Verzweifelte Angehörige, die händeringend einen Heim-Platz für ihr pflegebedürftiges Familienmitglied suchen. Verzweifelte Pflegeheimleitungen, die ihre Betten nicht belegen können, weil ihnen das nötige Personal fehlt. Oder verzweifelte Paare, die versuchen neben Kind und Job die Seniorenpflege für Oma oder Opa in den eigenen vier Wänden zu stemmen.
"Die Situation in der Seniorenpflege hat sich zugespitzt und sie wird sich noch weiter zuspitzen", sagt Hendrik Lütke, Leiter der Seniorenarbeit bei der Stadt Würzburg und Geschäftsführer der Seniorenvertretung und des Seniorenbeirats. Anfang des Jahres habe es etwa 270 freie Pflege-Betten in der Stadt Würzburg gegeben habe, für die kein Personal zur Verfügung stand, "aktuell sind dies circa 320 freie Betten und für jedes Bett gibt es vermutlich zwei Interessenten". Die Einrichtungen selbst, so Lütke, verwiesen auf lange Wartelisten. "Wir sind schon mittendrin in der Pflegekatstrophe."
Pandemie verschärfte die Situation weiter
Das können Raimund Binder, Leiter der Awo-Senioreneinrichtung Marie-Juchacz-Haus und ÖDP-Stadtrat und Annette Noffz, Leitende Stiftungsdirektorin des Bürgerspitals, nur bestätigen. "Bei uns in der Einrichtung dauert es unter Umständen eineinhalb Jahre, bis wir einen Platz anbieten können", sagt Binder. Etwa jeden zweiten Tag klingele das Telefon und es melde sich jemand, der dringend auf der Suche nach einem Pflegeplatz sei. Leider seien Pflegekräfte, so Binder, immer schwieriger zu finden. Das sei nicht neu, in den vergangenen Jahren habe man immer wieder auf die prekäre Situation in der Pflege hingewiesen.
Doch was sind die Gründe für den hohen Bedarf? Hauptgrund für das Wachstum des Pflegemarkts "ist und bleibt die Alterung der Gesellschaft", heißt es in einer Pressemitteilung des RWI Leibniz Institutes zur Wirtschaftsforschung zur Vorstellung ihres Pflegeheim-Rating-Reports 2022. So sei bei konstanten Pflegequoten bis zum Jahr 2030 in Deutschland mit 4,9 Millionen Pflegebedürftigen zu rechnen, bis 2040 mit 5,6 Millionen. Das wäre gegenüber 2019 ein Anstieg um 20 beziehungsweise 35 Prozent.
"Wir können die hohe Nachfrage nach Heimplätzen nicht mehr bedienen", sagt Annette Noffz vom Bürgerspital. Durch die Pandemie sei die Situation noch verschärft worden, so die Stiftungsdirektorin, die sich auch im Würzburger Pflegebündnis "Dienst-Tag" engagiert. Seit der Corona-Pandemie würden sich noch weniger Fachkräfte als in den vergangenen Jahren auf offene Stellen bewerben. Hinzu kämen Pflegekräfte, die in den Ruhestand gehen, schwanger sind oder "durch die hohe Belastung physisch und psychisch erschöpft sind und den Beruf aufgeben".
Walter Herberth, Oberpflegeamtsdirektor der Stiftung Juliusspital Würzburg (ebenfalls im Pflegebündnis tätig), hat Ähnliches erlebt: "Langjährige Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter wechseln trotz bestätigter guter Arbeitsatmosphäre in unserer Einrichtung in andere Berufszweige, weil sie dem anhaltenden Druck und der Dienstplanbelastung nicht mehr standhalten. Sie erklären ausdrücklich, dass sie von der Ignoranz der Politik enttäuscht sind."
Attraktivere Bedingungen für den Pflegeberuf
Noffz fordert, die helfenden Berufe durch bessere Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen. Zum einen gehe es da um eine gute Bezahlung. Diese, erklärt sie, sei durch neue Tarif-Regelungen seit dem 1. September 2022 erheblich verbessert worden. Zum anderen müsse der Pflegeberuf mehr gesellschaftliche Anerkennung erlangen: "Den Menschen, die in der Altenpflege arbeiten, muss mehr Achtung, Respekt und Wertschätzung entgegen gebracht werden". Negative Schlagzeilen aus dem Netz oder den Medien wirkten sich zudem sofort generell negativ aus. "Ich bin der Meinung, dass unsere Fachkräfte gut ausgebildet sind", so Noffz.
Zuwanderung qualifizierter Pflegekräfte entbürokratisieren
Weiter müsse dringend Bürokratie abgebaut werden. Die Zuwanderung von qualifizierten ausländischen Pflegefachkräften beispielsweise sollte laut der Stiftungsdirektorin unkompliziert möglich sein. "Derzeit sind die Wartezeiten für Visaanträge viel zu hoch. Dabei könnten Pflegekräfte aus dem Ausland helfen, dem Pflegenotstand entgegen zu wirken." Hendrik Lütke von der Seniorenarbeit der Stadt sieht dies indes zwar als notwendigen Ansatz zur Abmilderung der Katastrophe, "aber keinesfalls als Problemlösung für unsere Gesellschaft".
Weiteres Problem der Branche: Die Leiharbeitsfirmen. Immer mehr Pflegekräfte hätten sich in der vergangenen Zeit gegen eine Festanstellung in einer Senioreneinrichtung und für Zeitarbeit entschieden. Dort gebe es, so Noffz mehr "Geld und weniger Verpflichtungen". Auch Lütke sieht das kritisch: "Die Rolle der Leiharbeitsfirmen ist für Träger von stationären Einrichtungen äußerst fragwürdig. Zugleich bieten Leiharbeitsfirmen ihrem Personal aber garantierte Rahmenbedingungen in Fragen des Dienstplans."
Walter Herberth vom Juliusspital ergänzt, dass es durch die Forderung des Würzburger Pflegebündnisses erst vergangene Woche in puncto Leiharbeit einen kleinen Lichtblick gegeben habe: "Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat auf Empfehlung der Bayerischen Krankenhausgesellschaft die Forderung aufgegriffen, die Leiharbeit in den sozialen Einrichtungen abzuschaffen oder zumindest einzuschränken."
Wenn pflegende Angehörige Hilfe suchen
Neben mehr Pflegeplätzen und einer ausgebauten ambulanten Pflege geht es Lütke aber auch darum, die Angehörigen zu stärken, die ein Familienmitglied zu Hause pflegen. Denn: Über 60 Prozent aller pflegebedürftigen Senioren und Seniorinnen würden durch ihre Angehörigen umsorgt. Oftmals sei kein Pflegedienst in die aktive Pflege eingebunden.
Die Belastung der Angehörigen, die bei der Seniorenberatung, im Pflegestützpunkt der Stadt Würzburg oder bei der Fachstelle für pflegende Angehörige „Halma e.V.“ Hilfe suchen, sei hoch. "Sie sind bereits häufig durch eine körperliche und seelische Überforderungssituation geprägt", schildert Lütke. Die Stadt Würzburg habe aber bisher keine Möglichkeiten, Pflegeplätze selbst anzubieten. Eine Vermittlungsmöglichkeit in äußerst dringlichen Fällen wäre hier von großer Bedeutung, meint er.
Unterstützen möchte man die pflegenden Angehörigen laut Lütke - in enger Zusammenarbeit mit Halma e.V. - auch durch Schulungskurse, so genannte Pflegekurse. Die Kurse seien dabei eng an die Quartiere angebunden. Darüber hinaus biete Halma auch Pflegekurse 'Hilfe beim Helfen' an und schult Angehörige, die demenziell erkrankte Familienmitglieder betreuen. "Mit der zweiten Fortschreibung des seniorenpolitischen Gesamtkonzeptes für die Stadt Würzburg verbinden sich auch im Bereich der Gesundheit und Pflege wichtige Zielsetzungen, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen", erklärt Lütke weiter.
Keine weiteren Pflegeplätze in der Stadt in absehbarer Zeit
Trotzdem bleibt die aktuelle Lage prekär. Lütke glaubt nicht, dass es in absehbarer Zeit weitere Pflegeplätze in der Stadt geben wird. Auch mittelfristig könnten die Einrichtungen Pflegepersonal, das in den Ruhestand geht, nicht ersetzen. "In Gesprächen mit den Trägern der Einrichtungen ringen wir um Lösungen." Eine Verschärfung des Wettbewerbs von Einrichtungen untereinander sollte nun unbedingt vermieden werden, fordert der Seniorenvertreter: "Vorrangig gilt es, die bereits jetzt freien Pflegeplätze zu belegen."
Bei alledem, so Walter Herberth vom Juliusspital, sei eine Überarbeitung der Pflegeversicherung längst überfällig. Die Pflegesätze hielten nicht mehr Schritt mit der aktuellen Kostenentwicklung. "Wer es sich nicht leisten kann, ein Heim über eine längere Zeit finanziell zu stützen, muss sich Gedanken zur Schließung machen", sagt er. Das aber würde die aktuelle Lage noch verschlimmern.
Ich kenne Pflegende, die während ihres Elterngeldbezuges gerne weiter arbeiten würden, dies sich aber nicht rechnet, weil das Gehalt auf das Elterngeld angerechnet wird - da sollte eine Freigrenze her, bis zu der man ohne Einbußen beim Elterngeld hinzuverdienen darf (es herrscht ja nicht nur im Pflegebereich Personalmangel, von so was würden also einige profitieren).
Bei der demografischen Entwicklung muss man darüber nachdenken, ob ab einem bestimmten Alter gekoppelt mit best. Erkrankungen manche Eingriffe überhaupt noch gerechtfertigt sind. Das mag sich hart anhören, aber wenn man sieht, was hochbetagten, multimorbiden Menschen medizinisch noch angetan wird, kann es einen gruseln.
solange man damit noch richtig Geld verdienen kann
wird sich an diesem Zustand auch nichts ändern...
Selbstdarstellerin Baerbock kocht Suppe in Indien, unsinnige Summen werden in die Ukraine geschickt.
Lasst die Kohle endlich hier und steckt sie in die Pflege . Diesen Leuten haben wir unseren Wohlstand zu verdanken.
Aber unsere Regierung unterstützt lieber andere Länder oder schmeisst mit dem Bürgergeld Unsummen zum Fenster raus.
Wir reden hier von Schichtdienst und harter Arbeit.
Während Corona wurden die Pflegekräfte gelobt, finanziell ist jedoch nichts passiert.
Was nicht geht ist die Nichtauszahlung von Boni, siehe max2010, die dauernde Anforderung an Doppelschichten usw.
Die Träger glauben doch nicht, dass nicht auch noch andere Bereiche Arbeitskräftemangel haben. Ja dann wird halt anstatt in die "ach so böse" Leiharbeit dorthin gewechselt. Damit wäre dann bitte wem gedient?