So einen Ansturm kennt das Landgericht Würzburg allenfalls von Strafprozessen. Bei einem Zivilverfahren habe er noch nie erlebt, dass sich allein 15 Kamerateams Drehgenehmigungen ausstellen lassen, sagt Tobias Knahn, der stellvertretende Sprecher des Gerichts. Der Grund für das Interesse von Dokumentarfilmern und Fernsehsendern bis nach Tschechien, Japan, Arabien und Amerika ist das Verfahren, das Anas Modamani gegen Facebook angestrengt hat. Der Syrer möchte, dass das soziale Netzwerk die Verbreitung von Verleumdungen seiner Person konsequent unterbindet. Am Montag ist die öffentliche Verhandlung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – im größten Saal, den das Justizzentrum in der Ottostraße zu bieten hat.
Modamani formuliert seinen Anspruch ganz bescheiden: "Ich möchte hier in Frieden leben, zur Schule gehen und arbeiten." Rechte Hetzer wollen das nicht und bringen ein Foto, das den Syrer im September 2015 kurz nach seiner Ankunft in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt, immer wieder in Zusammenhang mit Terrorismus und anderen schweren Verbrechen, zuletzt mit dem Brandanschlag auf einen Obdachlosen in einem Berliner U-Bahnhof. Nicht einfach für den jungen Mann, mit diesen Anschuldigungen, für die es keinerlei Grundlage gibt, klarzukommmen.
Chan-jo Jun streitet seit langem gegen Facebook
Die Versuche, Facebook über die Meldefunktion auf seiner Internet-Seite dazu zu bringen, das Foto und die offensichtlichen Lügen nicht mehr zu verbreiten, scheiterten. Nun versucht der 19-Jährige auf juristischem Weg nicht nur die Urheber der Fake-Nachricht, sondern auch die Plattform zu zwingen, den Post, der zwischenzeitlich mehrere hundertmal im Netz geteilt wurde, zu löschen. Vertreten wird Anas Modamani vor dem Landgericht von Chan-jo Jun.
Der Würzburger Rechtsanwalt streitet seit langem dafür, Facebook zur Anerkennung deutschen Rechts zu zwingen. Dass Modamani und ihm von Facebook regelmäßig signalisiert wird, die Verleumdungen verstießen nicht gegen die „Gemeinschaftsstandards“ der Plattform, will er nicht hinnehmen. Facebook habe zwar, „offenbar mit Blick auf den Prozess“, zuletzt tatsächlich viele der inkriminierten Fotos blockiert oder gelöscht, so der Rechtsanwalt. Völlig intransparent aber seien die Kriterien, nach denen dies geschehe. Tatsächlich finden sich auch diese Woche noch, fünf Wochen nach dem Einreichen des Verfügungsantrags, Posts mit dem verleumderischen Vorwurf.
„Bei Porno-Bildern funktioniert das Löschen auch“
Juns Forderung ist klar. Das Gericht in Würzburg soll Facebook verpflichten, solche Hass-Beiträge, die offensichtlich gegen deutsches Recht verstoßen, sofort nachdem sie gemeldet wurden, flächendeckend zu löschen und dafür zu sorgen, „dass dieser Inhalt nicht mehr wieder erscheint“. Dass dies mithilfe von Bilderkennungs-Software technisch möglich ist, daran besteht für Internet-Experten kein Zweifel. Bei pornografischen Darstellungen gelinge dies schließlich auch. Anwalt Jun: „Wenn Facebook will, dann funktioniert es auch.“
Käme die Erste Zivilkammer am Landgericht unter Leitung von Richter Volkmar Seipel der Forderung des Klägers nach, hätte das Urteil tatsächlich Pilotcharakter. Künftigen Opfern von Facebook-Hetze fiele es dann deutlich leichter, sich zu wehren. Das erklärt das große Interesse am Verfahren. Lehnt das Gericht den Antrag hingegen ab, würde der Druck auf die Politik in Deutschland noch einmal steigen, die Gesetze so zu ändern, dass Facebook gezwungen wird, verleumderische Fake News wie die über Modamani unmittelbar nach ihrem Auftauchen zu entfernen. Die Bereitschaft, die Regeln zu verschärfen, ist mittlerweile bei allen Parteien groß, allen voran in den Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD.
Facebook äußert sich nicht
Im Interview mit dieser Redaktion fordert der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) unter anderem, Facebook für die Beiträge auf seiner Plattform verstärkt in Haftung zu nehmen. Anwalt Jun kann sich vorstellen, bei sozialen Medien ähnlich wie bei Zeitungen oder Fernsehsendern das Presserecht anzuwenden, so dass Opfer wie Modamani unter anderem einen Anspruch auf Gegendarstellung hätten.
Und wie verhält sich Facebook selbst in der Debatte? Der Versuch dieser Redaktion, mit dem Unternehmen ins Gespräch zu kommen, scheiterte. Eine Anfrage an den Anwalt, der Facebook vor dem Gericht in Würzburg vertritt, blieb unbeantwortet.