Das Axt-Attentat von Würzburg ist kein Vorfall, den man vergisst. Vergessen kann. Gerade ist das Chat-Protokoll des Täters mit einem Mitglied des IS veröffentlicht worden, das zeigt, wie sehr Riaz Khan Ahmadzai auf seine Tat konzentriert war. Er wollte töten. Er wollte ins Paradies. Und zwar schnell. Dass er dem Salafismus so zugetan war, hat in seinem Umfeld niemand gemerkt. Genau deshalb hatte das Kreisjugendamt Würzburg, das für die Unterbringung des Täters zuständig war, eine Fachtagung für Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe zum Thema Salafismus organisiert.
160 Teilnehmer aus Jugendämtern, Pflegefamilien und Flüchtlingshilfe nutzen auch die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch. Das Geschehene war nun, zwei Monate später, wieder ganz nah. Das Unfassbare, das immer noch ungläubige Kopfschütteln darüber, wie ein 17-jähriger unbegleiteter und scheinbar doch so gut integrierter Flüchtling zu so einer grausamen und unmenschlichen Tat fähig sein konnte.
Einer, der im Bus den Platz freihielt für seine Pflegegeschwister und kurz darauf im Zug Menschen mit einer Axt Gesicht und Körper zerschlug.
Und weil hier nichts zusammenpasst, ist die Frage nach einer richtigen Prävention eine große. Wie auch der Landkreis Würzburg ein großer ist, nach Aschaffenburg der zweitgrößte in Unterfranken. Der Landkreis, in dem die Tat geschah, in dem der Täter wohnte. Für den das Kreisjugendamt zuständig war. Für den eine Pflegefamilie ihre Türen und auch Herzen aufgemacht hat. So wie andere Pflegefamilien im Landkreis das für andere junge Menschen auch getan haben und für 15 Jugendliche noch tun, in Schweinfurt sind es elf Pflegefamilien.
Auch für diese Familien war die Tagung gedacht, die in dieser Form zum ersten Mal bayernweit stattfand und den Teilnehmern vor allem eines mit auf den Weg gab: Niemand ist hier allein mit seinen Fragen, Ängsten und Sorgen. Und: „Niemand ist schuld, wenn sich ein Jugendlicher im nahen Umfeld unbemerkt radikalisieren konnte“, sagt Kreisjugendamtsleiter Hermann Gabel. Aber jeder in der Bevölkerung kann mithelfen, kann sich informieren über den offensichtlichen Hintergrund der Tat: den Salafismus, für den es auch in Unterfranken laut Polizeibehörden „Verdachtsmomente“ gibt.
Salafismus ist so gefährlich, weil er Jugendlichen Orientierung und Antworten auf Sinnfragen verspricht. Und weil er unbemerkt über das Internet in die Zimmer und Köpfe der gefährdeten jungen Männer gelangen kann. Aufklären, immun machen gegen den Einfluss von Salafisten ist deshalb das oberste Ziel auf Landes- und Lokalebene. Bayernweit sind 650 Menschen den Salafisten zuzuordnen, 20 Prozent gelten als gewaltorientiert.
Im Kreisjugendamt Würzburg ist man seit Wochen mit der Schaffung und Umsetzung neuer Strukturen befasst, die einen Fall wie den in Würzburg zumindest unwahrscheinlicher machen könnten. Immerhin muss in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob die Anzeichen für eine Radikalisierung deutlich genug sind, um von einer Eigengefährdung oder Gefährdung anderer ausgehen zu können. Für eine Anzeige muss der dem gegenüberstehende persönliche Schutz und damit die Schweigepflicht aufgehoben werden. Entscheiden in heiklen Fällen, das kennt man in Jugendämtern auch aus anderen Bereichen, etwa, wenn es darum geht, ein Kind aus einer Familie zu holen, weil es dort gefährdet ist.
Informationen auf allen Ebenen und die Vernetzung der zuständigen Stellen hält die Justiziarin und Leiterin des Geschäftsbereiches Jugend, Soziales und Gesundheit im Landratsamt Würzburg, Eva-Maria Löffler, deshalb für eine zentrale Maßnahme.
Zur Zeit gibt es keine neuen Aufnahmen minderjähriger Flüchtlinge in Pflegefamilien im Landkreis Würzburg. Unmittelbar nach dem Axt-Attentat hatte die Behörde mit einem Aufnahmestopp reagiert, doch dieser ist mittlerweile aufgehoben. „Ich halte an dem Konzept Pflegefamilie weiter fest“, sagt Hermann Gabel. Das will er nicht als Trotzreaktion verstanden wissen. Das ist seine Überzeugung. Das Konzept ist umstritten. Kritiker sagen, Familien seien überfordert, Fachleute in den Einrichtungen weit besser qualifiziert. Und: die Behörden wollten nur sparen, denn die Plätze in den Einrichtungen seien weit teurer als in einer Pflegefamilie. Im Jugendamt sieht man das anders, betont, dass die Teilhabe am Familienleben die intensivste Form der Unterstützung und Förderung junger Menschen sei.
Viele dieser Menschen sehen sich zu Unrecht in die Rolle von potenziellen Tätern gedrängt. Bloß weil sie wie der Attentäter zur Gruppe unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge gehören. Oder weil sie nicht gemerkt haben, was der junge Mann wirklich im Sinn hatte. Umso wichtiger, so Gabel, sei es jetzt, Präventionsprojekte anzustoßen.