Wie italienisch ist Hugo Wolfs "Italienisches Liederbuch" eigentlich? Sehr italienisch klingt die zwischen 1890 und 1896 komponierte Musik jedenfalls nicht. Und die zugrundeliegenden Gedichte von Paul Heyse haben auch eher deutschen Duktus, auch wenn sie Nachdichtungen toskanischer oder venezianischer Vorbilder sind.
Dargestellt sind darin die "Liebesdramolette der kleinen Leute", wie es der Musikwissenschaftler Hansjörg Ewert im Programmheft zur fünften Ausgabe des Würzburger Festivals Lied formuliert, das jetzt mit ebendiesem Liedzyklus Eröffnung feierte. Passenderweise im sehr gut besetzten Toscanasaal der Residenz.
Wenn also diese "Liebesdramolette der kleinen Leute" als typisch italienisch zu gelten haben, wäre das dann nicht eine aus heutiger Sicht unzulässige Stereotypisierung vermeintlicher italienischer Lebensart? Man kann das so betrachten, würde sich dann aber einen Großteil des Vergnügens am Werk selbst vermiesen. Denn das "Italienische Liederbuch" ist ein wunderbarer Einblick nicht in die italienische, sondern die deutsche Seele. Vielmehr deren Wahrnehmung Italiens zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Also leidenschaftlich, wild, handfest und ganz schön chaotisch. Aber eben auch sehr faszinierend. Ein bisschen wie auf dem Gemälde "Piazza d’Erbe in Verona" von Adolph von Menzel aus dem Jahr 1884, das einen mit allerhand pittoreskem Volk überfüllten Markplatz vor der Kulisse historischer Stadtgebäude zeigt. Bei Hugo Wolf kommen dann noch schattige Olivenhaine und weithin leuchtende Zitronenbäume über schroffen Küstenfelsen hinzu. Und das ganz ohne Belcanto-Anleihen.
Klassische Hochkultur, volksnahes Parlando und gesungenes Streetfood
Hansjörg Ewert findet in seinem scharfsinnigen Text denn auch genau die richtige Formel für den Liederzyklus: "klassische Hochkultur, volksnahes Parlando und gesungenes Streetfood". Hugo Wolfs Musik ist widerborstig, vital, plastisch, farbenreich und nicht nur gelegentlich so wunderschön, dass einem ganz unverhofft das Herz aufgeht.
Und genau so interpretieren Nikola Hillebrand (Sopran), Konstantin Krimmel (Bariton) und Alexander Fleischer (Klavier) den Zyklus. Es sind 46 Miniaturen, jede in sich abgeschlossen, nicht selten mit surrealistischen Anklängen. Etwa: "Mein Liebster ist so klein, dass ohne Bücken er mir das Zimmer fegt mit seinen Locken". Am Stück werden die Lieder gerne mit auf Mann und Frau verteilten Rollen gesungen. So auch hier, wobei Krimmel die werbenden, mitunter auftrumpfenden Teile übernimmt und Hillebrand die selbstbewussten, nicht selten spöttischen Antworten gibt.
Alexander Fleischer, der das Festival 2020 ins Leben gerufen hat und seither leitet, steuert am Flügel eine höchst vielschichtige Welt der Farben, Landschaften und Düfte bei. Sein Timing ist traumhaft sicher, sein Anschlag erlaubt feinste Nuancierungen und satteste Wohlklänge. Konstantin Krimmels Bariton deckt locker das geforderte Spektrum ab, von chansonhafter Leichtigkeit bis hin zu Fortestellen, die auch gut als wagnerscher "Wälse!"-Ruf durchgehen würden. Nikola Hillebrand bleibt eher bei opernnahem Ansatz, was der durchgängig dramatischen Unterströmung des Zyklus durchaus angemessen ist.
Ein umjubelter Abend, dem ein hinreißendes Duett "Là ci darem la mano" aus Mozarts "Don Giovanni" einen weiteren Höhepunkt hinzufügt.
Das Festival Lied Würzburg läuft noch bis 17. März mit nahezu täglich Konzerten. Weitere Informationen unter festival-lied-wuerzburg.de