Es ist ein Meilenstein für die Würzburger Raumfahrtforschung: Das Zentrum für Telematik (ZfT) und die Europäische Raumfahrtagentur ESA kooperieren künftig bei der Entwicklung und Produktion von Kleinstsatelliten. Die Würzburger um ZfT-Vorstand Klaus Schilling, Uni-Professor für Robotik und Telematik, haben über die Jahre das Wissen dazu aufgebaut.
Für ihr europaweites Netzwerk "ESA_Lab@" hat die ESA Kooperationsverträge mit rund 20 Einrichtungen der Spitzenforschung abgeschlossen. Aus Deutschland sind dabei nur noch die TU Darmstadt und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz vertreten. Man wolle europäische Weltraumtechnik im internationalen Wettbewerb stärken, so ESA-Generalsekretär Josef Aschbacher. Die USA und China sind in diesem Feld weit voraus.
Ministerpräsident Söder gratuliert Würzburger Satellitenforschern
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gratuliert zu dem "tollen Erfolg", das Zentrum für Telematik setze Kernthemen der bayerischen Hightech Agenda gemeinsam mit der ESA in konkrete Anwendungen um. Söder verweist auf das Sonderprogramm Raumfahrt mit rund 40 Millionen Euro, das auch Mini-Satelliten fördert.
Für die Würzburger Forscher ergeben sich über die ESA neue Möglichkeiten. Schilling rechnet mit Geld und Mitarbeitern für gemeinsame Projekte. Die Uni profitiere, weil Studierende Zugang zur ESA bekommen.
Unterdessen tobt im Orbit ein Wettlauf: Allein das private US-Raumfahrtunternehmen SpaceX betreibt rund 1500 Satelliten, Tausende sollen in den nächsten Jahren folgen. China hat laut Schilling die Zulassung für 13 000 Satelliten beantragt. Es geht um Kommunikation, Datenübertragung, schnelles Internet.
"An klaren Tagen können Sie Satelliten wie Perlenketten am Himmel sehen, vor allem in der Abenddämmerung", sagt der Würzburger Forscher, der schon früher – noch für die Industrie – bei ESA-Missionen mitgearbeitet hat. Eines seiner großen Ziele: eine Kleinstsatellitenfabrik für Würzburg. "Wir müssen in die Massenfertigung kommen", sagt Schilling. Er hofft auf Unterstützung für das Vorhaben durch Bund und Freistaat.
Satelliten im Formationsflug: Mission "NetSat" interessant für die ESA
Türöffner für die Kooperation mit der ESA war die jüngste Mission der Würzburger Forscher, gestartet Ende September: "NetSat" besteht aus vier schuhschachtelgroßen Satelliten, die in 600 Kilometern Höhe in Formation um die Erde kreisen. Sie organisieren sich selbst, kommunizieren miteinander und sollen neuartige Daten und Aufnahmen liefern. Schilling spricht von "Pionierarbeit". Wolken könnten damit "durchleuchtet" werden. Aber auch künftige Navigationssysteme sollen von den Erkenntnissen profitieren. Fünf- bis sechsmal pro Tag überqueren die Satelliten in ihrer Umlaufbahn Würzburg. Dann senden sie Bilder und ganze Zahlenkolonnen ans kleine Kontrollzentrum am Hubland – und empfangen von den Wissenschaftlern neue Befehle.
Je mehr Satelliten um die Erde schwirren, umso größer wird die Kollisionsgefahr - und umso wichtiger ihre autonome Steuerung: Die Würzburger Satelliten reagieren eigenständig mit ihrer eingebauten Software auf kritische Situationen. Auch künstliche Intelligenz kommt hier zum Einsatz. Was im Orbit erprobt wird, soll in Zusammenarbeit mit der ESA Aufschlüsse für den irdischen Alltag liefern – etwa bei der Entwicklung des autonomen Fahrens.
Der Bildschirm im Kontrollzentrum zeigt, wo sich die vier NetSat-Satelliten aufhalten: Während einer gerade über Afrika schwebt, befindet sich der andere über Würzburg, weitere über Skandinavien und der Arktis. Was so nicht vorgesehen war. Eigentlich sollten sie in einer Formation mit einem Abstand zueinander von maximal 100 Kilometern fliegen, sollten sich annähern. Doch es gibt Probleme mit dem elektrischen Antrieb.
Probleme mit Elektroantrieb: Satelliten entfernen sich voneinander
"Es klappt nicht immer alles", räumt Schilling ein, "so ist halt Forschung". Man arbeite an den Triebwerksproblemen. Sie führen dazu, dass sich die Kleinsatelliten voneinander entfernen, gerade sind es schon 3500 Kilometer – eine Kommunikation ist nur noch über das Kontrollzentrum am Boden möglich. Ein Rückschlag, der aber auch neue Erkenntnisse bringt: "Wir haben gesehen, dass sogar bei 1000 Kilometern Abstand noch eine Verbindung zwischen den Satelliten bestand", erklärt Projektleiter Julian Scharnagl. Das hatte man nicht erwartet, und hätte es aus freien Stücken auch nicht ausprobiert.
Rund 20 neue Satelliten werden im Zentrum für Telematik derzeit gebaut. Die nächste Mission soll im Dezember starten: Dann werden Satelliten für eine abhörsichere Kommunikation in den Weltraum befördert. Außerdem setzt Schilling auf niedrigfliegende Satelliten in einer Umlaufbahn von 200 bis 300 Kilometern Höhe. Sie könnten die weltweite Datenübertragung weiter beschleunigen. Die Würzburger Forscher sind hier offenbar schon weit. Und diesmal vielleicht sogar schneller als die Konkurrenz aus den USA und China.