Eine Frau, weißes Sweat-Shirt, elegante weiße Jogging-Hose, weiße Turnschuhe, lehnt an der hinteren Bühnenwand im Torturmtheater Sommerhausen (Lkr. Würzburg). Sie ist alleine auf der Bühne, singt leise den gefühlvollen Song mit, dessen Melodie der weitere Verlauf des Stückes strukturieren wird. "Girls & Boys" des britischen Autors Dennis Kelly ist ein Monolog für eine Schauspielerin, der mit großer Wucht ein öffentlich kaum wahrgenommenes Phänomen unserer Zeit thematisiert.
Ein Paar verliert sich in der Krise
Absolut aufrichtig und wahrhaftig gegenüber sich selbst und dem Publikum erzählt die namenlose Frau ihre Lebens- und Liebesgeschichte: In der Warteschlange eines Easyjet-Fluges von Neapel nach Deutschland lernt sie einen unsympathischen Typ kennen und verliebt sich dennoch in ihn. Er wird ihr Ehemann und der Vater ihrer Kinder Lina und Benny. Genervt und gelegentlich gestresst von ihrer Mutterrolle, strebt sie zurück ins Berufsleben. Ohne Beziehungen und gegen jede Wahrscheinlichkeit findet sie als Stoff-Entwicklerin in der Dokumentarfilmbranche einen Job.
Dort ist sie nicht nur erfolgreich, sondern steigt auch schnell auf und gründet mit einem Arbeitskollegen eine eigene Produktionsfirma. Auch hier gelingt mit einem preisgekrönten Film der schnelle Durchbruch. Während sie beruflich Karriere macht, muss seine Möbel-Import-Firma Konkurs anmelden. Ihr wirtschaftlicher Erfolg und sein beruflicher Misserfolg vergiften die Beziehung. Da, wo vorher große Liebe, eine glückliche Ehe und eine intakte Familie waren, herrschen jetzt Wut, Eifersucht und Gewalt. Das Paar verliert sich in der Krise und in den tradierten Geschlechterbildern. Dabei übersieht jeder die Not des jeweils anderen, die Beziehung zerbricht, die Familie geht daran zugrunde.
Wie die junge, aus diversen TV-Produktionen bestens bekannte Schauspielerin Lea Marlen Woitack diese Geschichte eines "ganz normalen Lebens", das zur Tragödie wird, erzählt, ist ganz einfach großartig, phänomenal, geradezu brillant. Denn sie erzählt diese Geschichte nicht einfach nur, sondern erlebt und erleidet sie mit jeder Faser ihres Körpers.
Bejubelte Premiere
Von Beginn füllt sie die Torturm-Bühne mit ihrer enormen Präsenz, zeigt sich blitzschnell wandlungsfähig im Darstellen der erzählten Figuren (etwa der zwei Models in der Flugzeug-Warteschlange), aber auch in bewundernswerter Ausdrucksstärke in den stillen oder stummen Momenten. In jeder Sekunde der 90 Minuten macht sie sich diese Rolle bedingungslos zu eigen und beschert uns, dem mit offenem Mund staunenden Publikum einen grandiosen Schauspielerinnen-Abend.
Ermöglicht hat den wieder einmal Regisseur Ercan Karacayli, dessen gleichermaßen sensible wie penible Arbeit an kleinen Details dieser Inszenierung wesentlichen Anteil zum vehement und lautstark bejubelten Premierenenerfolg beitrug.
Wobei im leichten Gewand ein durchaus schweres und in der Öffentlichkeit immer noch tabuisiertes Thema behandelt wird: nämlich das eines Lebens, das daran zerbricht, dass der Familienvater und -ernährer dem Erfolg seiner Frau im Beruf, ihrer Selbstständigkeit und der schließlich folgenden Scheidung nicht zu begegnen weiß. Ein Bühnen-Sog, dem man sich nicht entziehen kann und der einen noch beschäftigt, nachdem man das Theater lange verlassen hat.
Auf dem Spielplan bis zum 5. August. Karten-Tel. 09333/268 oder www.torturmtheater.de
Als Mann muss man doch froh sein, wenn man eine Frau hat, die brav arbeitet und genug verdient um einem ein standesgemäßes Leben bieten zu können.