
Frank-Markus Barwasser, Schöpfer des Erwin Pelzig, durchlief vor seiner Karriere als Kabarettist von 1983 bis 1985 als Volontär bei der Main-Post die Ausbildung zum Redakteur. Als die Zeitung mit der Ausgabe vom 12. November 1984 den Bleisatz einstellte und eine neue Drucktechnik einführte, kaufte er die letzte in Blei gesetzte Seite 2. 39 Jahre lagerte sie im Keller seines Elternhauses in Würzburg, nun hat der 63-Jährige sie der Main-Post zurückgeschenkt. Geschäftsführer David Brandstätter und Technikchef Andreas Kunzemann nahmen den 40 Kilo schweren Spannrahmen hocherfreut in Empfang. "Wir haben nicht mehr viele Objekte aus früherer Zeit", sagte Brandstätter. Für die Redaktion war Barwassers Besuch in der ehemaligen Heimat Anlass für ein Interview über den rasanten Medienwandel der letzten Jahrzehnte.
Frank-Markus Barwasser: Das war vor 39 Jahren, und ich habe es damals schon als große Sache empfunden, dass die Bleizeit zu Ende ging. Es war klar, dass drucktechnisch ein neues Zeitalter begann. Bei den Setzern spürte ich Wehmut. Ich wollte unbedingt die erste Seite haben, bekam sie aber nicht, weil der Verlag sie selbst aufheben wollte. Ob sie heute noch existiert, weiß ich nicht. Nun lag das Teil fast vier Jahrzehnte im Keller des Hauses meiner Eltern, die inzwischen beide nicht mehr leben. Alle drei Jahre hat mich meine Mutter streng ermahnt, es endlich mitzunehmen. Sie würde sich freuen jetzt.
Barwasser: Im Studium habe ich noch alles auf der Schreibmaschine geschrieben, erst die Magisterarbeit auf dem Computer. Es gab damals zwei Modelle zu kaufen, mit 20 oder 30 Megabyte Speicher. Der Verkäufer meinte: "30 Megabyte werden Sie Ihr ganzes Leben nicht brauchen, aber es schadet nicht, wenn man's hat." Mit ihren gesamtgesellschaftlichen Folgen wie Fake News, Hass und Hetze sehe ich diese Revolution natürlich kritisch, aber ich selbst habe sehr von ihr profitiert. Etwa von den Recherchemöglichkeiten. Zuvor hatte ich immer viel Zeit in der Staatsbibliothek in München verbracht und mir ein umfangreiches Zeitungsarchiv in tonnenschweren Schubkästen angelegt.
Barwasser: Überhaupt nicht. Ich sah das als Chance, als Möglichkeit, vieles zu demokratisieren. Dass sehr viele Menschen neue Artikulationsmöglichkeiten bekommen und vielleicht besser gehört werden. Dass vieles jetzt so ins Extreme kippt und der Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und blanker Hetze nicht erkannt wird, ist sehr problematisch. Ich habe es so nicht kommen sehen, aber ich selbst war immer schnell dabei, mich in diese neuen Technologien hineinzufinden und sie gut zu nutzen.
Barwasser: Nein, ich halte mich da weitgehend raus. Ich habe die Bühne, auf der ich mich mitteilen kann, und das werde ich tun, solange die Leute kommen. Man kann einen Shitstorm gegen mich also durchaus entfachen, aber ich würde ihn nicht so leicht wahrnehmen. In meinem Programm sage ich, wer mir meine Hinrichtung unbedingt ankündigen will, sollte es mit einer frankierten Postkarte versuchen.
Barwasser: Ich habe ja vor sieben Jahren meine Fernsehsendung aufgegeben, und was sich in dieser Zeit verändert hat, ist atemberaubend. Es ist ja immer wieder von einer "hypernervösen Gesellschaft" die Rede, in der wir leben. Ich glaube, dass ich heute viel mehr Ärger hätte, würde ich die Sendung noch machen. Ein missliebiger Satz auf der Bühne kann mal zu einem Buh führen oder zu einer bösen Mail, aber ein solcher Satz im Fernsehen beschert dir, wenn du Pech hast, für eine Weile Polizeischutz. Da hat eine enorme Eskalation stattgefunden.
Barwasser: Natürlich, es gibt im Netz sehr viel Kreativität. Ich muss oft lachen, wenn mir jemand zeigt, was da so alles geteilt wird. Heißt aber auch: Unsereiner hat nicht mehr dieses Alleinstellungsmerkmal, als kreativ wahrgenommen zu werden. Man wird dadurch auch nicht mehr nur an anderen Künstlerinnen und Künstlern gemessen, sondern unter Umständen auch an dem, was über Social Media verbreitet wird.

Barwasser: Social Media ist so irrsinnig schnell, so schnell kann ich unmöglich jeden Abend sein. Dazu müsste ich ganz anders arbeiten. Deshalb mache ich künstlerisch verstärkt etwas, was auch Aufgabe des Journalismus ist, nämlich einordnen, zeitloser und grundsätzlicher werden. Da liegt wohl auch das Erfolgsgeheimnis einer Wochenzeitung wie "Die Zeit", einem der ganz wenigen Printmedien, für die es ziemlich gut läuft. Das Publikum sucht keine belehrenden Klugscheißer, sondern lieber einen, der hilft, diesen Irrsinn zu bewältigen. Das ist jedenfalls mein Anspruch.
Barwasser: Aus irgendeinem Grund hat sich die Figur nicht überlebt. Obwohl ich immer wieder Zweifel hatte, ob es jetzt nicht mal gut sein sollte. Aber es hat sich eine Zeitlosigkeit ein bisschen wie bei Asterix eingestellt, der ja auch nicht älter wird. Pelzig ist einfach eine Marke, die man nicht ändern sollte. Diesen Rat hat mir mal Hugo Egon Balder gegeben als Gast in meiner Sendung. Klar, gelegentlich habe ich gehadert mit der Figur, aber das hat mich auch unter Druck gesetzt, sie weiterzuentwickeln. Pelzig war früher sicher rustikaler und manches von dem, was ich ihn habe früher sagen lassen, würde mir heute nicht mehr über die Lippen gehen, wäre mir sogar peinlich. Andererseits gehört das zur Entwicklung dazu. Und die Wandlung funktioniert verblüffend gut: Keiner wundert sich, wenn sich der Pelzig von heute mit Hannah Arendt beschäftigt.

Barwasser: Natürlich, aber es ist ganz komisch: Ich brauche ihn dann doch. Vielleicht, weil er mir hilft, alles zu übersetzen und vor allem zu verstehen, soweit das überhaupt geht. Die Figur zwingt mich, eine verständliche Sprache zu sprechen. Das hilft ungemein, denn Sprache ist letztlich immer der Schlüssel. Im aktuellen Programm verlasse ich zweimal die Figur komplett und spreche als Ich. Schöne Erfahrung für mich, dass das auch funktioniert. Deswegen: keine Prognose, was Pelzigs Zukunft betrifft, das lass ich einfach auf mich und auf ihn zukommen. Gut, Dieter Hildebrandt stand mit 85 noch auf der Bühne, aber ich schließe aus, dass ich das mit meiner Figur noch machen könnte und wollte.