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Wien/Würzburg
Was die Anschläge in Wien und Nizza mit dem Lockdown zu tun haben
Ist der Terror zurück in Europa? Im Interview erklärt der Würzburger Terrorismusexperte Peter Neumann die Hintergründe der Anschläge. Und blickt besorgt auf Corona-Leugner.
Der aus Würzburg stammende Terrorismusexperte Peter Neumann
Foto: Ina Fassbender, dpa | Der aus Würzburg stammende Terrorismusexperte Peter Neumann
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:24 Uhr

Erst Frankreich, jetzt Österreich: Mitten in der Corona-Krise schlagen Islamisten wieder mitten in Europa zu. Der aus Würzburg stammende Terrorismusexperte Peter Neumann sieht einen Zusammenhang mit dem Beginn des "Charlie Hebdo"-Prozesses.

Frage: Lange Zeit schien es ruhig zu sein, jetzt erleben wir kurz hintereinander Anschläge in Frankreich und Österreich. Sind Sie überrascht, dass der Terror zurück ist in Europa?

Peter Neumann: Ja und nein. Natürlich hat die Zerschlagung des sogenannten Islamischen Staats 2017/18 dazu geführt, dass diese einst so mächtige Bewegung nicht nur ihre Infrastruktur und Organisation, sondern auch ihren Mythos verloren hat. Also die Idee des Kalifats. Das hat in der dschihadistischen Szene ein paar Jahre lang zu einer Art Sinnkrise geführt: Viele Anhänger haben sich gefragt, was das alles noch soll, und man hat begonnen, sich untereinander zu bekämpfen. Jetzt hat die Szene aber ein Thema wiederentdeckt, das eine Grundspannung erzeugt und bei dem sich alle einig sind: die Mohammed-Karikaturen...

...wie sie ein Lehrer in Frankreich im Unterricht gezeigt hatte und daraufhin bei Paris enthauptet wurde?

Neumann: Es hat aber nicht mit dem Lehrer angefangen, sondern mit dem Beginn des "Charlie Hebdo"-Prozesses (seit September stehen die mutmaßlichen Helfer der Attentäter vor Gericht, die 2015 einen Anschlag auf das Satiremagazin verübt hatten, Anm. d. Red.). Deswegen hat der Lehrer das in der Schule überhaupt thematisiert. In der Islamisten-Szene ist das schon vorher hochgekocht. Mohammed-Karikaturen sind ein Evergreen unter Dschihadisten. Denken Sie nur an die weltweiten Eskalationen nach dem Karikaturen-Streit – ausgelöst von Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung 2005.

Wie bewerten Sie die aktuelle Terrorgefahr vor diesen Hintergründen in Europa?

Neumann: Die Jahre 2017 und 2018 brachten eine riesen Niederlage für den "Islamischen Staat", aber dessen Ideen sind nicht weggegangen. Sie brauchten nur wieder einen Auflader, eine Art Dynamo, wie ich ihn eben beschrieben habe. Und jetzt haben wir eine Situation, die gefährlicher ist als vor einem Jahr, aber nicht genauso gefährlich wie vor fünf Jahren. Damals hatten wir noch eine echte Bedrohung durch eine Organisation, die große Operationen planen konnte, mit Strategien und mit Leuten, die in Syrien trainiert wurden. Das gibt es heute nicht. Aber es ist trotzdem gefährlich, weil einige Anhänger ihre Motivation wiedergefunden haben und – metaphorisch gesprochen – aus ihren Verstecken herauskommen und wieder bereit sind, sich zu engagieren.

Die Anschläge vergangene Woche in Nizza und jetzt in Wien ereigneten sich jeweils einen Tag bevor Frankreich beziehungsweise Österreich in den Corona-Lockdown ging. Gibt es hier einen Zusammenhang?

Neumann: Ich glaube schon. Wahrscheinlich haben die Täter gerade dann zugeschlagen, weil sie sich gedacht haben, wenn der Lockdown erstmal da ist, sind die Menschen nicht mehr auf der Straße. Aber ich glaube nicht, dass ein Lockdown Ursache der Anschläge war. Die Lockdowns waren aber vielleicht Auslöser und haben dazu geführt, dass die Anschläge einige Tage früher stattgefunden haben.

Muss man Corona bei der Bewertung einer Terrorgefahr mitdenken? Sind zum Beispiel Behörden mit der Pandemie gerade so ausgelastet, dass sie den Terrorismus aus dem Fadenkreuz verlieren?

Neumann: Ich bin kein großer Anhänger solcher Theorien. Ich sehe hier aktuell auch keinen ursächlichen Zusammenhang. Und man könnte die Argumentation ja auch herumdrehen: Wir sehen, dass gerade während der Lockdowns die Kriminalität deutlich zurückgegangen ist. Man könnte also sagen, dass mehr Polizei zur Verfügung steht, weil weniger Einbrüche oder andere Delikte aufgeklärt werden müssen.

Sie haben als OSZE-Sonderbeauftragter für den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz gearbeitet, als er noch Außenminister war. Wie nehmen Sie ihn und die Stimmung in Österreich gerade wahr?

Neumann: Ich denke, Sebastian Kurz hat sehr gut reagiert. Er hat in seiner Fernsehansprache am Dienstag der populistischen Versuchung widerstanden: Er hat nicht alle Muslime dafür verantwortlich gemacht, was passiert ist, und sie so nicht zum Sündenbock gemacht. Das wäre genau das gewesen, was Terroristen wollen: die Spaltung der Gesellschaft befeuern. Und wir sehen ja auch schon in der Reaktion rechtspopulistischer Parteien wie AfD oder FPÖ in Österreich, dass sie den Anschlag zugunsten ihrer politischen Ziele, aber zulasten der Gesellschaft ausschlachten wollen. Kurz hat dagegen sehr auf die Einheit der österreichischen Gesellschaft gesetzt. Natürlich hat er Forderungen an Muslime formuliert, aber er hat deutlich gemacht, dass Muslime, die die Gesetze befolgen und sich in die Gesellschaft integrieren, genauso Österreicher sind, wie alle anderen auch. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Terroristen provozieren wollen, und das hat er verstanden.

Sind Dschihadismus und Populismus voneinander abhängig?

Neumann: Ja. Populismus und dschihadistischer Extremismus sind unterschiedliche Phänomene, aber sie sind sich sehr ähnlich, argumentieren auf gleiche Weise und brauchen sich gegenseitig: Der Dschihadist sagt, 'schau dir die von der FPÖ an, das ist das wahre Österreich, die sprechen so wie die Leute wirklich denken, die tun gar nicht erst so als wollten sie uns integrieren'. Und die FPÖ sagt umgekehrt: 'Der IS ist der wahre Islam.' Beide machen das, um mehr Anhänger und Unterstützung für ihre Seite zu gewinnen.

In Corona-Zeiten ist der gesellschaftliche Zusammenhalt ohnehin auf die Probe gestellt. Wie schwer wiegt da jetzt zusätzlich ein Terroranschlag?

Neumann: Ich habe keinen Präzedenzfall dafür. Aber natürlich trägt das noch mal zu Spannungen bei. Es zeigt sich, dass diese extremistische Bedrohung viel komplexer geworden ist, als sie es vor fünf oder sechs Jahren war. Wir haben etwa in Deutschland einen wiedererstarkten Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus – ein Phänomen, das auch durch islamistische Anschläge verstärkt wird. Wir haben einen nach wie vor nicht völlig besiegten Islamismus und Dschihadismus, der momentan eine Art Renaissance hat. Und dann haben wir mit den Corona-Leugnern eine Bewegung, die zunehmend militant ist und wo man sich gut vorstellen kann, dass aus der Vernetzung dieser Verschwörungstheoretiker nicht nur eine extremistische, sondern auch eine terroristische Bedrohung resultieren kann. Das heißt, die staatlichen Sicherheitsbehörden sind jetzt schon in einer Situation, wo sie nicht nur an einer, sondern an sehr vielen Fronten kämpfen müssen. Den Luxus, sich nur auf dieses oder jenes Problem zu konzentrieren, den gibt es nicht mehr.

Peter Neumann

Der 45-jährige Politikwissenschaftler aus Würzburg gilt als einer der renommiertesten Terrorismusexperten der Welt. Neumann lehrt am Londoner King's College und berät Regierungen, Nachrichtendienste und internationale Organisationen, darunter den UN-Sicherheitsrat. In den vergangenen Jahren hat er sich insbesondere mit dem Islamismus und der Radikalisierung von Terroristen beschäftigt.
Quelle:
 
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  • Helmut_Faul_HF2017
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  • semistar
    @meefisch:
    Medien und Politik stellen sich absichtlich dumm. Sie wissen natürlich auch, dass es – bis auf eine Handvoll vernachlässigenswerter Alleskritisierer – keine wirklichen Leugner gibt. Für die Publicity ist es aber leichter alles was in irgendeiner Weise die offizielle Linie hinterfragt, über einen Kamm zu scheren. Dann muss man sich nicht damit auseinandersetzen.
    Und noch eins zu Herrn Neumann, bei dem ich mich frage, was er uns mit seinen Antworten mit auf den Weg geben will: Kuschen und keine Kritik am Islamismus zeigen, damit deren Aggressivität nicht geweckt wird?
    Ich vermisse jedesmal aktive Vorschläge, die offiziellen Islamverbände und alle gut integrierten Moslems mit ins Boot zu nehmen, weil diese viel besser auf ihre Glaubensbrüder einwirken können.
    Ich selber kenne gut integrierte Moslems, die inzwischen sogar rechtsradikale Tendenzen zeigen, weil unsere Politik zu wenig gegen ihre eigenen radikalisierten Glaubensbrüder tut, von denen es angeblich sehr viele gibt!
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  • Albatros
    @meefisch, was verstehen Sie unter "Corona Leugner"? Für mich zählen hier auch Leute dazu, welche die Gefährlichkeit des Virus in Frage stellen. Ob die durch die einzelnen Länder bzw. die Regierung getroffenen Maßnahmen immer die Richtigen sind, nun, darüber kann man sicherlich leidenschaftlich streiten. Aber in einer Demokratie wird man es nie allen Recht machen können, im Gegensatz zur Diktatur, dort wird einfach entschieden. Es kann doch für einen durchschnittlich intelligenten Menschen nicht so schwer sein die Covid19-Problematik zu verstehen. Es geht auf Grund der leichten Übertragbarkeit des Virus einzig und allein darum, die Infektionen möglichst gering zu halten, damit die Kapazitäten in den Krankenhäusern nicht kolabieren, nicht mehr und nicht weniger. Covid19 ist nicht Ebola oder Kreuzfeld-Jakob, da würden wir sicherlich nicht über Lockdown-Maßnahmen diskutieren.
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