Jeder zweite Deutsche leidet im Laufe seines Lebens an Krebs, nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Zum Weltkrebstag am Montag haben Politik und Mediziner zu gemeinsamer Anstrengung im Kampf gegen die Geißel aufgerufen. Dass Krebs schon in zehn bis 20 Jahren besiegt sein könnte, wie dies vor wenigen Tagen Gesundheitsminister Jens Spahn in Aussicht gestellt hat- das sorgt bei Fachleuten für Kopfschütteln.
Prof. Hermann Einsele vom Uniklinikum Würzburg gilt als einer der renommiertesten Krebsspezialisten in Deutschland. Mit seinem Team an Medizinern forscht er an neuen Therapien und Medikamenten und weiß: Von ersten Studien bis zur Zulassung vergehen leicht 15 Jahre. Und Krebszellen sind sehr anpassungsfähig. Um die Krankheit wirklich zu besiegen, "werden 20 Jahre nicht ausreichen. Hier einen Zeitraum zu nennen, scheint mir vermessen", sagt Einsele.
Dabei gebe es massive Fortschritte in der Prävention, Früherkennung und auch in der Behandlung von Krebs. Dies gilt laut Einsele für die Chirurgie ebenso wie für Strahlen- und Chemotherapie. Patienten, die noch vor einigen Jahren kaum eine Überlebenschance hatten, werden heute wieder gesund oder gewinnen deutlich an Lebenszeit - etwa bei Fällen von Darmkrebs. Die Immuntherapie sei für verschiedene Krebsarten geradezu revolutionär.
Je nach Art sehr unterschiedliche Heilungschancen bei Krebs
Bestimmte Formen von Lymphknotenkrebs können dem Würzburger Experten zufolge heute zu mehr als 90 Prozent geheilt werden. Deutlich verbessert haben sich auch die Aussichten bei Leukämien, schwarzem Hautkrebs, Lungenkrebs oder dem Myelom. Schwieriger dagegen bleibt die Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs, Formen des Hirntumors oder Prostatakrebs, wenn er Metastasen gebildet hat.
Vom Gesundheitsminister erhofft sich der Krebsforscher verbesserte Rahmenbedingungen für die Etablierung neuer Therapien. Dazu zählte er mehr Personal für die klinische Forschung, eine bessere Infrastruktur und den Abbau von Bürokratie: "Studien dauern in Deutschland zu lange."
Nicht glücklich über die Äußerungen Spahns ist auch Gabriele Nelkenstock, Gründerin und Vorsitzende des Vereins "Hilfe im Kampf gegen Krebs" sowie mitverantwortlich für die Stiftung "Forschung hilft". Dass Krebs in zehn bis 20 Jahren besiegt sein könnte, hält die bekannte Würzburgerin für "nicht realistisch". Sie warnt vor einer unlauteren Vereinfachung. Nicht nur die Medizin, die ganze Gesellschaft stehe noch vor einem Riesen-Kraftakt. Man dürfe die Not von Menschen nie politisch benutzen: "Ich empfinde es als fahrlässig, wenn unrealistische Hoffnungen seitens der Politik geschürt werden."
Noch weiter als Spahn gingen dieser Tage Forscher aus Israel: Sie behaupteten, bereits in einem Jahr Krebs heilen zu können. Sowohl die Deutsche Krebsgesellschaft wie Experte Einsele warnen: Bisher sei die Therapie nur an Mäusen getestet. Studien an Menschen müssten über einige Jahre beobachtet werden. "Wir wissen, dass Tumorerkrankungen auch nach fünf oder zehn Jahren wieder auftreten können."
"Nationale Dekade gegen den Krebs" und bayerisches Innovationsbündnis
Die Bundesregierung hat vergangene Woche die "Nationale Dekade gegen den Krebs" ausgerufen. Laut Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) sollen vor allem Krebsstudien gefördert werden. Mit einem am Montag gestarteten Innovationsbündnis will Bayern zum Impulsgeber werden. Beteiligt sind Ärzte, Forscher, Industrie und Krankenkassen. Krebspatienten sollten schneller von Innovationen profitieren, so die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml.
Kritik an Spahn kommt auch vom FDP-Obmann im Gesundheitsausschuss, dem Würzburger Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann, der seit 30 Jahren in der Krebsmedizin und Infektiologie tätig ist: "Spahns Heilsversprechen führt zu falschen Erwartungen und kann das Vertrauen in die medizinische Forschung und Behandlung schwinden lassen." Eine derart leichtsinnige Aussage könne dazu führen, dass die Bevölkerung das Risiko falsch einschätzt - "nach dem Motto: Ich fange wieder an zu rauchen, weil der Lungenkrebs bald heilbar ist".
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, die Bad Kissinger Abgeordnete Sabine Dittmar, zeigt sich ebenfalls verwundert. Als Medizinerin halte sie Spahns Einschätzung für zu optimistisch. Der Begriff "besiegen" sei unangebracht: "Es gibt viele Arten von Krebs und ich wäre dankbar, wenn wir möglichst viele von ihnen in 20 Jahren beherrschen könnten." Entscheidend sei, in der Forschung weiter voranzukommen und gleichzeitig die Prävention zu stärken.
Spahn erinnert an Erfolge im Kampf gegen Aids
Unterdessen hat der Gesundheitsminister am Montag seine Äußerugen verteidigt. Im Gespräch mit der "Rhein-Neckar-Zeitung" zog er Parallelen zum Kampf gegen HIV-Erkrankungen. Auch hier seien kaum erwartete Fortschritte erzielt worden.