Für einen Interview-Termin ist es außergewöhnlich still. Dafür wird sehr viel gelächelt und mit den Händen gestikuliert. Treffpunkt ist im Hofgarten der Würzburger Residenz - besonders im Frühling ein beliebter Spot für Spaziergänger auf der Suche nach dem perfekten Foto. Das Smartphone in der Hand streckt Christine Eggert ihren Arm aus und richtet die Kamera auf sich. Sie lächelt - und es wirkt, als strahle sie mit den blühenden Kirschbäumen um die Wette. Später wird sie das kurze Video auf dem sozialen Netzwerk Instagram veröffentlichen und zeigen, dass sie einen Pressetermin hatte.
Eggert verdient in und mit den sozialen Medien ihr Geld. Als Influencerin bewirbt sie Kosmetikprodukte und Modeartikel und lässt ihre knapp 37 000 Follower auf Instagram an ihrem Leben als Familienmama teilnehmen. Doch ihre Reichweite nutzt sie auch, um aufzuklären: Sie zeigt, dass taub nicht gleich stumm ist. Christine Eggert kann zwar nicht hören, ihre Stimme für Gehörlose ist dafür umso lauter.
Was bedeutet "Gehörlose im Kreis"?
Die 30-Jährige will vor allem auf ein Thema aufmerksam machen, dass ihr persönlich am Herzen liegt: "Gehörlose im Kreis". Im Internet findet man wenig Informationen über diesen Begriff. Wie erklären ihn Betroffene? Als "Gehörlose im Kreis" bezeichne man die Problematik, dass taube Menschen noch immer auf Barrieren stoßen, sagt Eggert. "Im Bereich Inklusion fehlt einfach noch eine Menge." Aus eigener Erfahrung möchte die Würzburgerin aktiv dagegen angehen - indem sie in den sozialen Netzwerken aufklärt.
Sie nennt den öffentlichen Nahverkehr als Beispiel: "Wenn es in Bus und Bahn Durchsagen gibt, werden diese meist nicht sichtbar gemacht und gehen an uns vorbei." Der "Kreis" sei wie eine Barriere, die Betroffene einschließe. Eine Barriere, "auf die wir in vielen Bereichen stoßen und an der Teilhabe gehindert werden".
Eggert möchte, dass solche Situationen, die noch Probleme bereiten, angepackt und Lösungen umgesetzt werden. "Wir brauchen Veränderungen, um allen Menschen die gleichen Rechte und Möglichkeiten zu bieten", sagt sie. "Wir leben doch im modernen Zeitalter mit moderner Technik. Es sollte so viel mehr möglich sein."
Kinder wachsen bilingual auf
Christine Eggert ist gehörlos geboren worden - genauso wie ihr Bruder. Was die Ursache war, ob erblich bedingt oder ein Gendefekt, kann keiner sagen. In ihrer Familie kann sie sich mit Gebärdensprache ausdrücken, die Kommunikation beschreibt sie als sehr angenehm und selbstverständlich. Um mit den beiden gehörlosen Kindern kommunizieren zu können, haben Eggerts Mutter und ihre Schwester damals einen Gebärdensprachkurs belegt. Eggert spricht gerne von ihrer Familie und erzählt frei von ihrem Leben als Gehörlose - um zu verdeutlichen, dass das Leben vollkommen normal sein kann, auch wenn man selbst ein wenig von der Norm abweicht.
Diese Einstellung gibt sie auch an ihre eigenen Kinder weiter, die ebenfalls gehörlos zur Welt kamen. "Im Grunde ist mein Leben als Mutter nicht anders als das anderer Mütter - abgesehen von der Sprache." Ein paar Abweichungen gibt es aber doch: Falls ihre beiden Kinder nachts zu weinen beginnen, reagiert das Babyphon beispielsweise mit Lichtsignalen und nicht mit Geräuschen. Beide haben Cochlea-Implantate - eine technische Hörhilfe, deren Aufgabe darin besteht, die Funktion des Innenohres zu ersetzen. Manchmal wähle ihre siebenjährige Tochter so für die Kommunikation die Lautsprache, sagt Eggert. Die Kleine lernt beide Sprachen, die Laut- und Gebärdensprache, und wächst somit bilingual auf. Bei ihrem Sohn, der jetzt ein Jahr alt ist, wird es genauso sein.
Christine Eggert fühlt sich oft von Gesprächen ausgeschlossen
Der Alltag und die Situation zu Hause sind also völlig unproblematisch. Denn auch Christine Eggerts Mann ist gehörlos. Erst im Kontakt mit hörenden Menschen, die keine Gebärdensprache beherrschen, werde es schwierig, sagt sie. Hier fühle sie sich oft außen vor und von Gesprächen ausgeschlossen. Auch im näheren Umfeld hat die gelernte Köchin oft das Gefühl, dass Menschen Berührungsängste haben. "Ich würde mir wünschen, dass die Menschen ein wenig mehr Mut fassen, um direkt mit mir in Kontakt zu treten." Zum Beispiel, indem sie per Stift und Zettel kommunizieren. Möglichkeiten gebe es genug.
Eggert wünscht sich mehr Geduld von den Menschen
Die 30-Jährige lebt seit drei Jahren in Würzburg, aufgewachsen ist sie in der Nähe von Bad Mergentheim im Main-Tauber-Kreis. Wie sie die Stadt als Gehörlose erlebt? "Freundlich und positiv." Grundlegende Kenntnisse in der Gebärdensprache scheinen bei den Menschen bekannt zu sein, sagt sie, manche schnappen hier und dort eine Gebärde auf - ein einfaches "Danke" beispielsweise: Die Hand wird einfach vom Kinn leicht nach vorne und unten geführt. Der Handrücken zeigt dabei nach vorn.
Wenn das Servicepersonal im Restaurant bemerke, dass sie gehörlos ist, reagiere es aufmerksam, sagt Eggert: Viele würden dann einfache Gebärden nutzen, um zu fragen, was sie essen oder trinken möchte: "Das ist toll! Es ist sehr schön, dass es hier im Kommen zu sein scheint, Gebärdensprache zu lernen."
Doch obwohl sie die Situation in der Stadt allgemein als angenehm empfindet: Sie stoße immer wieder auf Menschen, die von der anderen Kommikationsituation genervt wirken oder gar verärgert sind. "Sie werden beispielsweise nervös oder verlieren die Geduld." Hier wünscht sich Eggert etwas mehr Rücksicht. Gerade während der Corona-Pandemie komme erschwerend die Maskenpflicht als Problem hinzu: "Manchmal wäre es so leicht, kurz die Maske abzunehmen, um ein einzelnes Wort oder einen Satz verständlich zu machen", sagt die 30-Jährige. "Doch sofort bekommen die Leute Angst und gestatten keine Ausnahme."
Eggert: Es ist großartig, offen sichtbar zu sein
Auf Instagram möchte Christine Eggert zeigen, wie schön die Gebärdensprache ist und wie ihr Leben mit dieser Sprache aussieht. Sie weiß, noch immer haben viele Menschen das Gefühl, Gehörlose würden sich verstecken. Dabei sei es großartig, sich so zu zeigen, wie man ist und ins Gespräch zu kommen, so die junge Mutter, die in Würzburg auf die Hörgeschädigten Schule ging. Nur so könne Aufklärung betrieben werden. Und: "Es kommt endlich ins Bewusstsein der Gesellschaft, dass es uns gibt." Dies fange bereits bei dem Wort "taubstumm" an - eine veraltete und diskriminierende Bezeichnung, was vielen nicht klar sei. Auch darüber will sie aufklären - und gegenseitiges Verständnis fördern.
Das soziale Netzwerk Instagram schien ihr eine gute Möglichkeit, diese Themen, ihre Anliegen, nach außen zu transportieren und der großen Masse näher zu bringen. Seit 2018 erzählt sie von ihrem Alltag als gehörlose Familienmutter oder teilt Beiträge zur Gebärdensprache.
Ihre Positivität strahlt sie auch auf ihrem Profil und mit ihren Bildern aus: Alles in hellen Farben und auf jedem Bild lächelt sie. "Die Gebärdensprache ist die schönste Sprache", steht in Eggerts Profilbeschreibung geschrieben. Und: "Bin stolz, taub zu sein." Eine Lebenseinstellung, mit der sie die oft oberflächliche Welt der sozialen Medien ein Stück weit menschlicher machen möchte.
Mehr Infos rund um das Thema Gebärdensprache gibt Christine Eggert auf ihrem Instagram-Profil _chocosecret_