WÜRZBURG
Günter Grass und der Mief von Würzburg
Günter Grass, der Literaturnobelpreisträger von 1999, hatte, so sagte er 1988 in der Schönbornhalle im Mainfränkischen Museum, „eine etwas ironische Verbindung“ zu Würzburg. Wenige Minuten zuvor hatte ihm Oberbürgermeister Klaus Zeitler den „Leonhard-Frank-Ring“ auf einen Finger gesteckt, als Würdigung seiner schriftstellerischen und politischen Arbeit.
Grass aber erinnerte sich an sein erstes Mal in Würzburg im Juli 1965. Sechs Jahre nach dem Erscheinen seiner „Blechtrommel“ war er in die Huttensäle gekommen, um für die SPD zu werben. Titel der Veranstaltung: „Dir singe ich, Demokratie“.
Das Problem mit den unzüchtigen Texten
Kurz vor seinem Auftritt verteilte ein eben gegründetes „Aktionskomitee für saubere Literatur“ Flugblätter, die überschrieben waren mit „Singen Sie anderswo, Herr Dr. h. c. Grass“. Das Komitee warf Grass Pornografie vor. Zum Beweis druckte es auf der Rückseite des Flugblattes zwei explizite Absätze aus Grass‘ Roman „Katz und Maus“ ab.
Prompt ermittelte die Polizei gegen das Komitee wegen der „Verbreitung unzüchtiger Texte“, und Eltern sorgten sich, die Flugblätter könnten begehrte Tauschobjekte auf den Schulhöfen werden.
So sind die Grass-Gegner in ihre eigene Faust hineingelaufen, was seine „ironische Verbindung“ zu Würzburg erklären könnte.
Andere protestierten damals gegen ihn mit Transparenten, auf denen Reime standen wie „Dem Willy Brandt ein Ohrenschmaus, St. Kilian ein grasser Kraus“.
Die Stimmung war auch während der Veranstaltung explosiv. Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete, Grass sei im überfüllten Saal „durch einen Hexenkessel zum Podium“ gegangen, begleitet vom Jubel seiner Anhänger und von den „Pfui!“-, „Schwein!“- und „Aufhören!“-Rufen seiner Feinde. Ein Trompeter stieß ins Horn, wenn Grass den Mund aufmachte, und flog raus.
Vom „Main Echo“ wissen wir, dass Grass den turbulenten Abend lange nach Mitternacht im „Alten Keller“ in Randersacker beendet hat.
Der meinungsstarke Groß-Schriftsteller war öfter im Würzburgischen unterwegs, wo er auch unter den Journalisten Freunde und Feinde hatte. An einem Septembertag im Jahr 1969 kam er, wahlwerbend für die SPD, erst nach Eibelstadt, dann nach Sommerhausen und schließlich nach Würzburg.
Der Main-Post-Reporter berichtete, Grass habe in Eibelstadt die Aufmerksamkeit seines Publikums, einen Riesling Kabinett und eine Beerenauslese von der Scheurebe genossen. In Ochsenfurt habe er eine Tasse Kaffee getrunken und die Fragen von Redakteuren einer Schülerzeitung beantwortet. Grass Reden scheinen dem Journalisten so widerwärtig gewesen zu sein, dass er kein Wort darüber verlor.
In Würzburg übernimmt ein anderer Reporter das Berichten und präsentiert der Leserschaft ausführliches Wohlwollen.
An Grass, dem kämpferischen Strauß- und Springer-Gegner, schieden sich die Geister.
Erst Grass, dann Prügel
Ein Jahr später, am 31. Oktober 1970, war er zu Gast in der vollbesetzten Mensa des Studentenhauses, wo er über den Artikel 14, Absatz 2, des Grundgesetzes („Eigentum verpflichtet“) sprechen wollte. Zur selben Zeit aber hielt die rechtsextremistische „Aktion Widerstand“ ihre Gründungskundgebung mit 3000 Teilnehmern aus der ganzen Bundesrepublik in der Frankenhalle in der Pleich ab. Die äußerste Rechte machte mobil gegen die Ostverträge der sozialliberalen Regierung, in Sprechchören forderten die Teilnehmer „Willy Brandt an die Wand!“.
Grass kam in der Mensa kaum dazu, über die verpflichtende Wirkung von Eigentum zu sprechen. Er nannte die „Aktion Widerstand“ einen „Wurmfortsatz der Strauß’schen CSU-Politik“, sein Vortrag mündete in einen Protestzug gegen die Rechten zur Frankenhalle. Von dort hatten sich allerdings rund 1000 aufgemacht, um in einem – verbotenen – Fackelzug zum Rathaus zu marschieren. Am Vierröhrenbrunnen verprügelten sie eine Gruppe linker Antifaschisten. Grass war nicht dabei.
Und so erzählte er 1988 in der Schörnbornhalle des Mainfränkischen Museums, nun mit dem Frank-Ring auf dem Finger, sein politisches Engagement habe ihm in Würzburg viel Argwohn eingetragen. Aber er gab sich versöhnlich. Vieles habe sich seitdem geändert und nachtragend sei er nicht und Würzburg wohl auch nicht.
Am Abend dieses Tages las er im brechend vollen AKW aus seinem Kalkutta-Roman „Zunge zeigen“. Die anschließende feucht-fröhliche Feier endete spät nach Mitternacht im „Rebstock“. Da hatte Grass sich erstaunlich kundig über die politischen Verhältnisse in Würzburg gezeigt und lobende Worte für Oberbürgermeister Klaus Zeitler gefunden. Ein SPD-Mann, der so lange OB einer so schwarzen Stadt ist, meinte Grass, verdiene jeden Respekt. Vier Jahre später konvertierte Zeitler zu den Republikanern.
Womöglich war es diese Enttäuschung, die Grass 1995 zu einer süffisanten Bemerkung über Würzburg verleitete. Da schrieb er vom „Mief und Muff dieser allerkatholischsten Hochburg“ und meinte, es gebe Orte, die sich selbst genügten. Würzburg sei ein solches Nest.
Spätere Einsichten zu Würzburg hat er offenbar nicht hinterlassen. Der große Schriftsteller Günter Grass hat Würzburgs Mief und Muff wohl mit ins Grab genommen
Grass aber erinnerte sich an sein erstes Mal in Würzburg im Juli 1965. Sechs Jahre nach dem Erscheinen seiner „Blechtrommel“ war er in die Huttensäle gekommen, um für die SPD zu werben. Titel der Veranstaltung: „Dir singe ich, Demokratie“.
Das Problem mit den unzüchtigen Texten
Kurz vor seinem Auftritt verteilte ein eben gegründetes „Aktionskomitee für saubere Literatur“ Flugblätter, die überschrieben waren mit „Singen Sie anderswo, Herr Dr. h. c. Grass“. Das Komitee warf Grass Pornografie vor. Zum Beweis druckte es auf der Rückseite des Flugblattes zwei explizite Absätze aus Grass‘ Roman „Katz und Maus“ ab.
Prompt ermittelte die Polizei gegen das Komitee wegen der „Verbreitung unzüchtiger Texte“, und Eltern sorgten sich, die Flugblätter könnten begehrte Tauschobjekte auf den Schulhöfen werden.
So sind die Grass-Gegner in ihre eigene Faust hineingelaufen, was seine „ironische Verbindung“ zu Würzburg erklären könnte.
Andere protestierten damals gegen ihn mit Transparenten, auf denen Reime standen wie „Dem Willy Brandt ein Ohrenschmaus, St. Kilian ein grasser Kraus“.
Die Stimmung war auch während der Veranstaltung explosiv. Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete, Grass sei im überfüllten Saal „durch einen Hexenkessel zum Podium“ gegangen, begleitet vom Jubel seiner Anhänger und von den „Pfui!“-, „Schwein!“- und „Aufhören!“-Rufen seiner Feinde. Ein Trompeter stieß ins Horn, wenn Grass den Mund aufmachte, und flog raus.
Vom „Main Echo“ wissen wir, dass Grass den turbulenten Abend lange nach Mitternacht im „Alten Keller“ in Randersacker beendet hat.
Der meinungsstarke Groß-Schriftsteller war öfter im Würzburgischen unterwegs, wo er auch unter den Journalisten Freunde und Feinde hatte. An einem Septembertag im Jahr 1969 kam er, wahlwerbend für die SPD, erst nach Eibelstadt, dann nach Sommerhausen und schließlich nach Würzburg.
Der Main-Post-Reporter berichtete, Grass habe in Eibelstadt die Aufmerksamkeit seines Publikums, einen Riesling Kabinett und eine Beerenauslese von der Scheurebe genossen. In Ochsenfurt habe er eine Tasse Kaffee getrunken und die Fragen von Redakteuren einer Schülerzeitung beantwortet. Grass Reden scheinen dem Journalisten so widerwärtig gewesen zu sein, dass er kein Wort darüber verlor.
In Würzburg übernimmt ein anderer Reporter das Berichten und präsentiert der Leserschaft ausführliches Wohlwollen.
An Grass, dem kämpferischen Strauß- und Springer-Gegner, schieden sich die Geister.
Erst Grass, dann Prügel
Ein Jahr später, am 31. Oktober 1970, war er zu Gast in der vollbesetzten Mensa des Studentenhauses, wo er über den Artikel 14, Absatz 2, des Grundgesetzes („Eigentum verpflichtet“) sprechen wollte. Zur selben Zeit aber hielt die rechtsextremistische „Aktion Widerstand“ ihre Gründungskundgebung mit 3000 Teilnehmern aus der ganzen Bundesrepublik in der Frankenhalle in der Pleich ab. Die äußerste Rechte machte mobil gegen die Ostverträge der sozialliberalen Regierung, in Sprechchören forderten die Teilnehmer „Willy Brandt an die Wand!“.
Grass kam in der Mensa kaum dazu, über die verpflichtende Wirkung von Eigentum zu sprechen. Er nannte die „Aktion Widerstand“ einen „Wurmfortsatz der Strauß’schen CSU-Politik“, sein Vortrag mündete in einen Protestzug gegen die Rechten zur Frankenhalle. Von dort hatten sich allerdings rund 1000 aufgemacht, um in einem – verbotenen – Fackelzug zum Rathaus zu marschieren. Am Vierröhrenbrunnen verprügelten sie eine Gruppe linker Antifaschisten. Grass war nicht dabei.
Und so erzählte er 1988 in der Schörnbornhalle des Mainfränkischen Museums, nun mit dem Frank-Ring auf dem Finger, sein politisches Engagement habe ihm in Würzburg viel Argwohn eingetragen. Aber er gab sich versöhnlich. Vieles habe sich seitdem geändert und nachtragend sei er nicht und Würzburg wohl auch nicht.
Am Abend dieses Tages las er im brechend vollen AKW aus seinem Kalkutta-Roman „Zunge zeigen“. Die anschließende feucht-fröhliche Feier endete spät nach Mitternacht im „Rebstock“. Da hatte Grass sich erstaunlich kundig über die politischen Verhältnisse in Würzburg gezeigt und lobende Worte für Oberbürgermeister Klaus Zeitler gefunden. Ein SPD-Mann, der so lange OB einer so schwarzen Stadt ist, meinte Grass, verdiene jeden Respekt. Vier Jahre später konvertierte Zeitler zu den Republikanern.
Womöglich war es diese Enttäuschung, die Grass 1995 zu einer süffisanten Bemerkung über Würzburg verleitete. Da schrieb er vom „Mief und Muff dieser allerkatholischsten Hochburg“ und meinte, es gebe Orte, die sich selbst genügten. Würzburg sei ein solches Nest.
Spätere Einsichten zu Würzburg hat er offenbar nicht hinterlassen. Der große Schriftsteller Günter Grass hat Würzburgs Mief und Muff wohl mit ins Grab genommen
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dass er nur eine friedlich Koexistenz vorhatte und eine Wiedervereinigung längst aufgegeben hatte. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass ohne Solidarnoc und den
polnischen Papst im Hintergrund der Kommunismus mit seinem Machtbereich nicht
oder zumindest nicht so schnell zusammengebrochen wäre. Dies bestätigte selbst
Gorbatschow, der kein Ende der Sowjetmacht wollte nur einen menschlicheren Sozialismus. Auch die bewundernswerte Freiheitsbewegung, die auch im kirchlichen
Umfeld erstarkte, ist ohne die Vorgänge in Polen vorher nicht denkbar.
Ich schätze die Lokalberichterstattung der Main Post durchaus und Herr Jung hat, gerade in letzter Zeit, bewiesen, was aufrichtiger und kritischer Journalismus bedeutet.
Auch wer eine konservative Meinung hat, kann die äußern. Und wer sagt, dass die falsch sein muss?
Vielleicht haben ihn die kollektiven Neurosen der örtlichen Bevölkerung hi und da zu einem Schmunzeln bewegt.
Ruhe in Frieden, Günther Grass, ich hoffe für dieses Land, dass wir weiterhin genug aufgeklärte Geistesmenschen haben, die ihre Stimme erheben.
Zum Glück hat Willy Brandts Politik späte Früchte in Europa getragen und den eisernen Vorhang zerrissen.
Und die Nachfolger der alten Nazis haben sich jetzt Dresden für ihre Aufmärsche ausgeguckt.
Aber alles baut sich auf auf die Größe der Versöhner DeGaulle und Adenauer hätte es finster ausgesehen im Nachkriegseuropa und dem beginnenden Wandel.
Zu Grass: einer der Ewiggestrigen, die gibt es auf allen Seiten. Ausser wenigen Büchern von ihm wird nicht übermäßig viel bleiben.
Übrigens: 10 Jahre nach der Verdammung der sozialliberalen Ostpolitik und der Aufhetzung der Rechten ist auch der große Vorsitzende der CSU FJS (selbst am Steuerknüppel eines Flugzeugs) nach Moskau gereist und hat einen Milliardenkredit für die DDR eingefädelt (sicher auch zum Nutzen für sich selbst).