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Würzburg
Warum Unterfranken für weniger Geld mehr arbeiten müssen
Immer weniger Betriebe schließen Tarifverträge ab. Das hat Folgen für die Beschäftigten: Sie arbeiten mehr – für weniger Geld. Die Gewerkschaften verlieren an Einfluss.
Besonders in der Dienstleistungsbranche haben die Gewerkschaften Probleme Fuß zu fassen. 
Foto: Getty Images | Besonders in der Dienstleistungsbranche haben die Gewerkschaften Probleme Fuß zu fassen. 
Moritz Baumann
Moritz Baumann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:31 Uhr

Wenn es um Löhne, Gehälter und Arbeitszeiten geht, überlässt der Staat die Verhandlungen weitgehend Gewerkschaften und Arbeitgebern. Doch das System kippt. Nur noch die Hälfte der Beschäftigten in Unterfranken sind durch Tarifverträge geschützt.

 

Warum Unterfranken für weniger Geld mehr arbeiten müssen

 

Bayern ist mit einer Tarifbindung von 53 Prozent sogar Schlusslicht in ganz Westdeutschland. Zum Vergleich: 1995 lag der Anteil noch bei 83 Prozent. Das hat Folgen. Ist der eigene Arbeitgeber an keinen Tarifvertrag gebunden, arbeitet man im Wochendurchschnitt eine Stunde länger – aber für rund neun Prozent weniger Lohn. Das ergab eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zeigen die Zahlen, wie sich Arbeitgeber zunehmend ihrer sozialen Verantwortung entziehen. "Das ist der bequeme Weg, schnell zu mehr Geld zu kommen", kritisiert Regionsgeschäftsführer Frank Firsching. 

Das Tarifkorsett

vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt
Foto: Matthias Balk, dpa | vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt

Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) hält dagegen: Das Problem sei das zu enge Tarifkorsett. Statt Mindeststandards abzubilden, seien viele Tarifverträge völlig überfrachtet. So müsse beispielsweise nicht jedes Detail zur betrieblichen Weiterbildung in einem Tarifvertrag geregelt werden, kritisiert vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Das schränke die unternehmerische Freiheit so sehr ein, dass viele Betriebe keinem verbindlichen Tarifvertrag beitreten.

Es stimme deshalb, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten einem Tarifvertrag unterliegen. Der vbw betont jedoch, dass sich die Bezahlung von weiteren 23 Prozent der Beschäftigen an den tariflichen Bedingungen orientiere.

DGB-Regionsgeschäftsführer Frank Firsching
Foto: Silvia Gralla | DGB-Regionsgeschäftsführer Frank Firsching

Aus Sicht des DGB ist das eine "billige Ausrede", denn dann könnten die Betriebe den Tarifverträgen auch einfach beitreten. Das aber hätte zur Folge, dass die Beschäftigten einen Rechtsanspruch hätten auf Lohnerhöhungen, Weihnachtsgeld und vieles mehr. "Das wollen die Unternehmen nicht", erklärt Frank Firsching.

Trittbrett-Fahrer-Effekt

Gleichzeitig wirken die Gewerkschaften relativ hilflos. "Wir haben massiv an Kraft verloren", räumt Firsching ein – auch weil man Probleme hätte, in Branchen wie der IT, dem Einzelhandel und bei den Dienstleistungen Fuß zu fassen. "Daran sind die Beschäftigten aber auch selbst schuld." Viele würden sich zurücklehnen und hoffen, dass es schon Kollegen gibt, die Lohnerhöhungen erkämpfen. Das Engagement in Gewerkschaften lasse spürbar nach.

 

Warum Unterfranken für weniger Geld mehr arbeiten müssen

 

Das nützten die Arbeitgeber aus, sagt Thomas Zwick, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Uni Würzburg. "Die sinkende Tarifbindung ist ein Spiegel der Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt. Solange sich die Mitarbeiter nicht wehren, spüren auch die Unternehmen keine Konsequenzen." 

Von einem Eingreifen des Gesetzgebers hält der Wirtschaftswissenschaftler aber nichts. Die Tarifautonomie sei eine clevere Idee, die man nicht in Frage stellen dürfe. „Politiker als ehrliche Makler zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern? Das funktioniert nicht." 

"Die sinkende Tarifbindung ist ein Spiegel der Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt"
Thomas Zwick, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Uni Würzburg

 

Der DGB Bayern sieht das anders. So gebe es die Möglichkeit, dass das Bundesarbeitsministerium Tarifverträge für "allgemeinverbindlich" erklärt. Das Problem: Aktuell müssen die Arbeitgebervertreter dem zustimmen. Fiele dieses Veto-Recht, könnten Tarifverträge in einer Branche auf alle Betriebe ausgeweitet werden. 

 

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Konsequenter Staat

Eine weitere Forderung ist ein bayerisches Tariftreue- und Vergabegesetz, das es schon in 14 der 16 Bundesländern gibt. Damit dürfte der Staat öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben. Aus Sicht des DGB könnte das beispielsweise bei IT-Betrieben zu einem Umdenken führen, denn es stehe viel Geld auf dem Spiel. 

Im Landtagswahlkampf forderten dies unter anderem die Freien Wähler. "Das weiß Hubert Aiwanger nur nicht mehr“, kritisiert Frank Firsching. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es dazu: Ein solches Vergabegesetz führe derzeit zu weit. Obwohl die sinkende Tarifbindung "keine schöne Entwicklung" sei, fordert Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger gegenüber dieser Redaktion vor allem mehr Flexibilität für Unternehmen und den Abbau bürokratischer Hürden.

 

Tarifsystem in Deutschland
Deutschlandweit gibt es mehr als 50.000 verschiedene Tarifverträge, in denen Lohn, Arbeitszeit, Kündigungsfristen, Urlaubsanspruch und viele weitere Arbeitsbedingungen der Beschäftigten geregelt sind. Doch wer verhandelt diese eigentlich? Ein Überblick.
 
  • Der Verbandstarifvertrag (Flächen- oder Branchentarifvertrag) wird zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeberverband geschlossen und gilt für eine bestimmte Branche in einer bestimmten Region. 
  • Beim mehrgliedrigen Tarifvertrag verhandeln auf beiden Seiten mehrere Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.  
  • Der Firmentarifvertrag (Haustarifvertrag) wird von einer Gewerkschaft verhandelt, gilt aber nur in dem entsprechenden Unternehmen. 
 
Obwohl sich der Staat weitgehend aus den Verhandlungen heraushält (Tarifautonomie), hat ein Tarifvertrag die gleiche bindende Wirkung wie ein Gesetz . Davon ausgenommen sind Unternehmen, die nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind.
 
Nur das Bundesarbeitsministerium kann einen Tarifvertrag für "allgemeinverbindlich" erklären, so dass sich alle Betriebe innerhalb einer Branche daran halten müssen. Dem müssen die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften jedoch zustimmen. 
 
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  • al-holler@t-online.de
    Schon allein die Überschrift kommt möglicherweise wieder einmal einigen Lesern recht polemisch-suggestiv und einseitig, vielleicht sogar populistisch vor -"mainpostlike " halt ....
    Aber wer glaubt schon noch so ganz, was in diesem Regionalablättchen so alles steht.....
    Übrigens: Warum steigen auch heuer wieder die Renten wieder merklich (worüber ich mich natürlich auch ausnehmend freuen darf)? Ach ja, weil die Löhne in den letzten Jahren gesunken sind. Schade, jetz sin mer doch tatsächlch die Grinsköpfchen (O-Ton Leseranwalt) abhanden gekommen
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  • 691969
    Viele Beschäftige meinen der liebe Gott sei für die Lohnerhöhung zuständig und müssten dafür nichts tun.
    Ich bin seit 1961 in der Gewerkschaft organiesiert.
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  • giacomo
    Die Gründe sind mannigfaltig. Wir leben in einer Ich-Ich-Ich-Gesellschaft. Dazu kommt noch die Geiz-ist-geil-Mentalität. Daher will keiner mehr Gewerkschaftsbeiträge zahlen. Viele Mitglieder können in einer Gewerkschaft viel bewegen und dafür sorgen, dass die Tarifverträge nicht überfrachtet werden. Im vergangenen Jahrhundert haben Gewerkschaften und auch die SPD dafür gesorgt, dass es vielen von uns heute so gut geht. Die dahintümpelnde SPD sollte sich schleunigst wieder auf ihre Kernkompetenzen besinnen. Schließlich begann der Abstieg der SPD mit einem gewissen Herrn Schröder und den unsäglichen Hartz IV Gesetzen. Also Leute: Tretet in die Gewerkschaften ein!!! Es ist wieder mehr Solidarität gefragt!!!
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  • info@softrie.de
    Ich kann meinen Mitarbeitern nicht mehr zahlen, als ich einnehme. Klar könnte es für den einen oder anderen mehr sein, dann müsste aber auch der eine oder andere gehen. Der Druck auf die übrigen Mitarbeiter würde wachsen. Ist alles nicht geil, aber ich kann meinen Kunden nicht das Messer auf die Brust setzen.
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    ...aber dann wieder meckern

    dass Fachkräftemangel und zuwenig Nachwuchs und überhaupt und sowieso.

    Solange man solche Zustände beobachten muss wie im Artikel angesprochen geht es den Unternehmen noch viel zu gut.
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  • simopheus@t-online.de
    Die Arbeitnehmer tragen hier schon eine gewisse Mitschuld. Seit Jahren snkt der gewerkschaftliche Organisationsgrad. Immer weniger Arbeitnehmer sind bereit, Beiträge für die Gewerkschaften zu bezahlen. Die auch so geschwächten Organisationen haben deshalb auch immer weniger Einwirkungsmöglichkeiten. Vor einigen Jahrzehnten hätte in diesem Fall ein wohl durchdachter Streik die Arbeitgeber bestimmt zum Einlenken genötigt.
    Aber wer heute so am Beitrag spart, legt letztendlich doch drauf.
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  • pmueller55
    Wenn der Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband austritt, gibt es keinen Verhandlungspartner mehr für die Gewerkschaften, da können sie soviel Beitrag zahlen wie sie wollen. Warum ist den die Autoindustrie so stark, weil sie eine starke Gewerkschaft an der Seite hat. In der Auto- und Metallindustrie ist es Plicht in der Gewerkschaft zu sein. Alle anderen Arbeitgeber haben doch nur Angst vor der Gründung eines Betriebsrates. Damit keiner da ist der ihnen auf die Finger schaut.
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  • Einwohner
    Stark wegen der Gewerkschaft? Pflicht in der Gewerkschaft zu sein? Wer glaubt und erzählt denn sowas?
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  • Einwohner
    In den Tarifverträgen wird einfach immer mehr Unfug geregelt und eben nicht nur das Gehalt. Die Gewerkschaften versuchen große Politik zu machen und das möchten die Arbeitnehmer eben nicht. Mäßige Politiker haben wir woanders genug.
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  • pmueller55
    Die Gehälter sinken seit Jahren, ist bekannt. Die Tarifbindung nimmt seit Jahren ab, ist bekannt. Warum frage ich mich, steigt dann jedes Jahr das Durchschittseinkommen, dass die Grundlage für die Berechnung der Rentenpunkte ist. Wer wie ich, auf Grund des einfrierens der Tarifleistungen, seit 11 Jahren auf den cent genau, den selben Jahresverdienst hat, bekommt zum jetzigen Zeitpunkt schon 60 Euro weniger Rente. Das und genau das ist das Resultat dieser Politik. Die Reichen werden reicher und die Armen immer ärmer. Übrigens bei der Übersicht Tarifbindung in Bayern fehlen die Zeitungsverlage.
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  • 1958kosb
    Wenn Sie seit 11 Jahren auf den Cent das selbe verdienen, dann habe Sie was falsch gemacht.
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  • hansi07
    Und wenn es bei mir als Selbstständigen von Jahr zu Jahr weniger wird? Welche Gewerkschaft kümmert sich dann um mich?
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  • Einwohner
    Wie der Name schon sagt: selbst und ständig
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  • pmueller55
    ..... in dieser Firma bin ich nicht der Einzige, der was falsch gemacht hat. Alles Kollegen und Kolleginnen die weit mehr als 30 Jahre loyal zur Firma stehen. Den möchte ich sehen, der nach 30 Jahren Firmenzugehörigkeit und Ende 50 nochmal ein Vorstellungsgespräch macht.
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