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Aub/Berlin
"Wilder Westen" Fleischbranche? Gewerkschaft appelliert an Politik
Die NGG fordert Abgeordnete auf, dem Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie zuzustimmen. Zuletzt wurden Ermittlungen gegen Schlachthöfe in der Region bekannt.
Die Gewerkschaft NGG übt heftige Kritik an der Fleischindustrie.
Foto: Ronald Wittek, dpa | Die Gewerkschaft NGG übt heftige Kritik an der Fleischindustrie.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:38 Uhr

Wenige Tage nach dem Bekanntwerden von Ermittlungen gegen zwei Schlachthöfe in der Region fordert die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ein Ende der "Wildwest-Zustände in der Fleischbranche". Der Bezirksverbands Unterfranken ruft in einer Pressemitteilung Bundestagsabgeordnete dazu auf, für das von der Bundesregierung geplante Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft zu stimmen. Der entsprechende Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) soll im September vom Parlament beraten werden.

Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg unter anderem gegen zwei Schlachtbetriebe in Aub (Lkr. Würzburg) und Grünsfeld (Main-Tauber-Kreis) wegen des Verdachts auf Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Sie sollen über ein Unternehmen aus dem Großraum Augsburg Arbeiter von Scheinfirmen aus der Slowakei vermittelt bekommen haben.

Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs sank um 33 Prozent

Mit Blick auf die gesamte Branche kritisiert NGG-Bezirkschef Ibo Ocak: "Für die überwiegend osteuropäischen Beschäftigten in Subunternehmen sind extreme Arbeitsbelastung, Lohnprellerei und Unterbringung in abrissreifen Wohnungen seit Jahren an der Tagesordnung. Mit solchen Wildwest-Methoden muss endlich Schluss sein."

Laut Gewerkschaftsinformationen sank die Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs in der unterfränkischen Fleischindustrie binnen 20 Jahren um 33 Prozent – "während die reguläre Beschäftigung in allen Branchen insgesamt um 24 Prozent zulegte". Die NGG beruft sich dabei auf Zahlen der Arbeitsagentur. Nach deren Angaben sank die Zahl der Fleischbetriebe in Unterfranken im selben Zeitraum von 470 auf 217. "Diese Konzentration hat dazu geführt, dass reguläre Stellen verloren gingen und Arbeiten an Subunternehmen ausgelagert wurden – zu prekären Bedingungen", sagt Ocak.

"In den vergangenen Jahren sind alle Versuche gescheitert, die Branche zum Umdenken zu bewegen."
Ibo Ocak, Bezirksgeschäftsführer der NGG-Unterfranken

Der Gesetzentwurf des Arbeitsministers sieht vor, dass in größeren Betrieben der Branche ab 1. Januar 2021 im Kerngeschäft Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung keine Werkvertragsarbeiter und ab 1. April 2021 auch keine Leiharbeiter mehr beschäftigt werden dürfen. Bei Verstößen drohen Bußgelder. "In den vergangenen Jahren sind alle Versuche gescheitert, die Branche zum Umdenken zu bewegen", kommentiert Ocak. "Das Verbot ist überfällig."

Rützel: Es geht auch um Arbeitsschutz

Bernd Rützel war an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt. Der SPD-Abgeordnete aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) kritisiert, die Fleischindustrie habe Werkverträge und Leiharbeit zur Kostensenkung genutzt. Und nicht ihrem Zweck entsprechend für Spezialarbeiten oder zur Bewältigung von  Produktionsspitzen. Bei dem Gesetz gehe es aber nicht nur um ein Verbot solcher Beschäftigungsverhältnisse in der Branche, betont Rützel, sondern auch um Nachbesserungen bei Arbeitsschutz, Arbeitszeiterfassung und Unterbringung von Arbeitern.

Unterstützung für die Forderungen kommt auch aus der Opposition. Die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann aus Bad Kissingen hält die Gesetzesinitiative allerdings noch nicht für ausreichend: "Die Grundfrage, wo die Zukunft der Fleischverarbeitung liegt, ist damit noch nicht gelöst." Man sehe jetzt schon, wie von der Industrie versucht werde, die geplanten Verbote zu umgehen. Zuletzt hatte Deutschlands größter Fleischverarbeiter Tönnies 15 Tochterfirmen gegründet. Dem Unternehmen wurde daraufhin vorgeworfen, die kleineren Betriebe seien ein Schlupfloch: Von den Verboten sollen Fleischerhandwerksbetriebe mit maximal 49 Mitarbeitern nämlich ausgenommen werden. Tönnies wies die Vorwürfe zurück.

Unterdessen warnt auch Gewerkschafter Ocak vor Tricksereien. Unternehmen dürften nicht versuchen, das Gesetz durch neu gegründete Tochtergesellschaften oder andere Schlupflöcher zu umgehen: "Vom Schlachten bis zum Verpacken – alle Arbeitsschritte in der Fleischproduktion müssen von Beschäftigten erledigt werden, die direkt beim Unternehmen angestellt sind."

"In unserer Sozialen Marktwirtschaft haben solche Zustände keinen Platz."
Anja Weisgerber, CSU-Bundestagsabgeordnete

Die CSU-Abgeordnete Anja Weisgerber aus Schweinfurt erklärte gegenüber der Redaktion: Durch die Corona-Pandemie seien "die Verwerfungen bei den Arbeits- und Unterbringungsbedingungen in der Fleischindustrie deutlich offengelegt" worden. "In unserer Sozialen Marktwirtschaft haben solche Zustände keinen Platz." Die Gesetz sei "ein wichtiger Baustein, um die bestehenden Missstände in der Fleischwirtschaft zu beheben". Sie hält es zudem für wichtig, "dass die Kontrolldichte in den Betrieben verstärkt" werde.

Allerdings werde sie bei den Beratungen im Bundestag "genau hinschauen, welche Regelungen notwendig sind, um auch künftig saisonale Auftragsspitzen flexibel auffangen zu können und gleichzeitig einem Missbrauch von Leih- und Werkverträgen vorzubeugen".

 
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