"Alte Leute fürchten sich vor Corona nicht so sehr. Der Tod ist für sie ja in Sichtweite", sagt Hertha Gerlinger, die im Januar ihren 100. Geburtstag feierte. Während die Pandemie jüngeren Menschen Angst mache, weil diese plötzlich mit dem Thema Sterben konfrontiert sind, seien Menschen ihres Alters mit der Thematik schon lange vertraut. Das heißt nicht, dass sich die Würzburgerin nicht an Hygiene- und Abstandsregeln halten würde - aber Angst hat sie nicht.
"Mein eigenes Leben hat sich in den vergangenen Monaten auch nicht verändert", sagt Gerlinger, die mit ihrem Mann Hermann eine bedeutende expressionistische Kunstsammlung aufgebaut hat. Das Haus verlässt sie schon seit einigen Jahren nicht mehr. "Ich lebe also schon länger in einer Art Quarantäne", erklärt sie. Ihr Fenster zur Welt sind Besuche von Freunden und Verwandten, Briefe, Telefonate und die tägliche Zeitungslektüre.
Manuskript im Frühjahr überarbeitet
Nach ihrem 100. Geburtstag im Januar ist Hertha Gerlinger ein Manuskript mit Ratschlägen und philosophischen Betrachtungen zum Älterwerden in die Hand gefallen, das sie vor einigen Jahren geschrieben hat. Beim Lesen stellte sie fest, dass die Texte immer noch aktuell sind und bot das Buch einem Verlag an. Nach der Zusage überarbeite sie das Manuskript im Laufe des Frühjahrs und tippte ein Vorwort auf ihrer Schreibmaschine.
"Es ist erwiesen und durch zahlreiche Forschungsprojekte mehrfach bestätigt, dass das menschliche Gehirn bis ins hohe Alter in der Lage ist, Neues aufzunehmen und zu nutzen, vorausgesetzt, man hat auch in jüngeren Jahren das Gehirn angemessen beschäftigt...", lautet ein Satz in diesem Vorwort. Und Hertha Gerlinger ist der beste Beweis für diese Hypothese: Sie rezitiert Gedichte und Balladen und singt Kirchenlieder, die sie in ihrer Kindheit auswendig gelernt hat.
Was nicht mehr geht, los lassen; was noch geht, weiter machen, auch wenn es anstrengend ist – nach diesem Motto hält die Hundertjährige ihr Leben lebenswert. "Dinge, die einem Freude machen, muss man nicht zwangsläufig aufgeben, nur weil man älter wird", lautet einer der Ratschläge in ihrem Buch. Nach ihrer Erfahrung könne man vieles länger als man anfangs geglaubt hat - vielleicht etwas anders oder langsamer und natürlich solange man gesund bleibt.
Aber auch das Bewusstsein für Genuss und Entspannung gehören für die Autorin zu einem aktiven Leben. Entsprechende Tipps gibt es auch in ihrem Buch. Illustriert sind die 109 Seiten mit Fotos aus dem Archiv der Autorin und ihren Aquarellen: Ein persönliches und in klarer Sprache geschriebenes Buch, das Mut macht.
"Älter werden, mobil bleiben - das Ziel und der Weg" von Hertha Gerlinger, Spurbuchverlag.