Wird die Artikulation eines Schnellredners nach einer Dreiviertelstunde eher etwas unsauber oder verlieren die Ohren des Publikums ihre Aufnahmefähigkeit? Aufgemerkt: Bei einem Meisterkabarettisten wie Frank-Markus Barwasser geht es auch in dieser Frage um Nuancen. Die Antwort lautet jedenfalls: Sein Erwin Pelzig büßte beim Kulturpicknick am Mittwoch an der Würzburger Festung bis zur ersten etwas ruhigeren Nummer im Programm „Der wunde Punkt“ einen Hauch seiner unglaublich hohen Präzision ein, was aber nur auffiel, weil er nach diesem erholsamen Largo-Einschub gleich wieder mit der Konzentration des Anfangs prestissimo neu loslegte, quasi entfusselten Mundes.
Nach der Seuchenpause und sechs Wochen nach dem Start seines Soloprogramms hält der intelligente Spötter in der Maske des kleinen mainfränkischen Mannes sein Niveau als Qualitätsdenker und -performer. Sein Dauerräsonnement behandelt diesmal den wunden Punkt, die Kränkungen der Menschheit.
Zusehends löst sich Pelzig von der Corona-Aktualität
Vor dem Virus waren das der Verstoß aus der Mitte des Sonnensystems, Darwin und Freud. Nach dem Virus kommt die Künstliche Intelligenz. Dazwischen steht der Zeitgenosse „an den Grenzen seiner Verdrängungskompetenz“. Zusehends löst sich Pelzig von der Corona-Aktualität und mündet in einer humanistischen Botschaft, in die Verkündung der Freundlichkeit.
Damit rundet sich auch die Figur Erwin Pelzig. Sie kommt am Gegenpol ihrer Frühzeit an, in der der übriggebliebene Blockwart vor keiner Gemeinheit zurückschreckte. Man erinnere sich an seine Kommentare bei einem der ersten Fußball-Public-Viewings auf dem Würzburger Marktplatz.
Jetzt brachte der Satiriker für die Fälle eventueller politischer Unkorrektheit sogar ein eigenes weibliches Korrektiv mit. Zuerst war diese Stimme nur Gehilfin, um aus der Tonanlage Zitate von Philosophen und Politikern einzusprechen. Nur: Das waren alles Männer, und das fiel auch der Playbackerin auf. Sie stellte also ihren Erwin zur Rede, ging in Streik. Übrigens in einem Themenblock, in dem Barwasser eine schöne und durchaus ernstzunehmende Wahrheit über das Gendern äußerte: „Wenn's dem Frohsinn dient.“ Das heißt frei übersetzt aus dem Satirischen: Gendere so, dass deine Rede als Verhöhnung des patriarchalischen sprachlichen Weltbilds gelten kann.
Fans wissen, wofür das Rotwein- und das Weißbierglas auf der Bühne stehen
Die Kindheit ist politisch, weil der Mensch hier für sein künftiges Handeln geprägt wird – derartige Maximen auf der einen Seite, auf der anderen der Traum vom ewigen Leben, der als „digitale Unsterblichkeit“ schon bald erfüllt werden könnte: Themen dieser Art ranken sich um den großen Bogen, den vier Einschübe unterbrechen. Aus dem vorigen Programm übernahm Frank-Markus Barwasser die Technik des Perspektivwechsels und fläzte sich zu abgegrenzten Kabarettnummern einmal als Virus, einmal als Jugendlicher im Sessel.
Welcher Art die anderen Einschübe sein würden, war den Zuschauern im vollen Neutorgraben klar, sobald sie auf die Bühnendeko blickten: Die bestand aus einem Rotwein- und einem Weißbierglas, den Requisiten von Erwin Pelzigs Triopartnern Roderich Dr. Göbel und Hartmut, die denn auch zwei fulminante Kurz-Shows hinlegten.
Weitere Auftritte in der Region: 31. Juli beim Kessler Field Open Air in Schweinfurt, 9. Oktober in Veitshöchheim.