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Würzburg
Würzburger Infektiologe über Corona in Afrika: Warum wir in Deutschland handeln müssen
Der afrikanische Kontinent kämpft gegen die dritte Welle. Doch die Gesundheitssysteme sind schwach, Impfstoff fehlt. Der Würzburger Infektiologe August Stich mahnt – und appelliert.
Impfaktion in Malawi: Nur ein Bruchteil der weltweiten Impfstoffe kommt bisher auf dem afrikanischen Kontinent an.
Foto: Joseph Mizere | Impfaktion in Malawi: Nur ein Bruchteil der weltweiten Impfstoffe kommt bisher auf dem afrikanischen Kontinent an.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:51 Uhr

Mit der dritten und extrem heftigen Corona-Infektionswelle sieht sich seit einigen Wochen der afrikanische Kontinent konfrontiert. Die regionalen Unterschiede sind groß, doch fast überall sind die Gesundheitssysteme vor Ort überfordert – ein Problem auch für die Impfkampagne. Der Würzburger Tropenmediziner und Infektiologe Prof. August Stich appelliert im Kampf gegen die Pandemie an die globale Verantwortung – auch im europäischen Interesse. Stich ist Chefarzt der Tropenmedizin an der Missio-Klinik unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte und seit 2008 Vorstandsvorsitzender des Missionsärztlichen Instituts als katholische Fachstelle für internationale Gesundheit.

Längere Zeit glaubte man, der afrikanische Kontinent käme wegen einer sehr jungen Bevölkerung besser durch die Pandemie als die Industrieländer. Hat man sich getäuscht?

Prof. August Stich: Es ist eine verwirrende Lage. Die Infektionszahlen sind in Afrika zunächst langsamer gestiegen als in anderen Weltgegenden und man rätselte über die Gründe. Kollegen aus Südafrika haben aber frühzeitig ein anderes Bild gezeichnet und Alarm geschlagen. Es ist eine Fülle von Faktoren, warum das Zahlenwerk für Afrika so anders aussieht. Es wird viel weniger getestet und damit nachgewiesen. Und ja: Die Bevölkerung ist jünger und die schweren Folgen von Corona sind geringer – aber dennoch sehr spürbar. Und dann hat man eine viel höhere Krankheitslast durch andere Erkrankungen. Die Übersterblichkeit durch Corona ist dadurch weniger auffällig.

Muss man von einer hohen Corona-Dunkelziffer ausgehen?

Stich: Ganz sicher. Diese Dunkelziffer ist teilweise auch politischen Vorgaben geschuldet. Es gab Länder, in denen es Corona offiziell nicht geben durfte – etwa in Tansania unter Präsident Magufuli. Zum anderen ist das Meldesystem viel lückenhafter als bei uns.

Wie dramatisch ist die Lage in der dritten Welle?

Stich: Es scheint von Region zu Region sehr unterschiedlich zu sein – und auch der Umgang mit der Pandemie durch die jeweiligen Regierungen und Bevölkerungen. Tansania zum Beispiel ist gerade sehr schlimm betroffen, es sterben auch viele Leute der Elite. Wir erleben dies auch bei unseren Partnern der Würzburger Universität in Mwanza, hier bekommen wir eine Todesnachricht nach der anderen. Und gleichzeitig gibt es Regionen, wo sich wenig abzuspielen scheint.

Der Infektiologe und Tropenmediziner August Stich ist seit 2008 Vorstandsvorsitzender des Missionsärztlichen Instituts mit Sitz in Würzburg. 
Foto: Daniel Peter | Der Infektiologe und Tropenmediziner August Stich ist seit 2008 Vorstandsvorsitzender des Missionsärztlichen Instituts mit Sitz in Würzburg. 
Politisches Versagen ist das eine, in Tansania hat die neue Präsidentin den Schalter umgelegt.  Liegen die Unterschiede auch an der Impfskepsis, die zum Beispiel im Kongo stark ausgeprägt ist?

Stich: Dieses Problem spüren wir sogar in Deutschland, bei Asylsuchenden. Hier war weniger Impfbereitschaft vorhanden, als wir zunächst erwartet hatten. Nur durch intensive Betreuung und Beratung der Betroffenen ist es zum Beispiel in Würzburg gelungen, die Impfbereitschaft zu steigern. Da spielen traditionelle Vorstellungen im Umgang mit Krankheiten eine Rolle. Aber auch Propaganda in den sozialen Netzwerken. Es werden über Impfstofflieferungen aus China und Russland Abhängigkeiten geschaffen – gleichzeitig wird von dort massiv Misstrauen gegenüber europäischen und amerikanischen Impfstoffen gesät.

Und indigene, kulturelle Faktoren für die Impfskepsis?

Stich: Die gibt es natürlich. Aber da ist es wichtig, Afrika nicht als große Einheit von über einer Milliarde Menschen zu sehen, sondern die Vielfalt auf dem Kontinent mit über 50 Ländern und vielen hundert Sprachen. Sogar innerhalb einzelner Länder wie dem Kongo sind die Unterschiede enorm. Unsere naturwissenschaftlich geprägte Sicht von Varianten eines Coronavirus ist oft weit entfernt von der Erlebniswelt der betroffenen Menschen.

Hat man eine andere, schicksalsergebene Haltung zu dieser Pandemie, wenn man im Alltag ständig mit todbringenden Krankheiten zu tun hat?

Stich: Ich habe vor zwei Jahren im Kongo selbst erlebt, dass die Schreckenskrankheit Ebola dort als das geringste aller Probleme gesehen wurde. Erst durch Schulungen und die direkte Beteiligung der Bevölkerung ist es gelungen, die Krankheit zu besiegen. Jene Regionen, die damals von Ebola stark betroffen waren, haben sich jetzt in der Corona-Zeit relativ gut behauptet, weil man mit Hygiene- und Schutzmaßnahmen schon Erfahrung gesammelt hatte. Das zeigt, dass wir auch von hier aus Einfluss nehmen können auf die Dynamik der Pandemie weitab in anderen Ländern.

Würzburger Infektiologe über Corona in Afrika: Warum wir in Deutschland handeln müssen
Sie meinen die Unterstützung aus Deutschland?

Stich: Ja, aber nicht nur im Sinne humanitärer Hilfe, sondern mit Aufbauarbeit, mit der Stärkung von Gesundheitssystemen in Afrika. Dazu gehört neben der konkreten Hilfe für Betroffene ganz wesentlich Schulungs- und Präventionsarbeit im gemeinschaftlichen Dialog.

Wo sind denn die Gesundheitssysteme in diesen Ländern am meisten mit der Pandemie überfordert?

Stich: Da ist kaum ein einheitliches Bild zu zeichnen. Südafrika als ein Land, das eigentlich recht gut aufgestellt ist, hat eine Überforderung auf den Intensivstationen. Sie werden überrollt. Wenn man aber – Beispiel Mali – gar keine Intensivstationen oder Beatmungsmöglichkeiten hat, dann kommen die Patienten gar nicht erst in ein Krankenhaus, sondern sterben irgendwo zuhause und werden nicht erfasst. 

Ist es richtig, dass die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie in afrikanischen Ländern größer sind als die gesundheitlichen?

Stich: Wenn bei uns ein Lockdown verordnet wird, gibt es Kurzarbeitergeld und andere Hilfen. Bin ich Schuhputzer in Nairobi oder Kinshasa und lebe in einer Wellblechhütte, verliere ich meine Existenzgrundlage. Da geht es ums Überleben. Corona hat aber auch im Gesundheitssektor fatale Nebenwirkungen: Wichtige Programme können nicht fortgeführt werden. 2020 gingen die Neumeldungen an Tuberkulose weltweit stark zurück – nicht, weil es weniger Fälle gegeben hätte, ganz im Gegenteil. Sondern die Systeme waren nicht mehr in der Lage, sie zu registrieren. Weil Covid so viele Ressourcen bindet, sind andere Sektoren im Gesundheitswesen wie Impfkampagnen gegen Masern oder Kontrollprogramme gegen Malaria oder HIV kollabiert.

Könnte die Impfkampagne auch an technischen Voraussetzungen scheitern, weil Kühlung und Transport der Impfstoffe nicht möglich sind?

Stich: Das trägt zur Komplexität der Lage bei. Wenn wir jetzt große Mengen an Impfstoff nach Afrika abgäben, wäre damit allein das Problem nicht gelöst. Man braucht die Strukturen vor Ort, um den Impfstoff zu empfangen, aufzubewahren und zu verabreichen.

In Ugandas Hauptstadt Kampala stehen Menschen Schlange, um in einem Gesundheitszentrum geimpft zu werden. Nach wochenlangem Lieferengpass hat das Land die Impfungen am 9. August wiederaufgenommen. 
Foto: Hajarah Nalwadda | In Ugandas Hauptstadt Kampala stehen Menschen Schlange, um in einem Gesundheitszentrum geimpft zu werden. Nach wochenlangem Lieferengpass hat das Land die Impfungen am 9. August wiederaufgenommen. 
Mit der Impfstofflieferung ist es nicht getan... aber es kommt auch viel zu wenig in afrikanischen Ländern an, oder? Bisher keine 100 Millionen Dosen bei 1,4 Milliarden Bewohnern.

Stich: Den Appell der WHO für größere Liefermengen gibt es. Aber noch fehlt eine wirkliche konzertierte Aktion der Geberländer. Das liegt daran, dass jeder erstmals selbst den Wettkampf um die Impfstoffe gewinnen wollte, Deutschland eingeschlossen. Jetzt, wo wir plötzlich Impfstoff übrig haben, denken wir ans Verschenken und Weitergeben. Das zeigt, dass wir in der Realität die Pandemie nicht als das wahrgenommen haben, was sie ist: eine globale Bedrohung.

Entsprechend wäre die ganze Weltgemeinschaft gefordert?

Stich: Wir werden die Pandemie nie überwinden, wenn wir nur auf die beste Versorgung und Impfquote in Deutschland blicken und schon die Nachbarländer und erst recht den Rest der Welt außer Acht lassen.

Heißt, ein Impffortschritt in Afrika ist in unserem ureigenen europäischen Interesse...

Stich: Natürlich. Nicht nur im egoistischen Interesse. Wenn man große Teile der Weltbevölkerung vom Schutz ausschließt, lässt sich die Pandemie nie besiegen. Sie wird weiter schwelen und es können sich fortlaufend neue Varianten bilden. Wir brauchen eine globalisierte Sicht auf ein globalisiertes Thema.

Mit einer Freigabe der Impfstoff-Patente?

Stich: Ich bin sehr dafür, dass sie zur Verfügung gestellt werden und man nicht auf den Patentschutz pocht, so wie jetzt noch die Bundesregierung. Aber selbst bei einer Freigabe heißt das nicht, dass diese Impfstoffe sofort in Afrika hergestellt werden könnten. Wir müssen eben die Gesundheitssysteme in diesen Ländern mit allen Komponenten stärken.

Die Corona-Lage in Afrika

Die Pandemie wird in Ländern des afrikanischen Kontinents statistisch nur unzureichend erfasst, ein Großteil der Infektionen und Covid-19-Erkrankungen nicht registriert. Offiziell gezählt wurden laut WHO in Afrika bisher rund sieben Millionen Corona-Infektionen und mehr als 177 000 Todesfälle in Verbindung mit dem Virus. Das entspricht einem weltweiten Anteil von 3,4 Prozent bei den Infektionen und und vier Prozent bei den Todesfällen. Mehr als ein Drittel aller Corona-Fälle (2,5 Mio.) entfällt auf Südafrika.
Die dritte Welle, befeuert durch die Delta-Variante, hat Afrika im Juni erreicht – mit einer Rekordzahl an Toten (6400) in der letzten Juli-Woche, davon mehr als die Hälfte allein in Südafrika und Tunesien. Seit Mitte Juli ist die Zahl der Neuinfektionen in der Summe wieder rückläufig, vor allem im Süden des Kontinents.
Die WHO meldet für die Region Afrika (ohne Marokko, Tunesien, Libyen, Ägypten, Sudan, Dschibuti, Somalia) in der ersten August-Woche 165 349 Neuinfektionen und 4547 neue Todesfälle. Dabei ist die Situation auf dem Kontinent sehr unterschiedlich: 17 Länder verzeichnen einen Rückgang der Infektionszahlen um 20 Prozent oder mehr, 14 Länder einen weiteren Anstieg in gleicher Größenordnung.
Betroffen von der Pandemie sind vor allem Ballungsräume mit hoher Bevölkerungsdichte. Hinzu kommt eine hohe Sterberate auf dem Land mangels medizinischer Versorgung. Von weltweit vier Milliarden Impfdosen kamen bis August erst 91 Millionen (ca. zwei Prozent) in den 55 Ländern Afrikas an. Rund 24 Millionen Menschen sind laut WHO vollständig geimpft, das entspricht 1,7 Prozent der rund 1,4 Milliarden Bewohner. 
Quelle: Weltgesundheitsorganisation WHO
 
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