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Würzburg
Würzburger Aktivistin der Letzten Generation: Frau Sing, sind Sie Mitglied einer kriminellen Vereinigung?
Die 34-jährige Pädagogin Johanna Sing klebt sich regelmäßig auf die Straße. Warum sie das tut, welche Ängste sie hat und wie es nach der Razzia weitergeht.
Beteiligt sich regelmäßig an Protestaktionen der Letzten Generation: Johanna Sing aus Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Beteiligt sich regelmäßig an Protestaktionen der Letzten Generation: Johanna Sing aus Würzburg.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:33 Uhr

Bis zu 1200 Frauen und Männer engagieren sich Medienberichten zufolge deutschlandweit in der Klimaschutzgruppe Letzte Generation. Johanna Sing ist eine von ihnen. Regelmäßig nimmt die 34-jährige Pädagogin aus Würzburg an Straßenblockaden und anderen Protestaktionen in Berlin teil. Das drastische Vorgehen bayerischer Ermittlungsbehörden gegen die Gruppe sorgte jetzt für Aufsehen. Die Generalstaatsanwaltschaft München wirft einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten die Gründung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vor. 

Frau Sing, sind Sie Mitglied einer kriminellen Vereinigung?

Johanna Sing: Das will ich doch verneinen. Die Letzte Generation kämpft für das Überleben des Planeten. Wenn, dann ist das Nicht-Handeln der Bundesregierung kriminell. Ich lasse mich nicht kriminalisieren, nur weil ich mehr Einsatz zum Schutz unserer Lebensgrundlagen einfordere. Die Letzte Generation agiert nicht im Verborgenen. Alles, was wir tun, geschieht öffentlich. Wir stehen mit unseren Gesichtern und Namen dafür ein.

Aber wir sind uns einig: Die Letzte Generation begeht Straftaten, oder?

Sing: Diesen Vorwurf müssen die Gerichte überprüfen. Ja, wir begehen zivilen Ungehorsam, keine Frage.

Der Rechtsstaat hat die Taten zu beurteilen, die Motive spielen keine Rolle.

Sing: Das sehen wir anders. Egal, welchem Szenario man folgt, das Leben auf dieser Erde ist massiv bedroht. Und weil die Politik nicht alles tut, um die Klimakatastrophe zu verhindern, haben wir die Pflicht, uns zu wehren. Das rechtfertigt unsere Aktionen.

Sie schränken mit ihren Aktionen aber die Freiheit anderer Menschen ein. Im schlimmsten Fall verhindern Sie beispielsweise, dass ein Mensch rechtzeitig ins Krankenhaus kommt.

Sing: Das ist ein schwieriges Thema. Die komplette Situation können wir nicht immer überblicken. Wir haben jedoch in unseren Blockaden Menschen, die nicht angeklebt sind, um so im Notfall eine Rettungsgasse freimachen zu können. Auch ohne uns gibt es immer wieder Staus. Unser Ziel ist es, alle Menschen dauerhaft zu schützen. Dafür braucht es mehr Engagement für den Klimaschutz, deshalb blockieren wir.

Johanna Sing (rechts) im Februar bei einer FDP-Veranstaltung in Würzburg mit dem Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr. Gemeinsam mit einer Mitstreiterin demonstrierte Sing für mehr Klimaschutz. 
Foto: Thomas Obermeier | Johanna Sing (rechts) im Februar bei einer FDP-Veranstaltung in Würzburg mit dem Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr. Gemeinsam mit einer Mitstreiterin demonstrierte Sing für mehr Klimaschutz. 
Haben andere Gruppen nicht das gleiche Recht, Straßen zu blockieren? Wie soll der Rechtsstaat reagieren, wenn Rechte für die Forderung "Ausländer raus" den Verkehr blockieren?

Sing: Das ist doch etwas anderes. Wir als Letzte Generation fordern lediglich, dass die Politik die Vorgaben umsetzt, die sie sich selbst gegeben hat. Auch das Bundesverfassungsgericht hat Bundestag und Bundesregierung verpflichtet, mehr für den Klimaschutz zu tun.

Sie haben neulich eingeräumt, sich schon über 30 Aktionen der Letzten Generation beteiligt zu haben. Welche sind das?

Sing: Meistens handelt es sich um Straßenblockaden durch Festkleben auf dem Asphalt.

Sind Sie schon wegen Nötigung verurteilt worden?

Sing: Es gibt kein rechtskräftiges Urteil, aber ich habe mittlerweile elf Strafbefehle erhalten.

Mit welcher Strafandrohung?

Sing: Das ist ganz unterschiedlich, das reicht von 20 bis 50 Tagessätzen zwischen 15 und 50 Euro.

Haben Sie keine Angst?

Sing: Doch. Immer mal wieder umtreibt mich die private Sorge, wie viele Monate Haft ich im Zweifel aushalten werde. Aber die Angst vor der Zukunft unserer Erde überwiegt: Was passiert, wenn die Gesellschaft nicht effektiv und schnell genug Maßnahmen für mehr Klimaschutz umsetzt.

Werden Sie weiter machen?

Sing: Ja, wir lassen uns nicht entmutigen. Die Solidarität vieler anderer Klimaschutzgruppen nach der Razzia bestärkt uns. Die Bewegung wächst, wir haben auch viele neue Spenden erhalten. Ab nächster Woche werden wir regelmäßig Protestmärsche in allen größeren Städten veranstalten.

Auch in Unterfranken?

Sing: Auch in Würzburg wird es am Mittwoch einen Protestmarsch der Letzten Generation geben.

Mit Straßenblockaden?

Sing: Nein, ganz gewaltfrei.

 
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