. Ihrem ältesten Sohn Klaus hat man ebenfalls Hilfe angeboten: beispielsweise die Teilnahme an einem Anti-Aggressions-Kurs und am Projekt für Schulverweigerer. Gefruchtet hat das bislang nichts.
Auch Stefan kennt Steffen Siegel, seitdem er mit 14 Jahren zu trinken und zu kiffen begann. Ende 2018 schmiss Stefan seine Ausbildung hin und begann, eine Anzeige nach der anderen zu sammeln. Zuhause schlug Stefan Schränke zu Kleinholz und seinen Kopf durch eine Glastür.
Die Mutter
"Ich habe bestimmt viel falsch gemacht", sagt Frau K. im Gespräch mit dieser Redaktion. Zu lange habe sie nicht wahrhaben wollen, wie schlimm es um das älteste ihrer drei Kindern steht. Dann hat die 36-Jährige aber genau das Richtige gemacht: mit einem ärztlichen Attest sorgte sie über das Familiengericht für die Zwangseinweisung des seinerzeit 17-jährigen Stefan in die Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Das Schlimmste, was eine Mama ihrem Sohn antun kann", sagt sie über ihre Gefühle an jenem Augusttag 2019, als Stefan in die geschlossene Anstalt gebracht wurde. Was sie an diesem Tag noch nicht wusste: Es war das Beste für ihn.
Denn Stefan hat der Entzug in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stabilisiert. Er nimmt Medikamente gegen sein ADHS und hat seine Aggressionen im Griff. Weil das Gericht davon ausgeht, dass er sich weiter bemüht, sein Verhalten zu ändern, muss er seine Jugendstrafe nicht im Gefängnis absitzen. Der 18-Jährige kann stattdessen eine Therapie machen. "Ich will mich um meinen Sohn kümmern", verspricht Stefan dem Richter. Seine Mutter wird ihm dabei helfen. Im Moment sucht sie für ihre Familie eine Wohnung außerhalb von Würzburg. "Er soll nicht mehr hierher zurück."
Die Justiz

Im Jugendstrafrecht steht nicht die Strafe, sondern der Erziehungsgedanke an erster Stelle. "Unsere Maßnahmen sollen Jugendlichen helfen, wieder in richtige Bahnen zu kommen", sagt Jürgen Reiher, stellvertretender Leiter des Würzburger Amtsgerichts. Bei Klaus besteht die Maßnahme in vier Wochen "Warnschuss-Arrest" und verschiedenen Auflagen.
"Geh in die Schule und ändere dein Verhalten, sonst kommst du ins Gefängnis." Am Rande der Verhandlung redet Sozialpädagoge Steffen Siegel vor dem Sitzungssaal auf Klaus ein. Der 16-Jährige sitzt auf der Bank zwischen seinen "Kollegen". Ob er versteht, dass diese ihm nicht gut tun und dass ihm aber Siegel, Richter Reiher und sein Rechtsanwalt helfen wollen?
Bislang sieht es nicht so aus. Denn sein Umfeld verlassen und in eine stationäre Einrichtung der Jugendhilfe gehen, will Klaus bislang nicht. Stattdessen hat er vor Kurzem erneut Polizisten beleidigt und war mit einem Schlagring in der Tasche unterwegs. "Eigentlich ist er ein cleverer Junge", sagt Rechtsanwalt Norman Jacob jun. über seinen Mandaten. Noch bis Oktober könnte dieser zeigen, dass das diese Charakterisierung stimmt. Denn dann steht Klaus wegen Körperverletzung und Beleidigung nochmal vor dem Jugendschöffengericht.
Die Fragen
"Da haben die Eltern versagt", steht oft in Kommentaren unter Artikeln über Jugendliche wie Klaus oder Stefan. Frau K. verletzt das. "Ich liebe meinen Sohn, und ich habe ihm Respekt und Anstand beigebracht und nicht, dass man Polizisten beleidigt."
Warum also ist Stefan so geworden? Das fragt sich Frau K. oft. Was war der Auslöser: Der fehlende Vater? Die nicht erkannte ADHS-Erkrankung? Der Misserfolg in der Schule? Das falsche Umfeld?
Es gibt keine einfachen Antworten.
Genau so ist es. Es liegt nicht immer automatisch an den fehlenden Bemühungen der Eltern. Ab einem gewissen Alter richten sich die Kids fast nur noch nach ihren "Freunden", die Eltern sind einfach machtlos und müssen oft selbst Unvorstellbares ertragen.
Man kann seinen Kindern Benimmregeln, Respekt und Anstand beibringen, nützt aber nichts wenn sie draußen mit ihren ach so tollen " Kumpels " das alles vergessen um cool da zu stehen.
Und damit meine ich nicht alle aber leider sind es doch sehr viele.
Schuldig sind immer die Eltern egal was die Kinder machen es macht sich niemand die Mühe und hinterfragt warum wieso weshalb es dazu kam.
Zudem kann es jedem Elternteil passieren das, das Kind abrutscht wenn sie einen falschen Umgang haben und sich den aufgebaut haben da bekommt man sie kaum wieder heraus. Viele Eltern geben dann auf, andere kämpfen.