
2014 hat Würzburg zum ersten Mal zusammen ein Buch gelesen, es war damals "Die Jünger Jesu" von Leonhard Frank. Auch bei der mittlerweile sechsten Auflage der Stadtleseaktion "Würzburg liest ein Buch" haben die Veranstalter ein Werk mit Bezug zur Stadt in den Mittelpunkt gestellt: Würzburg war Vorbild und Inspiration für die mittelalterliche Stadt in "Narziß und Goldmund" von Hermann Hesse.
Zehn Tage lang, vom 9. bis einschließlich 18. Mai, steht der 1930 erschienene und 2020 verfilmte Roman im Mittelpunkt von rund 60 Veranstaltungen. Wobei die Veranstaltungsreihe in diesem Jahr genau genommen "Würzburg liest zwei Bücher" heißen müsste: Hermann Hesse hat nach einem zweitägigen Würzburg-Aufenthalt im März 1928 den Text "Spaziergang durch Würzburg" verfasst, der von den Veranstaltern als Sonderdruck, illustriert unter anderem mit historischen Fotos aus der Sammlung der Geschichtswerkstatt, neu aufgelegt wurde.
"Darin kommen sehr ähnliche Wendungen vor wie im Roman", erläutert Daniel Osthoff, einer der ehrenamtlichen Organisatoren der Aktion "Würzburg liest ein Buch". Durch den Zusammenhang beider Texte könne man Hesse "teilweise für Würzburg vereinnahmen, weil er selbst Dinge in der Stadt entdeckt hat. Das ist etwas anderes als eine Erzählung, die nur zufällig in Würzburg spielt."

Hesse hat auch mehrfach erklärt, dass Würzburg die mittelalterliche Stadt ist, die in "Narziß und Goldmund" ab Kapitel zehn zum Schauplatz wird. Das dürfte heutzutage in der Stadt kaum bekannt sein: "Wir legen Wert auf Texte, die entweder in Vergessenheit geraten sind oder einen unbekannten Aspekt haben", so Jörg Nellen vom Verein "Würzburg liest e.V.". Der Würzburg-Besuch des Autors ist, neben seinem Leben und Werk, noch bis Ende des Monats auch Thema einer Ausstellung im Foyer des Rathauses. Sie ist eine von insgesamt sechs Ausstellungen im Veranstaltungsprogramm.
Offizieller Start ist am 9. Mai
Der zehntägige Reigen unterschiedlichster Veranstaltungen startet offiziell am 9. Mai mit einem Festakt im Mozart-Areal. Mit Ausnahme der beiden Sonntage wird "Narziß und Goldmund" dann von verschiedenen Personen täglich von 12 bis 13 Uhr in der Stadtbücherei vorgelesen. Die "Reader's Corner" ist seit der Premiere vor elf Jahren ein fester Bestandteil der Aktion: "Gemeinsam öffentlich lesen verschafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Glücksgefühl", sagt Nellen.
Zahlreiche weitere Lesungen mit verschiedenen Aspekten zu Autor und Werk sind im gedruckten Programmheft, erhältlich in allen Würzburger Buchhandlungen, und online unter "wuerzburg-liest.de" zu finden. Unter anderem liest Bischof Franz Jung am 17. Mai ab 17 Uhr im Wirsberg-Gymnasium aus dem Roman. Im anschließenden Literaturgespräch wird die Madonna von Tilman Riemenschneider in der Kirche St. Burkard im Mittelpunkt stehen, die Hesse bei seinem Würzburg-Besuch entdeckt und im Roman aufgegriffen hat.
Am 12. Mai um 15 Uhr (Treffpunkt Theaterplatz) lädt Hans Bauner vom Verein "Würzburg liest e.V." zur Führung durch die Innenstadt unter dem Titel "Hesse auf der Spur" ein. Es ist nicht die einzige Open-Air-Veranstaltung: Unter anderem veranstalten die "Urban Sketchers" Würzburg am 3. und am 10. Mai jeweils um 14 Uhr (Treffpunkt Stadtbücherei) einen Rundgang mit Zeichenbuch, der sich ebenfalls an Hesses Text "Spaziergang durch Würzburg" orientiert.
Der Film "Narziß und Goldmund" von Regisseur Stefan Ruzowitzky wird dreimal im Central Programmkino gezeigt. Vor der letzten Aufführung am 18. Mai findet um 15:30 Uhr die Tanzperformance "Goldmunds Tänzerinnen" mit dem Ensemble NaTes statt. Zwei Stunden vorher spricht der Theologe Karl-Josef Kuschel im benachbarten Kulturkeller Z87 über die "Chancen und Grenzen einer Verfilmung". Die Entstehungsgeschichte des Romans erläutert Hesse-Experte Volker Michels beim Vortrag "Ein Lob der Sünde" am 15. Mai um 18.30 Uhr im Mozart-Areal.