Max Dauthendey schwärmte vom Würzburger Licht, Goethe vom Würzburger Wein. Hermann Hesse wünschte sich, im nächsten Leben in Würzburg geboren zu werden, Robert Walser fand Würzburg „überaus sehenswert“. Würzburger Schönheit hat manchen Schriftstellern das Leben versüßt. Anderen hat die Stadt das Leben sauer gemacht. Ihnen erschien der Geist der Würzburger so eng wie ihre alten Gassen.
Wie Thomas Bernhard sie hasste, „diese mittelgroßen Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich verunstalten lassen“. Kirchen und enge Gassen fand er da, „in welchen immer stumpfsinniger werdende Menschen dahinvegetieren“. So schimpfte der österreichische Schriftsteller, begnadete Polemiker und Skandaleur in seinem Buch „Meine Preise“. Dann wurde er konkret: „Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warmgestellt ist.“
Rrrrumms!
"Tödliches Desinteresse" und "schlafende Heiterkeit"
Anfang Januar berichtete Würzburgs Stadtheimatpfleger Hans Steidle über die Schriftstellerin Angelika Mechtel, die als zugezogener Teenager drei Jahre lang in der Rüdigerstraße lebte. Steidle bedauerte, die Würzburger hätten sie vergessen. Recherchen unserer Redaktion förderten zutage, dass sie geflüchtet ist aus Würzburg, bedrückt vom "tödlichen Desinteresse" und von der „schlafenden Heiterkeit“ der Würzburger.
1992 stöhnte Max Goldt in der „Titanic“, die Würzburger "sollen mal aufhören mit ihrem Würzburg-Getue", das nerve "kapital. Außer in Würzburg. Da rennen alle rum und sagen: Hach, Würzburg, Würzburg, und kriegen sich gar nicht mehr ein vor lauter Würzburg."
Kontrast zwischen der Schönheit und der Atmosphäre der Stadt
Leonhard Frank hat in seinen Büchern Würzburg wunderschöne Passagen gewidmet, wie die Beschreibung der Alten Mainbrücke in der Abenddämmerung in seinem 1914 erschienenem Erstling "Die Räuberbande". In diesem Buch lässt er seinen jungen Helden Michael durchleiden, was er selbst durchlitt: das brutale Regime des Lehrers Dürr.
In "Die Räuberbande" macht Frank aus Dürr den Lehrer Mager und überlegt, warum dieser Mensch wurde, was er ist. Seine Gedanken zieren die Würzburger nicht: "Vielleicht ist der Lehrer so, lebt so, geht so in dieser Stadt herum, weil es die Atmosphäre der Stadt nicht anders zulässt ... Der Katholizismus, die Klöster, Mönche und Priester, die engen Kurven der Gassen mit den feuchten Mauern, aus denen unvermittelt gotische Fratzenbildwerke springen, all dies zusammen wirkt auf den Menschen von Jugend an … So eine Stadt bringt Böse hervor, die schon als siebenjährige Kinder Sünden beichten mussten. Verblödete, religiös Irrsinnige, Ehrgeizige, bucklig Geborene, heimliche Mörder, Krüppel, Asketen, Kinderschänder ... auch Künstler. Und Menschen wie den Lehrer Mager …"
Etwas von dieser Atmosphäre muss der junge Wolfgang Koeppen gespürt haben, als er 1926 als Dramaturg am Stadttheater anheuerte. Der Mann, der einer der wichtigen deutschen Nachkriegsautoren werden sollte ("Tauben im Gras"), erzählt, erwartungsvoll sei er gewesen, als er mit dem Zug ankam, "bereit, neugierig und lüstern". Dann stand er auf dem Bahnsteig und fühlte sich "von Bergen umstellt. Der Main, den die Dichter gepriesen, war fern; es war kein liebliches Tal, es war eine Grube, die ich mir gegraben hatte, in die ich gefallen war."
Er kam in einem möblierten Zimmer in Grombühl unter, von der Altstadt durch die Eisenbahn getrennt und "durch eine Industriebrücke verbunden, die Leute anzog, die sich hinabstürzen wollten. Es gab Verzweifelte, wie immer und überall. Ich hauste unter ihnen. Ich war enttäuscht und ausgestoßen." Am Stadttheater scheitert er. Er will junge Autoren fördern, Theaterleitung und Stadtrat lassen ihn nicht. Er protestiert im Programmheft gegen das neue Schund- und Schmutzgesetz, der Stadtrat lässt das Heft einstampfen.
Vom ersten Tag in Würzburg an vermisst Koeppen sein Berlin, "die Theaterkämpfe, die Zeitungen", die Kritiker und die Uraufführungen und "die Erregung, dass die Welt unterging oder ein Paradies würde für jedermann". Einziger Lichtblick ist ihm die fröhliche, dralle Witwe eines verunglückten Eisenbahners, bei der er zur Miete wohnt. Aber selbst dieses Glück ist getrübt. Sie hat ihm ein Foto des Verblichenen auf den Schreibtisch gestellt. Der Mann sieht "abgezehrt, arbeitsmüde aus, und sein Gesicht unter der Dienstmütze schien sich vorwurfsvoll gegen das Auge der Kamera gewandt zu haben."
Eine Spielzeit lang bleibt er, dann kehrt er zurück nach Berlin und schließt sich dem Dramaturgischen Kollektiv des Erwin Piscator an.
Rittergeschichten statt Goethe, Schiller und Wieland
Im Herbst des Jahres 1800 logiert Heinrich von Kleist sechs Wochen lang in der Stadt, die unter der weltlichen Fuchtel des Fürstbischofs steht. Auch er entdeckt Geistesenge. Seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge schreibt er, ein paar gute Bücher habe er haben wollen, etwa von Wieland, Schiller oder Goethe. "Die möchten hier schwerlich zu finden sein", habe der Buchhändler gesagt.
"Wie! Sind alle diese Bücher vergriffen? Wird hier so stark gelesen?"“ – "Das eben nicht." – "Wer liest denn hier eigentlich am meisten?" – "Juristen, Kaufleute und verheiratete Damen." – "Und die unverheirateten?" – "Sie dürfen keine fordern." – "Und die Studenten?" – "Wir haben Befehl ihnen keine zu geben." – "Aber sagen Sie uns, wenn so wenig gelesen wird, wo in aller Welt sind denn die Schriften Wielands, Goethes, Schillers?" – "Halten zu Gnaden, diese Schriften werden hier gar nicht gelesen." – "Also Sie haben sie gar nicht in der Bibliothek?" – "Wir dürfen nicht." – "Was stehen denn also eigentlich für Bücher hier an diesen Wänden?" – "Rittergeschichten, lauter Rittergeschichten, rechts die Rittergeschichten mit Gespenstern, links ohne Gespenster, nach Belieben."
Die jüngste bekannte Schmähung durch einen Dichter-Fürsten handelten sich die Würzburger bei Günter Grass ein. 1965 liest er in den Huttensälen. Ein eigens gegründetes "Aktionskomitee für saubere Literatur" wirft ihm Pornografie vor, einige stören seine Lesung mit Trompetenstößen, "Pfui!"-, "Schwein!"“- und "Aufhören!"-Rufen. 1969 berichtet die Main-Post mit keinem Wort, was er im Landkreis als Wahlkampfredner für die SPD spricht, und 1970 muss er eine Veranstaltung im Studentenhaus abbrechen, weil seine Zuhörer davonlaufen, um gegen rund 4000 Alt- und Neonazis zu demonstrieren, die zur gleichen Stunde in der Frankenhalle die "Aktion Widerstand" gründen.
1988 verleihen ihm die Stadt und die Leonhard-Frank-Gesellschaft den Leonhard-Frank-Ring, und Grass gibt sich versöhnlich. Er sei nicht nachtragend, sagt er in der Schönbornhalle der Festung, und vieles habe sich ja auch geändert in Würzburg. Sieben Jahre später hat er einen Rückfall. In einem Brief schimpft er über den "Mief und Muff dieser allerkatholischsten Hochburg" und meint, es gebe Orte, die sich selbst genügten. Würzburg sei ein solches Nest.
Würzburg-Lob vom gefürchteten Theaterkritiker
Ausgerechnet die schärfste Feder im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, der gefürchtete Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr, ließ sich von Würzburg und den Würzburgern zu ganz anderen Ideen verleiten. 1914 fand er einen Nachmittag, an dem er "bloß durch Gassen ging, an den Flussstaden kletterte, vor Kirchen, Stiftshäusern. Büchereien entlangstrich, (…) glückbergend". Er muss eine Freiheit gespürt haben, die anderen entgangen war, denn hier fand er den Gedanken, dass "die zwecklosesten Augenblicke (…) im Leben die schönsten, die nachdenksamsten" seien.
Im vergangenen Vierteljahrhundert scheint Würzburg für Dichterfürsten und -fürstinnen uninteressant geworden zu sein. Aktuelle Schmähungen oder Lobpreis sind dieser Redaktion nicht bekannt. Wie Kritiker die Stadt wohl heute sähen?
https://www.mainpost.de/ueberregional/kulturwelt/kultur/Interview-Martin-Walsers-Spass-am-Horror-Roman;art3809,4201339
Walser hat auch häufiger an der Uni gelesen.