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Sommerhausen
Wenn die Kinder erwachsener sind als die Eltern: Mutter-Tochter-Stück im Torturmtheater Sommerhausen
"Und dann kam Mirna" von Sibylle Berg konfrontiert Generationen und Lebensrealitäten. Und zwingt die Blase der coolen Rechthaber, ein paar Illusionen abzuwerfen.
Person 1, die Mutter, räsoniert sich durch ihre Frustration (Magdalena Wiedenhofer, links). Person 2, Mirna (Antonia Lunemann), versucht, den Laden zusammenzuhalten.
Foto: Silvia Gralla | Person 1, die Mutter, räsoniert sich durch ihre Frustration (Magdalena Wiedenhofer, links). Person 2, Mirna (Antonia Lunemann), versucht, den Laden zusammenzuhalten.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 12.10.2023 03:15 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Und dann kam Mirna" ist ein Zwei-Personen-Stück für eine Mutter und eine Tochter von Sibylle Berg, das soeben im Torturmtheater Sommerhausen Premiere feierte.
  • Worum geht es? Eine Frau hadert mit dem erzwungenen Abschied aus jugendlicher Sorglosigkeit: Plötzlich ist ein Kind da, und alles, was sie einst als spießig verspottete, bestimmt plötzlich auch ihre Lebensrealität.
  • Wie ist die Umsetzung? Regisseur Ercan Karacayli stellt Mutter und Tochter als Mini-Rockband auf die Bühne. Songs wechseln sich mit Monologen und Dialogen ab. Das ist anfangs etwas anstrengend, entfaltet aber schnell seine Wirkung: Worte und Geräusche werden zu einem immer feiner strukturieren Mosaik an Information und Emotion.

Der Narzissmus einer Generation trifft auf den Pragmatismus der nächsten. Und zerschellt. Das aber wort- und pointenreich. "Und dann kam Mirna" von Sibylle Berg, Jahrgang 1962, ist eine weitere Momentaufnahme mit Anspruch auf Übertragbarkeit. So kann man zwar "Person 1", die Mutter, in dem Stück, das jüngst im Torturmtheater Sommerhausen (Lkr. Würzburg) Premiere feierte, getrost als manisch bezeichnen. Doch dieses Manische, so stellt sich heraus, ist auch eingeübte Haltung einer ganzen Blase.

Also einem Ausschnitt der Gesellschaft, dessen Angehörige einander in bestimmten Verhaltensweisen bestätigen und bestärken. In diesem Fall zum Beispiel die überdurchschnittlich verbreitete Überzeugung, man sei auf keinen Fall Durchschnitt. Oder die Lust am durchaus geistreichen Lästern über alles, was als spießig, rückständig oder einfach dumm gebrandmarkt wird.

Plötzlich sind alle sinnstiftenden Richtigkeiten hinfällig

Person 1 hat sich "in die Kaste der Unberührbaren gebumst", so ihre Selbsteinschätzung. Person 2 ist da: Mirna. Schluss mit Party, Alkohol, Drogen. Schlimmer noch: Plötzlich Mutter sein bedeutet, "von allen gehasst" zu werden. So jedenfalls sieht es Person 1, die ziemlich gut darin ist, die eigene Wahrnehmung zum gesellschaftlichen Phänomen zu erklären. 

Magdalena Wiedenhofer (links) und Antonia Lunemann singen und spielen mit Songs von Queen, David Bowie, Pink Floyd oder den Talking Heads ihren eigenen Soundtrack.
Foto: Silvia Gralla | Magdalena Wiedenhofer (links) und Antonia Lunemann singen und spielen mit Songs von Queen, David Bowie, Pink Floyd oder den Talking Heads ihren eigenen Soundtrack.

Magdalena Wiedenhofer spielt diese widerwillige Mutter und virtuose Selbstbetrügerin mit dem Groll der ewig Verkannten. Gerade noch stand sie mit ihren Ansichten, ihrem Musikgeschmack, ihrem Sarkasmus stilsicher auf der richtigen Seite. Gerade noch hat sie sich über Political Correctness lustig gemacht und über Mütter, deren Rebellentum sich darauf beschränkt "faire Schokolade" zu essen, da  sind all die sinnstiftenden Richtigkeiten hinfällig: Mirna destabilisiert mit objektiven Bedürfnissen die Gleichung, und die Mutter muss die zutiefst frustrierende Erfahrung machen, wie langweilig es sein kann, Zeit mit dem eigenen Kind zu verbringen. 

Abgesang auf eine Zeit, in der es reichte, den richtigen Musikgeschmack zu haben

Antonia Lunemann spielt die vernünftige Mirna ganz ohne kindliche Manierismen. Umso besser nimmt man ihr das zehnjährige Kind ab, das die eigentliche Verantwortungsträgerin dieser Zweierkonstellation ist. Denn der Kindsvater - Torben - wurde längst vom Hof gejagt. Wegen akuter Uninteressantheit. Während die Mutter alle Energie in Prokrastination steckt, also das Aufschieben jeglicher Problemlösung, muss die Tochter Tatsachen schaffen, damit sich die Situation nicht noch weiter verschlechtert - etwa mit einem Umzug weg aus Berlin aufs Land, das bekanntlich nur von Nazis bevölkert ist.

Regisseur Ercan Karacayli stellt Mutter und Tochter als Mini-Rockband mit Keyboard, Gitarren und Schlagzeug auf die Bühne. Die beiden singen und spielen mit Songs von Queen, David Bowie, Pink Floyd oder den Talking Heads ihren eigenen Soundtrack. Und lassen mit Monologen und gelegentlichen Dialogversuchen ein verblüffend präzises Zeitbild entstehen. "Und dann kam Mirna" ist auch der Abgesang auf eine Zeit, in der es reichte, den richtigen Musikgeschmack zu haben. Eine Zeit, die es freilich so nie gegeben hat. Und das ist vielleicht die eigentliche Pointe dieses Stücks.

Torturmtheater Sommerhausen: "Und dann kam Mirna" läuft bis 25. November. Spieltage: Di. bis Fr., 20 Uhr, Sa. 16.30 und 19 Uhr. Karten: kartenbestellung@torturmtheater.de oder telefonisch ab 16 Uhr, (09333) 268.

 
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