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Würzburg
Würzburg: Warum die Stadt das Versammlungsrecht einschränkt
Am vergangenen Wochenende fanden drei Kundgebungen auf den Mainwiesen statt, außerhalb der Innenstadt. Die Stadtverwaltung hat dafür eine Erklärung.
Knapp 2000 Menschen demonstrierten am vergangenen Wochenende bei verschiedenen Kundgebungen auf den Mainwiesen. 
Foto: Patty Varasano | Knapp 2000 Menschen demonstrierten am vergangenen Wochenende bei verschiedenen Kundgebungen auf den Mainwiesen. 
Tim Eisenberger
 |  aktualisiert: 09.02.2024 08:03 Uhr

Fridays for Future, Black lives matter oder die Demos gegen die Corona-Beschränkungen. Die Ziele der verschiedenen Kundgebungen, die in den vergangenen Wochen in Würzburg stattgefunden haben, könnten unterschiedlicher nicht sein. Doch eins haben sie gemeinsam: Alle Versammlungen fanden auf den Mainwiesen statt, weit weg von der öffentlichen Aufmerksamkeit in der Innenstadt, obwohl einige Veranstalter lieber auf dem Unteren Markt auf die Straße gegangen wären. 

Warum konnten die Demos nicht zentraler stattfinden?

Stadtsprecher Christian Weiß verweist auf die immer noch geltende Kontaktbeschränkung und das Infektionsschutzgesetz. Auf dem Unteren Markt könne sich bei Versammlungen von über 50 Leuten niemand an die Abstandsregeln halten, weder die Teilnehmer der Kundgebung noch Passanten. Deshalb habe man den Organisatoren der Kundgebungen im Kooperationsgespräch, das die Stadt laut Gesetz führen muss, angeboten, auf die Mainwiesen auszuweichen. Dort sei es außerdem möglich, eine Bühne aufzubauen und den Kundgebungsbereich auszuweiten. Dies war bei den Protesten gegen Rassismus am Freitag und Samstag der Fall. Alle Veranstalter haben dieses Angebot der Stadt angenommen. Rechtlich möglich ist das, weil die Stadt die Versammlungsfreiheit einschränken kann.

Welches Gesetz regelt das?

Ausgangspunkt hierfür ist Artikel 8 des Grundgesetzes. Dieser besagt, dass Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden können. In Bayern ist dies das Bayerische Versammlungsgesetz. Danach kann eine Versammlung beschränkt oder sogar verboten werden, falls eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unmittelbar vorliegt. Aber: Diese Beschränkung muss der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit Rechnung tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich mehrfach betont, dass die Versammlungsfreiheit ein besonders wichtiges Grundrecht und essentiell für die Demokratie ist, erklärt der Verwaltungsrechtler Ralf Brinktrine. Er ist Professor für Öffentliches Recht, Deutsches und Europäisches Umweltrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Würzburg. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte hierzu Ende April: "Das Versammlungsrecht ist ein besonders wichtiger Bestandteil unserer Demokratie und bleibt das auch in Zeiten der Corona-Krise."

Ralf Brinktrine von der Universität Würzburg
Foto: Thomas Obermeier | Ralf Brinktrine von der Universität Würzburg

Wird das Versammlungsrecht dadurch eingeschränkt?

"Ja, das Versammlungsrecht wird eingeschränkt", sagt Brinktrine. Diese Einschränkungen des Versammlungsrechts sind allerdings auf die aktuell geltenden Einschränkungen durch das Infektionsschutzgesetz zurückzuführen. Falls das Kooperationsgespräch zwischen Stadt und Veranstaltern ergebnislos verläuft, kann die Stadt eine Versammlungsverfügung erlassen. Darin regelt die Stadt, unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung stattfinden kann. Gegen diese Verfügung kann der Anmelder per Eilantrag vor Gericht ziehen. Das kann dann innerhalb von wenigen Tagen bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen. "Es kann sein, dass man am Montag eine Verfügung bekommt und bereits am Donnerstag wegen Eilbedürftigkeit der Sache beim Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung gefallen ist", so Brinktrine. Das liegt daran, dass das Bundesverfassungsgericht das Versammlungsrecht für sehr bedeutsam hält. 

Kann die Stadt nun alle Kundgebungen auf die Mainwiese verweisen?

"Nein, eine pauschale Verlegung aller Kundgebungen auf einen Platz außerhalb der Innenstadt ist nicht möglich", erklärt Brinktrine. Jede Versammlung müsse als Einzelfall geprüft und dann entschieden werden, wo sie stattfinden kann. Dabei müsse immer ein Ausgleich zwischen dem hohen Stellenwert des Versammlungsrechts und der öffentlichen Sicherheit, in dem Fall dem Gesundheitsschutz, gefunden werden. Grundsätzlich gehöre es nämlich zum Kern der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstalter Ort, Zeit und Motto der Demonstration bestimmen. 

Fotoserie

Allerdings kann es in Würzburg durchaus möglich sein, dass es aktuell keinen besseren Ort für Kundgebungen gibt als die Mainwiesen. "Je kleiner eine Versammlung ist, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich", so Brinktrine.

Warum gibt es aktuell keine Demonstrationszüge?

Bei einem Demonstrationszug durch die Innenstadt, wie man ihn von den Fridays For Future-Kundgebungen im vergangenen Jahr kennt, könnten sich die Teilnehmer ja auf einer größeren Fläche verteilen. Laut Brinktrine berührt ein solcher Zug aber noch viel mehr Passanten als eine stationäre Kundgebung. Auch Stadtsprecher Weiß erklärt, dass dann zu viel Raum, beispielsweise in der Kaiserstraße, in Anspruch genommen werden würde. Der Platz für andere Besucher der Innenstadt wäre dann zu eng. 

Warum gibt es in München Kundgebungen mit bis zu 25 000 Menschen am Königsplatz?

Dort waren laut Stadt München nur 200 Personen angemeldet. Auch in München ist das Versammlungsrecht derzeit eingeschränkt und größere Kundgebungen können nur auf großen Freiflächen stattfinden.

 
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Kommentare
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  • finde auch, dass die Stadt hier richtig gehandelt hat, vorallem, wenn man sieht, dass
    der Abstand kaum oder gar nicht eingehalten wurde, zwar mit Mundschutz, aber trotzdem: Vorsicht ist das Gebot der Stunde auch bei Demos. Wenn in anderen Bereichen, Gastronomie, Kirche, Kultur schon nur eine gewisse Zahl an Menschen zusammenkommen können, dann gilt das gleiche auch für Demos.
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    • Antworten
  • jwh-58
    Ein großes Lob für Würzburgs Stadträte, die das
    Versammlungsrecht nach Artikel 8 Grundgesetz
    einschränken. Denn in der Innenstadt Würzburgs
    waren die Fridays for Future-Demonstrationen
    ein Verstoß gegen den Artikel 3, Absatz 3, was
    die Diskriminierung von Behinderten betraf.
    Rollstuhlfahrer können nicht ausweichen, wenn
    eine Straße blockiert wird, die ebenerdig ange-
    legt ist. Schutz für behinderte Menschen, Fehl-
    anzeige. Behinderte sind auf PKW angewiesen.
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