Ob bei Demonstrationen, im Bekanntenkreis oder im Internet: Immer mehr Menschen kritisieren die Einschränkungen in der Pandemie. Auch in Unterfranken regt sich Widerstand. Oft kursieren in diesem Zusammenhang aber auch Gerüchte über Zwangsimpfungen, Mikrochips und ein Komplott finsterer Mächte, die hinter alldem stecken sollen. Solche Verschwörungstheorien haben in der Corona-Krise offenbar fruchtbaren Boden. Wir haben einige dieser Behauptungen unter die Lupe genommen.
1. Corona soll in Wahrheit doch harmlos sein
Dass Covid-19 überhaupt nicht so gefährlich sei, sondern vielmehr "eine harmlose Grippe" oder sogar erfunden, behaupten einige Gegner der Corona-Beschränkungen. Unter dem Vorwand des Virus wollen "die Eliten", die Grundrechte der Bürger beschneiden. Das ist nicht bloß auf Demonstrationen zu hören: Selbst einige katholische Geistliche vertreten diese Ansicht. In einem umstrittenen Schreiben spekulieren sie darüber, dass die Corona-Maßnahmen auf die "Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht", hindeuten.
Die Fakten: Weltweit haben sich nach Zahlen der amerikanischen Johns Hopkins Universität bereits über 4,8 Millionen Menschen mit dem Coronavirus angesteckt, davon sind rund 319 000 gestorben. Das Virus ist somit durchaus tödlich. Wie ernst die Lage ist, wollte zunächst auch die britische Regierung nicht anerkennen: Nachdem sie erst sehr spät auf die Pandemie reagierte, gibt es dort mittlerweile die meisten Corona-Toten in Europa. Erschwerend hinzu kommt, dass es – im Gegensatz zur Influenza – noch keine Impfung und kein Medikament gegen Covid-19 gibt.
Auch die Influenza sei eine schwerwiegende Krankheit, betonte der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, schon Ende März. Unabhängig davon übertrage sich das Coronavirus aber leichter als die Grippe. Der Anteil der Menschen, die an Corona schwer erkrankten und beatmtet werden müssten, sei deutlich höher, so Wieler. Und letztlich gebe es gerade in den Risikogruppen mehr Personen, die an Covid-19 sterben. Wie das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) erklärt, handelt es sich zudem um ein neues Virus. Niemand sei dagegen immun, weshalb sich auch die gesamte Menschheit potentiell infizieren könnte.
Die meisten Corona-Patienten hätten tatsächlich nur leichte Grippesymptome, berichtet Patrick Meybom, Intensivmediziner an der Würzburger Uniklink, über seine praktische Erfahrung. Bei einigen Erkrankten sei der Virus aber ziemlich hartnäckig, diese müssten auf die Intensivstation. "Das Coronavirus verursacht bei solchen Patienten meist Begleitschäden", so Meybom. Das betreffe zum Beispiel die Lunge oder die Nieren. Von harmlos kann also keine Rede sein.
Der Microsoft-Gründer Bill Gates steht häufig im Zentrum angeblicher Verschwörungen – gerade in der Corona-Krise. So behauptete beispielsweise der Blogger Ken Jebsen (KenFM), den der RBB im Jahr 2011 als Moderator feuerte, kürzlich in einem Youtube-Video mit dem Titel "Gates kapert Deutschland!", dass der Microsoft-Gründer und seine Ehefrau Melinda Gates die Bundesregierung insgeheim steuern – und damit auch für alle Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus verantwortlich sind. Sie hätten sich diesen Einfluss insbesondere dadurch verschafft, dass sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu über 80 Prozent finanzierten. Das Video hat mehr als drei Millionen Aufrufe.
Die Fakten: Die wohltätige Stiftung des Ehepaar Gates kämpft nicht nur gegen Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose in armen Ländern. Sie unterstützt auch die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus. Wirkliche Belege dafür, dass sich der Multimilliardär Bill Gates in die Regierungsgeschäfte in Deutschland einmischt, nennt Jebsen in seinem Video nicht. Und selbst das Kernstück seiner Theorie ist nicht korrekt. Was stimmt: Die Gates-Stiftung spendet große Summen an die WHO und ist sogar deren zweitgrößter Geldgeber nach den USA. Das verheimlicht die Organisation auch nicht. Aber diese Spenden machen nicht annähernd 80 Prozent der Finanzierung aus, sondern lediglich rund elf Prozent. Weitere 6,5 Prozent der WHO-Mittel stammen von der Impfallianz Gavi, die wiederum von der Gates-Stiftung unterstützt wird. Die Größenordnung ist also eine gänzlich andere, als Jebsen im Video behauptet.
Dennoch: Freiwillige Spenden von Stiftungen, Regierungen und Unternehmen stellen mittlerweile rund 80 Prozent des gesamten WHO-Budgets zur Verfügung, das für 2020 bis 2021 bei 4,9 Milliarden Dollar liegt. Nur noch rund 20 Prozent machen die Pflichtbeiträge der 194 Mitgliedsstaaten aus. Und zu diesem Trend gibt es durchaus kritische Stimmen. Befürchtet wird ein zu großer Einfluss privater Spender. Die WHO wurde 1948 mit dem Ziel gegründet, "für alle Völker das höchstmögliche Gesundheitsniveau zu erreichen", heißt es auf ihrer Website. Sie unterstütze medizinische Forschung und leiste Soforthilfe bei Katastrophen.
Wie Jebsen weiter ausführt, wolle der Microsoft-Gründer Bill Gates über "Sterilisationsmittel" in Corona-Impfungen die Weltbevölkerung reduzieren. Ein anderes Video bei Youtube – mit immerhin einer halben Million Aufrufe – schießt in eine ähnliche Richtung: Es trägt den Titel "Bill Gates wants a Billion Dead! Vaccines and Health Care will do the Job!" (Bill Gates will eine Milliarde Tote! Impfungen und Gesundheitsversorgung sorgen dafür). Es ist ein Vorwurf, der in sozialen Medien immer wieder auftaucht. Oft heißt es dann auch, dass Gates über Impfungen Mikrochips implantieren möchte, um totale Kontrolle zu erlangen.
Die Fakten: Viele Vorwürfe gegen Gates beruhen auf Aussagen, die völlig aus dem Kontext gerissen wurden. So hat er sich beispielsweise dahingehend geäußert, dass Impfungen ein gutes Mittel sind, um das Bevölkerungswachstum zu senken und damit auch den CO2-Ausstoß – nicht aber um Menschen zu töten oder gegen ihren Willen zu sterilisieren. Seinen Gedankengang hat Gates unter anderem in einem offenen Brief aus dem Jahr 2009 beschrieben: Je mehr Kinder demnach geimpft werden, desto länger leben sie. Wenn mehr Kinder überleben, müssen Eltern weniger Kinder in die Welt setzen, weil sie sich dann weniger Sorgen um eine mangelnde Unterstützung im Alter machen müssen.
Auf ähnliche Weise ist der Mythos entstanden, dass Gates Mikrochips entwickeln will, die Menschen per Impfung implantiert werden können, um sie zu kontrollieren. Ursprünglich hatte Gates in Aussicht gestellt, dass es in Zukunft "digitale Zertifikate" geben könnte, aus denen hervorgeht, ob eine Person bereits auf Corona getestet oder dagegen geimpft wurde. Diese Aussage wurde mit anderen Forschungsprojekten in Verbindung gebracht, die nichts miteinander zu tun haben. Da Gates auch eine Verhütungsmethode mithilfe von Mikrochips unterstützt, war der vermeintliche Komplott perfekt. Mehrere Fakten-Checks, zum Beispiel der Deutschen Presseagentur (dpa) oder der Plattform Mimika, haben die Mikrochip-These widerlegt.
4. Die Bundesegierung will eine Impfpflicht einführen
Verschwörungstheoretiker wie der Autor veganer Kochbücher, Attila Hildman, waren sich sicher, dass die Demokratie "für immer beerdigt" werden könne, sobald das zweite Bevölkerungsschutzgesetz in Kraft tritt. Sie befürchteten eine Impfpflicht durch die Hintertür. Wer sich nicht impfen lasse, verliere viele seiner Grundrechte, befand auch Ken Jebsen über das Gesetz. Und stellte die These auf: "Man kann Sie einfach impfen, ob Sie wollen oder nicht. Man kann Sie also mit Gift voll pumpen, ob Sie wollen oder nicht."
Die Fakten: In einem Entwurf des Gesetzes war davon die Rede, dass Personen, die nachweisen können, dass sie gegen eine Krankheit geimpft oder dagegen immun sind, von gewissen Maßnahmen ausgenommen werden könnten – also mehr Freiheiten genießen dürfen als andere. Diese Idee stieß auf große Kritik aus politischen Lagern unterschiedlicher Couleur. "Wir können nicht im Alltag kontrollieren, wer bereits immun ist oder nicht. Diese Art der Trennung ist gesellschaftlich nicht vertretbar", sagt zum Beispiel der Würzburger Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann (FDP). In der finalen Version des Gesetzes, über die der Bundestag am vergangenen Freitag abstimmte, war dieser Passus dann auch nicht mehr zu finden. "Zwangsimpfungen waren nie vorgesehen. Es gehört viel Fantasie dazu, das in dieses Gesetz hineinzuinterpretieren", betont Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion aus Bad Kissingen.
Mit Informationen der dpa
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass 80 Prozent des WHO-Budgets von privaten Spendern stammen. Das ist nicht korrekt. Gemeint waren freiwillige Spenden, die teilweise auch von Mitgliedsstaaten kommen.