
Das ist ein Coup für die Würzburger Satellitenforscher: Die Europäische Raumfahrtagentur ESA hat das Würzburger Start-Up-Unternehmen S4 GmbH (Smart Small Satellite Systems) mit der Entwicklung eines besonders niedrig fliegenden Testsatelliten beauftragt – und will sich damit im Wettlauf mit den USA und China durchsetzen. "S4" arbeitet eng mit dem Zentrum für Telematik (ZfT) als Schwesterfirma zusammen. Gemeinsam hat man schon eine Reihe von Forschungs-Kleinstsatelliten ins All befördert. Erst vor wenigen Wochen hatte die ESA einen Kooperationsvertrag mit dem ZfT als Forschungslabor unterzeichnet. Hintergründe zum neuen Satelliten erklären Oliver Ruf, technischer Leiter von "S4", und ZfT-Vorstand und Uni-Professor Klaus Schilling.
Herkömmliche Telekommunikationssatelliten drehen sich synchron mit der Erde auf Umlaufbahnen in 36 000 Kilometern Höhe. Wegen der Entfernung kommt es zu langen Signallaufzeiten – so genannten Latenzen (englisch latency) – und zu zeitlichen Verzögerungen bei der Übertragung. Hier soll der neue "LoLaSat" (Low Latency Communication Satellite) erhebliche Verbesserungen bringen. Der Testsatellit soll erstmals diese erdnahe Umlaufbahn für die Telekommunikation erschließen. Da er die Erde in weniger als 300 Kilometern Höhe umkreist, kommen die Funksignale sehr viel schneller an. In dieser geringen Höhe ist allerdings noch Restatmosphäre vorhanden – das stellt die Entwickler vor Herausforderungen. Es braucht ein spezielles Antriebssystem, sonst droht ein Absturz. Am Ende seiner Lebensdauer soll der Satellit in der Atmosphäre komplett verglühen.
Für viele Anwendungen sind Verzögerungen von Sekundenbruchteilen bei der Nachrichtenübermittlung ein Problem. Man denke an das autonome Fahren oder die Nutzung von Transportdrohnen. Auch bei Katastropheneinsätzen oder beim Hochfrequenzhandel von Aktien sind möglichst schnelle Reaktionszeiten von entscheidender Bedeutung. Mit den neuen Satellitennetzen entsteht eine Schlüsseltechnologie für die globale Digitalisierung. Schillig geht davon aus, dass sie den Alltag der Menschen zu Hause und in den Betrieben ähnlich stark beeinflussen wird wie das GPS bei der Navigation. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt spricht von "Pionierarbeit" der Würzburger.

Wegen der großen Bedeutung für das Internet der Dinge ist ein globaler Wettlauf um die niedrig fliegenden Satelliten entbrannt. Europa steht hier vor allem in Konkurrenz zu den Forschungsunternehmen in den USA und China. Mit seinem Starlink-Programm hat der US-Unternehmer Elon Musk (SpaceX und Tesla) bereits etwa 1700 Satelliten auf niedrigen Orbits in 550 Kilometern Höhe platziert. Für eine dritte Phase plant er laut Schilling in einigen Jahren Tausende weitere Satelliten in einer Höhe von 328 Kilometern, um so weitere Sekundenbruchteile einzusparen. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA hat sich nun mit der Ausschreibung und Vergabe von "LoLaSat" an die Spitze des globalen Wettlaufs gesetzt.
Das 2017 aus dem Würzburger Zentrum für Telematik ausgegliederte Start-Up-Unternehmen "S4" hat von der ESA den Zuschlag als Hauptauftragnehmer für "LoLaSat" erhalten und baut den Satelliten. Damit werde erstmals das enorme Potenzial der extrem niedrigen Orbits für eine echtzeitfähige Kommunikation via Satellit untersucht, freuen sich Projektleiter Ruf und Uni-Professor Schilling. Beide sehen in der Technologie ein großes wirtschaftliches Potenzial, denn durch die Satellitenformationen werde eine globale Abdeckung für das künftige Internet der Dinge erreicht. Das Zentrum für Telematik ist in der Mission für den Betrieb der Bodenstation und für die Software verantwortlich. An Bord des Konsortiums ist noch der Nachrichtentechnikspezialist TESAT Spacecom aus Backnang bei Stuttgart.

Entscheidend für die Vergabe sind die Erfahrung im Bau und im Betrieb von Kleinst-Satelliten und das Zusammenspiel von Universität, Forschungsinstitut und innovativen Firmen. Bereits 2005 wurde in Würzburg mit dem Forschungssatelliten UWE-1 der erste deutsche Mini-Satellit entwickelt, weitere Missionen und Entwicklungen folgten. Zuletzt wurde im September 2020 im Beisein von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und Digitalministerin Judith Gerlach die Formation NetSat, bestehend aus vier Kleinstsatelliten, ins All befördert – auch dies ist eine Kooperation des Zentrums für Telematik mit dem Start-Up "S4".
Auch "LoLaSat" ist ein Minisatellit, nicht größer als eine Schuhschachtel und nur vier Kilogramm schwer. Das Unternehmen "S4" hat einen standardisierten Baukasten von Satellitenuntersystemen entwickelt, aus dem spezielle Satelliten nach Vorgaben der jeweiligen Mission zusammengesetzt werden können. Dies ist wesentlich, um später mit Unterstützung von Robotern größere Satelliten-Stückzahlen in einer "Fabrik" herstellen zu können. "LoLaSat" könnte, so die Hoffnung Schillings, ein wichtiger Türöffner für den Standort Würzburg sein.
Wenn alles glatt läuft, soll der Satellit im Laufe des Jahres 2023 mit einer Trägerrakete in den Weltraum befördert werden. Die Auswahl der kostengünstigsten Rakete läuft gerade noch.